Referendum über Justizreform in Serbien
In Serbien finden heute ein Referendum über die Justizreform statt. Ihr grundlegendes Ziel ist es, Richter und Staatsanwälte unabhängiger von politischem Einfluss zu machen. Dazu müssen grundlegende Bestimmungen der Verfassung geändert werden, daher hat die Bevölkerung das letzte Wort, ob sie diese Reform der Justiz gutheißt oder nicht. Dafür sind natürlich Präsident Alexander Vucic und seine stärkste Regierungspartei sowie USA und EU, die seit Jahren darauf drängt, den direkten Einfluss der Politik auf die Justiz in Serbien zu verringern. Diese Reform ist somit auch ein wichtiger Schritt auf dem Weg dieses Balkan-Landes zur Erfüllung von EU-Standards. Doch diese Erfüllung ist nicht so einfach, zumal die Erblast der autoritären politischen Vergangenheit, von Korruption und Kriminalität schwer wiegt, und das nicht nur in Serbien. In Belgrad erläutert der ehemalige Mitstreiter der Demokratiebewegung gegen Slobodan Milosevic, der angesehene Jurist, Dragor Hiber, das Grundproblem so:
"In Serbien und im ehemaligen Jugoslawien hatten wir ein völlig entwertetes Justizsystem. In der Zeit von Slobodan Milosevic haben von etwa 3000 Richtern 2.500 die Justiz verlassen und wurden durch neue Leute ersetzt, die politisch gepasst haben. Ihnen eine völlig freie Hand bei der Ernennung von Richtern und völlige Unabhängigkeit zu geben wäre sehr gefährlich gewesen. Das bisher bestehende System versuchte eine Balance zwischen dem Parlament als Legislative und der Justiz; die EU sah das als nicht ausreichend demokratisch an, das akzeptierte die Regierung unter dem Druck der EU; daher die Reform und eben das Referendum."
Die Frage, die die Serben heute mit Ja oder Nein zu beantworten haben, dürfte – abgesehen von Juristen – niemand wirklich zur Teilnahme an der Abstimmung motivieren: „Sind Sie für die Änderung und die Verabschiedung des Rechtsakts über die Änderung der Verfassung“. Doch die Antwort ist wichtig. Bisher bestellte das Parlament in Belgrad Richter und Staatsanwälte; außerdem gab es für neue Richter eine Probezeit von drei Jahren; sie wird mit der Reform abgeschafft, und das Recht der Wahl geht auf je einen Hohen Rat für Staatsanwälte und Richter mit je 11 Mitgliedern über. Mitglieder dieser Gremien dürfen keiner politischen Partei angehören; die Amtszeit ist auf ein Mandat beschränkt. Die Reform bewertet Dragor Hiber so: "Das ist ein ernsthafter Schritt nach vorne, wenn das alles so durchgeführt und umgesetzt wird; obwohl ich politisch der Opposition angehöre, muss ich das als Jurist anerkennen und betonen. Allerdings bin ich skeptisch, was die Umsetzung betrifft, weil auch unsere Richterschaft politisiert ist und ihr Personen vorstehen, die ein Naheverhältnis zur Regierungspartei haben; und diese Personen beeinflussen auch die Wahlen zum Hohen Rat der Richter und Staatsanwälte."
Dass für die Unabhängigkeit der Justiz in Serbien nicht quasi über Nacht goldene Zeiten anbrechen ist keine Überraschung. Warum die Entpolitisierung Zeit braucht, begründet in Belgrad die für eine Menschrechtsorganisation arbeitende Anwältin, Katarina Golubic, so: "An der Spitze der Justiz bleiben bis zum Ende ihres Mandats dieselben Personen. Das bedeutet, dass die Regeln der Unabhängigkeit erst in etwa fünf Jahren völlig mit Leben erfüllt werden. Über das Schicksal all jener, die bereit waren, dem Einfluss des Staates und - nicht zu vergessen - der Wirtschaft nachzugeben - über ihr Schicksal entscheidet dann nicht mehr das Parlament, sondern die Fachwelt. Wichtig wird daher die Festlegung objektiver Kriterien sein, nach denen die Arbeit von Richtern und Staatsanwälten zu bewerten ist."
Zweifellos ist die Reform ein wichtiger Schritt zur weiteren EU-Annäherung Serbiens, ein Faktum, das die sogenannte demokratische Opposition trotzdem nicht davon abgehalten hat, die Bevölkerung aufzurufen, mit Nein zu stimmen. Die politische Polarisierung ist in Serbien derart groß, dass beide Lager einfach nicht miteinander können und wollen. Eine Mindestanzahl an abgegeben Stimmen für die Gültigkeit des Referendums gibt es nicht mehr, so dass die Annahme der Justizreform als sicher gilt.