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Serbische Orthodoxie ohne Patriarch und Metropolit

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Das Corona-Virus hat auch die serbisch-orthodoxe Kirche massiv getroffen. Vor wenigen Tagen starb der 90-jährige Patriarch Irinej Gavrilovic an den Folgen einer Infektion. Irininej stand zehn Jahre an der Spitze seiner Kirche, deren Führung nun vakant. Ein Nachfolger soll binnen drei Monaten gewählt werden, wenn die Pandemie die Anreise der Bischöfe zulässt; denn ein Drittel von ihnen lebt und wirkt nicht in Serbien. Ebenfalls nach einer Corona-Infektion verstarb Ende Oktober in Montenegro Metropolit Amfilohije Radovic; der 82-jährige war 30 Jahre lang die dominante geistliche Persönlichkeit Montenegros. Während seine Nachfolge auch das Verhältnis zwischen Montenegro und Serbien beeinflussen wird, reicht die Bedeutung eines neuen serbischen Patriarchen weit darüber hinaus; da geht es um Ökumene, um einen möglichen Besuch des Papstes in Serbien aber auch um die Haltung der serbischen Kirche zur angestrebten EU-Integration Serbiens und um das Verhältnis zu Russland und zur Weltorthodoxie im Konflikt mit dem ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel. Den folgenden Bericht hat unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz gestaltet:  

Berichtsinsert: Christian Wehrschütz

Kamera: Nikola Brajovic, Predrag Crvenkovic, Andrej Suvacarov

Schnitt: Mica Vasiljevic

Insert1: Hrvoje Klasic, Historiker in Kroatien

Insert2: Vladimir Vukasinovic, Professor an der Theologischen Fakultät in Belgrad

Insert3: Gojko Perovic, Rektor der geistlichen Mittelschule in Cetinje

Insert4: Nikola Martinovic , Rechtsanwalt in Podgorica

 

Insert5: Vladimir Vukasinovic, Professor an der Theologischen Fakultät in Belgrad

Gesamtlänge: 8’00

Das Begräbnis von Patriarch Irinje Gavrilovic stand in doppelter Hinsicht im Zeichen der Corona-Pandemie; erstens ist die Zahl der Neuinfektionen in Serbien sehr hoch; zweitens starb Irinej an den Folgen des Virus; daher waren die Abstandsregeln strenger als sonst bei Gottesdiensten üblich. Spekulationen über Kandidaten für die Nachfolge gibt es bereits; doch in Serbien will sich kein Insider offen dazu äußern, solange die 40 Tage dauernde Trauerzeit nicht abgelaufen ist, die beim Tod eines Patriarchen gilt. Andererseits liegen kaum Informationen darüber vor, worin sich potentielle Nachfolger in kirchenpolitischen Fragen voneinander unterscheiden:

Hrvoje Klasic, 6'48 - Standort bestimmt den Standpunkt - 7'40

"Ein Faktor sind sicher auch die unterschiedlichen Lebensumstände, unter denen bestimmte Bischöfe arbeiten. Nehmens sie etwa Grigorij in Deutschland, Porfirij in Kroatien oder Irinej Bulovic in Serbien; von diesen Personen heißt es immer, dass sie die drei aussichtsreichsten Kandidaten für das Amt des Patriarchen seien. Da gibt es erstens große Altersunterschiede, aber nicht nur das. Ich denke, dass das Leben in Deutschland oder Kroatien doch eine andere Haltung gegenüber der Welt und anderen schafft, als wenn man im Herzen Serbiens lebt und arbeitet."

Auch in Serbien ist die Zahl jener gering, die jeden Sonntag zum Gottesdienst gehen. Trotzdem ist die Kirche eine tragende Säule der serbischen Identität und damit ein politischer Faktor. Daher könnte Staatspräsident Alexander Vucic bestrebt sein, die Wahl des neuen Patriarchen in seinem Sinne zu beeinflussen. Politischen Druck soll jedenfalls der Wahlmodus abmindern:    

Vladimir Vukasinovic, 4'26 - Wahlmodus - 5'46

"Jeder der drei Kandidat muss ein Diözesanbischof mit mindestens fünfjähriger Amtszeit sein; für jeden muss eine zwei Drittelmehrheit der Bischöfe stimmen; danach werden die drei Namen in je ein Kuvert gelegt; sie werden in die Bibel gelegt, und dann zieht einer der angesehendsten alten Mönche ein Kuvert mit dem Namen des neuen Patriarchen; natürlich werden auch die beiden anderen Kuverts geöffnet. Der Urgrund für diesen Wahlmodus war, dass man in der Zeit des Kommunismus den zu erwartenden Druck der Machthaber auf die Wahl eines neuen Patriarchen mindern wollte.“

Wegen der Corona-Pandemie ist fraglich, ob die Wahl wie kirchenrechtlich vorgesehen binnen drei Monaten stattfinden kann, weil dazu zwei Drittel aller Bischöfe anwesend sein müssen.

Unklar ist daher auch, wann der Nachfolger von Metropolit Amfilohije Radovic gewählt wird. Der 82-jährige montenergrinische Kirchenfürst starb Ende Oktober nach einer überstandenen Corona-Infektion. Trotzdem waren Masken eine Seltenheit, und auch Patriarch Irinje dürfte sich beim Begräbnis mit dem Virus infiziert haben. Bezeichnend war das Begräbnis auch für die politische Situation im Lande. Offizielle Repräsentanten des Staates fehlten demonstrativ. Amfilohie war ein großserbischer Nationalist und daher ein Feindbild jener Montenegriner, die ihr Land auch geistig vom serbischen Einfluss lösen wollen. Obwohl in Montenegro 70 Prozent der Bevölkerung orthodox sind, ist das Verhältnis zwischen Religion und nationaler Identität viel komplexer als in Serbien

Gojko Perovic 22'11'6 - Identität und Kirche - 23'13'5

"Die Orthodoxen sind national geteilt; die einen identifizieren sich mit dem Staat und sie sehen sich als Montenegriner. Andere sagen: "Ja, ich bin Montenegriner, doch meine Tradition ist serbisch und ich werde diese serbische Identität nicht aufgeben. Doch all das spielt sich innerhalb einer Familie ab. Da gibt es Fälle, dass sich der eine Bruder als Montenegriner, der andere als Serbe fühlt. Die Aufgabe der Kirche ist es, dass sich diese Menschen nicht trennen, sondern die Kirche hat trotz ihrer nationalen Vorsilbe keine nationale Natur, sondern ist übernational.“

Theoretisch ist diese Feststellung richtig, doch die Realität ist komplexer; das zeigte in diesem Wahljahr der Streit um das Religionsgesetz, mit dem Staatspräsident Milo Djukanovic und seine Regierung das Eigentum der serbisch-orthodoxen Kirche unter ihre Kontrolle bringen wollten. Der Konflikt führte zu Massendemonstrationen gegen die Regierung, und die Kirche griff unter der Führung von Amfilohije massiv in den Wahlkampf ein, und zwar zugunsten der proserbisch dominierten Opposition. Ihr Spitzenkandidat wurde Zdravko Krivokapic, ein eng mit Amfilohije verbundener Universitätsprofessor. Sein heterogenes Bündnis gewann eine hauchdünne Mehrheit im Parlament, und Krivokapic soll nun Ministerpräsident werden; mit Amfilohijes Tod hat er seine stärkste politische Stütze verloren. Doch der Kirchenfürst war nicht nur politisch in Montenegro, sondern auch kirchenpolitisch in der serbischen Orthodoxie ein Machtfaktor, betont in Podgorica ein Rechtsanwalt, der die Regierung bei den Verhandlungen mit der Kirche über das Religionsgesetz vertreten hat:

Nikola Martinovic 7'12 - Amfilohije und die Rechtsstellung - 10'14'7

„Klar ist, dass die Metropolie unter Führung von Amfilohije einen Sonderstatus hatte, der aber nicht auf dem Kirchenrecht beruhte, sondern auf der persönlichen Autorität des Metropoliten. Er war einer der ältesten Bischöfe der serbisch-orthodoxen Kirche, und er führte die Kirche in Montenegro ohne große Einmischung aus Belgrad. Nach seinem Tod gibt es diese Autorität nicht mehr. Sicher ist, dass der Einfluss, den Amfilohije in der Bischofskonferenz hatte nach seinem Tod nicht mehr die Stellung sichern kann, die die serbisch-orthodoxe Kirche in Montenegro zu seinen Lebzeiten hatte.“

Offen ist daher, ob der montenegrinische Bischof Joanike, der als Administrator nun die Metropolie führt, auch Nachfolger Amfilohijes wird. Sicher ist, dass diese Wahl die Beziehungen zwischen Serbien und Montenegro beeinflussen wird. Darüber hinaus reicht die Bedeutung der Wahl des neuen Patriarchen; unter Irinje und dank der umsichtigen Politik von Papst Franziskus sind die Chancen für einen Papstbesuch in Serbien nun deutlich besser; doch noch besteht eine historische Erblast, die diesem Besuch entgegensteht:

20'23 - Papst und die KKK - 21'41

"In dieser Region gibt es mehrfach negative Erfahrungen zwischen der orthodoxen und der katholischen Kirche; gemeint ist damit die katholische Kirche in Kroatien. Mißtrauen und historische Wunden bilden bei vielen Serben ein Hindernis für die Umsetzung eines derartigen Besuchs. Das galt in größerem Maße bis zur Wahl von Papst Franziskus; mit ihm und all seinen Taten beginnt das Eis zu schmelzen und der Besuch wird wahrscheinlicher; wann das konkret sein wird, kann niemand sagen, doch die Zeichen der Hoffnung sind mit uns, und viel dazu haben unser Patriarch Irinej und der erste Bischof von Rom beigetragen."  

Der serbische Patriarch ist ein primus inter pares. Trotzdem wird der Nachfolger Irinejs eine wichtige Rolle dabei spielen, wie sich die Beziehungen zwischen Orthodoxie und katholischer Kirchen weiterentwickeln werden.

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