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Serbien 20 Jahr nach Sturz Milosevic

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Berichte Serbien

Am 5. Oktober 2000 stürzte eine unblutige Revolution in Belgrad den Autokraten Slobodan Milosevic. Während Milosevic neun Monate später an das Kriegsverbrecher-Tribunal für das ehemalige Jugoslawien ausgeliefert wurde, zerbrach in Belgrad die Anti-Milosvic-Koalition; ihr endgültiges Ende brachte die Ermordung ihres politischen Kopfes, Zoran Djindjic im März 2003. In den folgenden Jahren kehrten ehemalige Parteigänger von Slobodan Milosevic schrittweise wieder an die Macht zurück; seit sieben Jahren ist nun Alexander Vucic die dominierende politische Figur in Serbien; er begann seine Kartiere als Mitglied der ultranationalistischen Radikalen Partei, einem Koalitionspartner von Milosevic. Nun ist er Vorsitzender der Serbischen Fortschrittspartei und Präsident Serbiens; bereits vor 20 Jahren in Belgrad im Einsatz war unser Korrespondent Christian Wehrschütz; er hat den folgenden Beitrag über die Ausgangslage der Revolution, über die Gründe für ihr Scheitern und die Perspektiven Serbien 20 Jahre danach gestaltet:

Im Herbst 2000 dauerte der Zerfall des ehemaligen Jugoslawien bereits 10 Jahre. Die sogenannte Bundesrepublik Jugoslawien bestand nur mehr aus Serbien und aus Montenegro, das unter Milo Djukanovic immer stärker nach Unabhängigkeit strebte. Präsident Jugoslawiens war Slobodan Milosevic, der Vorsitzende der serbischen Sozialisten. Seine Herrschaft war nach dem NATO-Krieg um den Kosovo im Jahre 1999 erschüttert; es herrschte eine Wendestimmung doch die Opposition war schwach und zerstritten. Milosevic änderte daher das Wahlrecht und legte die Wahl des jugoslawischen Präsidenten mit der Wahl zum jugoslawischen Parlament zusammen, die für Ende September 2000 geplant war. Womit er nicht gerechnet hatte war, dass es dem Vorsitzenden der kleinen „Demokratischen Partei“, Zoran Djindjic, gelang, aus 18 marginalen Gruppen die Bewegung DOS zu bilden; diese Demokratische Opposition Serbiens brauchte noch einen Spitzenkandidaten, der Milosevic schlagen konnte; Djindjic schied als zu prowestlicher Politiker aus; schließlich fiel die Wahl auf Vojislav Kostunica; warum erläutert das ehemalige Mitglied der Bewegung DOS, Dragor Hiber, so:

"Über Vojislav Kostunica sagten Meinungsforscher, dass er gute Chancen habe, weil er Milosevic am ähnlichsten sei. Kostunica hatte diesen nationalistischen Anstrich; er kritisierte Milosevic zunächst vor allem wegen seiner Methoden und Misserfolge aber nicht wegen seines Programms. Daher war er für viele Wähler am annehmbarsten, und daher fiel die Wahl auf ihn."

Dieser Erfolg stellte sich bei der Wahl Ende September auch dank massiver westliche Hilfe ein; Kostunica gewann im ersten Wahlgang die erforderliche absolute Mehrheit; doch Milosevic versuchte durch juristische Tricks doch noch an der Macht zu bleiben. …

So kam es am Nachmittag des 5. Oktober zu einer Massendemonstration in Belgrad, die im Sturm auf das damalige jugoslawische Bundesparlament gipfelte. Polizei, Armee und die Staatssicherheit griffen nicht zugunsten von Milosevic ein, der seine Niederlage aber noch nicht akzeptiert hatte. Am 6. Oktober kam der russische Außenminister Igor Iwanow nach Belgrad; er traf mit Milosevic und Kostunica zusammen, der die übrige Oppositionsführung nicht informierte. Zu der bei diesem Treffen erzielten Vereinbarung sagt Zoran Zivkovic, der damals Bürgermeister von Nis und ein enger Mitarbeiter von Zoran Djindjic war:

"Milosevic sollte die Flucht nach Russland ermöglicht werden. Was wir über Treffen von Teilnehmern hörten, war, dass Kostunica das zusagte aber verlangte, dass Milosevic seine Niederlage eingestehen sollte. Am nächsten Tag erfüllte Milosevic diese Forderung. Diese Vereinbarung verpflichtete uns zu nichts; Milosevic hätte vor allem in Serbien der Prozess gemacht werden sollen, doch wegen unserer internationalen Verpflichtungen lieferten wir ihn schließlich an das Haager Tribunal aus."

Diese Auslieferung erfolgte am 28. Juni 2001 gegen den Widerstand von Vojislav Kostunica durch Zoran Djindjic, der seit Jahresbeginn serbischer Ministerpräsident war. Das Oppositionsbündnis DOS war damals bereits zerbrochen, die Ablöse der Milosevic-Kader in Serbien war weitgehend gescheitert. Beide Politiker trennten nicht nur tagespolitische Fragen, erläutert Dragor Hiber:

"Kostunica und Djindjic sind die Symbole für zwei Sichtweisen auf die Zukunft Serbiens, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts bis heute bestehen. Der eine ist konservativ, der andere ein Reformer, der eine siedelt Serbien im Osten an, der andere im Westen. Dieser tiefe Unterschied zeigte sich sofort nach dem Fall von Milosevic. Das war ein Konflikt zwei politischer Konzepte."

Zu diesem Konflikt kamen noch enorme innen- und außenpolitische Probleme und eine katastrophale soziale und wirtschaftliche Lage in Serbien. Dazu zählten die Klärung des Verhältnisses zu Montenegro, die Politik gegenüber dem Kosovo sowie das Haager Tribunal. Dazu sagt Dragor Hiber:

"All das bremste andere Reformen; es war nicht möglich Polizei und Justiz völlig zu reformieren, wenn man die ganze Zeit vom Westen unter Druck gesetzt wird, Kriegsverbrecher an Den Haag auszuliefern, während es innenpolitischen Druck dagegen gibt; wenn es Kräfte gibt, die den Verlust des Kosovo nicht akzeptieren wollen und Montenegriner als Verräter bezeichnet. Das war das Bild der Regierung von Djindjic."

Zoran Djindjic gelang nur die Klärung der Beziehungen zu Montenegro. Alles andere blieb Stückwerk …

Denn im März 2003 wurde Zoran Djindjic im Innenhof der Regierung von einem Scharfschützen ermordet. Bei seinem Staatsbegräbnis gab ihm eine unübersehbare Menschenmenge das letzte Geleit. Heute erinnert in Belgrad nur eine Straße an den Ministerpräsidenten, dem es nicht vergönnt war, Serbien zu einem modernen westlichen Staat zu machen. Der 20. Jahrestag des Sturzes von Milosevic verlief ohne nennenswerte Gedenkfeier. Was blieb von Zoran Djindjic? Diese Frage beantwortet Zoran Zivkovic so:

"Von ihm blieb die Erinnerung bei einem guten Teil der Bevölkerung, die erst nach seiner Ermordung verstand, was er und sein Wert in der modernen serbischen Geschichte waren. Abgesehen von einem Dutzend Personen die aus seiner Zeit noch politisch aktiv sind, und abgesehen von noch eineinhalb Millionen Serben, die beim Wort Djindjic an eine versäumte Chance denken, blieb in der Politik nur wenig zurück."

Zoran Zivkovic wurde Djindjics Nachfolger als Ministerpräsident; doch Ende 2003 verlor die DS die Parlamentswahl und musste in die Opposition. 17 Jahre später ist die DS zerstritten und völlig bedeutungslos. Starker Mann Serbiens ist seit 2012 Alexander Vucic, der unter Milosevic Informationsminister in Serbien war. Vucic ist Staatspräsident und Vorsitzender der Fortschrittspartei, die im Parlament seit der Wahl im Juni über die absolute Mehrheit verfügt. Die Entwicklung Serbiens charakterisiert Dragor Hiber so:

"Es war nicht 1995, sondern 2010, als Vucic eine der Straßen Belgrads nach dem Kriegsverbrecher Ratko Mladic umbenennen wollte. Zwei Jahre später wurde er zu einem proeuropäischen Politiker, der Serbien in die EU führen will. Wesentlich ist, dass Serbien ein politisches System bildet, das im völligen Widerspruch zu westlichen Demokratien steht; daher ist die Annäherung an die EU nicht möglich. Das ist ein politisches System, in dem der Staatspräsident in völligem Widerspruch zur Verfassung darüber entscheidet, wer Minister wird. Somit ist das ein System, das keine Institutionen kennt. Denn der Präsident erteilt nur einer Person den Auftrag zur Regierungsbildung, die dann das Kabinett bildet."

Zoran Djindjic wollte das Problem des Kosovo durch eine Angliederung des serbisch dominierten Nordens lösen; diese Idee verfolgte auch Alexander Vucic, doch sie scheiterte am Widerstand des Kosovo und der EU. Vucic will das Kosovo-Problem lösen; auch der Weg Richtung EU zählt zu seinen Zielen, doch der jüngste Fortschrittsbericht aus Brüssel liest sich eher wie ein Bericht der Rückschritte Serbiens. Trotzdem bleiben EU und Kosovo die zentralen Herausforderungen. Die Totengräber der Revolution des 5. Oktober 2000 sind nun ihre unfreiwilligen Testamentsvollstrecker.

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