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Interview mit dem serbischen Präsidenten Alexander Vucic

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Berichte Serbien

CW: Als Lösung für den Konflikt zwischen Serbien und dem Kosovo wurde in den vergangenen Monaten vielfach über einen Gebietstausch, eine Grenzänderung spekuliert. Klar dagegen sind Deutschland und Großbritannien. Gibt es konkrete Vorschläge, wie eine derartige Grenzänderung aussehen könnte?

AV: "Wenn man von einer Festlegung der Grenze spricht, die in einzelnen europäischen Kreisen scharf verurteilt wurde, dann stelle ich nur fest, dass wir wissen wollen, wo die Grenzen zwischen Belgrad und Pristina liegen. Denn wo ist heute diese Grenze? Dort, wo sie Berlin und Wien sehen, oder dort wo sie Madrid und Athen sehen, dort, wo sie Washington sieht, oder dort, wo die Grenze für Peking, Rom oder Moskau liegt. Stellt man die Frage so, dann wird völlig klar, dass man eine Kompromisslösung braucht. Ich halte es für völlig falsch, wenn jeder in seiner Hauptstadt den Kopf in den Sand steckt und sagt, wir haben unsere Position und damit basta; ich glaube, dass man ein breites Feld zulassen muss für Gespräche vor allem zwischen Serben und Albanern, die an einer Lösung interessiert sind. Sollten wir je dazu kommen, denn wir sind derzeit sehr weit davon entfernt, so sollte man das unterstützen. Vor 30 und 20 Jahren hat man Grenzen geändert und jetzt stört es, wenn jemand sagt, laßt uns die Grenzen festlegen. Laßt uns diese Grenze ziehen, damit wir Frieden und Stabilität die nächsten hundert Jahre haben."

CW: Zweifellos gibt es informelle Gespräche zur Lösung des Kosovo-Konflikts. Worüber wird da gesprochen, auch über die Grenzfrage, aber wahrscheinlich auch über noch viele andere Fragen?

AV: "In informellen Gesprächen sprechen wir über alles, jeder präsentiert seine Ideen. In informellen Gesprächen redet man über die Zukunft, bleibt man nicht in der Vergangenheit, spricht darüber, was erreicht werden muss. Denn viel wichtiger als die Grenze ist ein Gesamtpaket. Dazu zählen der europäische Weg Serbiens, die Sicherheit der Bewohner im Kosovo, die Fragen des Eigentums, der Rückkehr von Flüchtlingen und Vertriebenen, der serbischen Firmen, der Schulen und Krankenhäuser, der Klöster; das sind viele Fragen, die es zu lösen gilt, ehe wir zur Frage der Grenze kommen. Ich fürchte, dass heute nur wenige Personen in der Region und weltweit irgendetwas lösen wollen. Alle warten auf bessere Zeiten, die aber nicht kommen werden; das ist nur eine Ausrede und eine Rechtfertigung für Untätigkeit. Das ist am leichtesten, doch ich bin gegen leichte Lösungen."

CW: Wie bewerten Sie generell den Dialog zwischen Belgrad und Pristina unter Federführung der EU. Die Gespräche dauern bereits fünf Jahre, mehr als ein Jahr gibt es praktisch keine Fortschritte.

AV: "Am leichtesten ist es zu sagen, dass die Gespräche nichts gebracht haben. Doch in den fünf Jahren, haben wir von vereinzelten Zwischenfällen abgesehen, den Frieden und Stabilität bewahren können. Das ist das wichtigste Ergebnis auch für alle, die im Kosovo leben, für die Serben und die Albaner. Verhandlungen sind die einzige Option, eine andere gibt es nicht. Dazu zählt auch das Besterben, Verständnis für unsere Position bei der EU und den anderen Großmächten zu finden."

CW: Der Status quo im Verhältnis zwischen Belgrad und Pristina ist für Sie somit keine Option?

AV: "Der Status quo ist eine große Gefahr für uns alle. Ich bin absolut gegen einen eingefrorenen Konflikt; daher ist es besser, dass wir auch noch die nächsten zehn Jahre weiterverhandeln wenn nötig, denn einmal wird eine Vereinbarung erzielt werden, als dass wir auch bessere Zeiten warten, denn ein eingefrorener Konflikt wird zu nichts Gutem führen."

CW: Wie wirkt sich die Krise in der EU auf den Westbalkan aus?


AV: "Jede Instabilität, jeder Streit, Konflikte auch nach dem Brexit, die sich in der EU ereignen, vermindert die Anziehungskraft der EU für uns alle am Balkan. Denn die Menschen sagen, wen ihr derart untereinander streitet, was ist das denn für eine Botschaft für uns. Alle Staaten des Westbalkan befinden sich auf dem Weg nach Europa, doch eine Begeisterung gibt es nicht mehr. Das zeigt eine gewisse Skepsis, der heute am Westbalkan vorherrscht, doch wir, die wir unsere Länder führen, müssen im Interesse der Völker rational und seriös sein, und daher wissen, wie wichtig und warum der europäische Weg wichtig ist für alle Staaten des Westbalkan"
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