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Das Sterben der Dörfer in Serbien

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Berichte Serbien
Abwanderung und Landflucht sind auch in der Steiermark und Kärnten ein Problem; doch die Dimension des Sterbens der Dörfer in Serbien geht weit über all das hinaus, was man sich in Österreich vorstellen kann. In Serbien gibt es 4.700 Ortschaften, ein Viertel davon ist vom Aussterben bedroht, weil jeder dieser Orte nur mehr weniger als 100 Einwohner zählt. 2.700 Dörfer haben keinen Kindergarten, zu 500 führen keine asphaltierten Straßen; eine Studie der serbischen Akademie der Wissenschaften hat jüngst die katastrophale Lage der serbischen Dörfer aufgezeigt und auch Lösungen vorgeschlagen. In Serbien hat unser Korrespondent Christian Wehrschütz einige dieser Dörfer besucht und auch mit dem Autor der Studie gesprochen; hier sein Bericht:

Eine Herde mit 40 Schafen und einem Schafhirten wandert über eine Lichtung im Gebiet des Dorfes Kosmovac im Grenzgebiet zu Bulgarien in Südostserbien. Das Bild ist malerisch, der Eindruck des Dorfes bedrückend. Auf mehr als 700 Höhenmeter gelegen sind in dem Dorf viele verfallene Häuser zu sehen; vor 50 Jahren lebten noch 500 Serben im Dorf, jetzt sind es noch 50. Es gibt weder Lebensmittelgeschäft, Apotheke noch einen Arzt. Eine Ruine ist auch die Schule, die Zoran Jovanovic selbst noch besucht hat; er betreibt in Kosmovac noch Viehzucht, seine Kinder gehen bereits in einem anderen Ort zu Schule. Jovanovic kann sich nicht mehr erinnern, wann in diesem Dorf das letzte Kind geboren wurde. Läßt sich das Dorf Kosmovac noch retten? Zoran Jovanovic ist pessimistisch: „Jetzt ist sehr schwer; man hätte viel früher investieren müssen, damit das Dorf nicht stirbt. Man hätte nicht nur die Industriezentren entwickeln dürfen, damit die Menschen in den Dörfern hätten bleiben können. Eine Möglichkeit ist der Urlaub am Bauernhof; doch dazu braucht es Investitionen; die Bewohner alleine schaffen das nicht.“Das Sterben der serbischen Dörfer begann bereits nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Industriealisierungspolitik des kommunistischen Jugoslawien, das keinen Wert auf dörfliche Entwicklung legte. Die zweite Abwanderungswelle begann mit den Gastarbeitern in den 70-iger Jahren, die dritte folgte im Zuge der Zerfallskriege in Jugosalwien. Betroffen sind nicht nur Bergdörfer, sondern auch die Vojvodina, wo auch Angehörige der nationalen Minderheiten auswanderten. 17 Jahren nach dem Fall des Autokraten Slobodan Milosevic dauert das Sterben der Dörfer an; dazu sagt in Belgrad der Chefautor der Studie der Akadamie der Wissenschaften, Prof. Dragan Skoric„Es feht an einer guten Strategie für die dörfliche Etwicklung. Wir haben durch viele Konferenzen versucht, eine Lösung aufzuzeigen. Leider versteht die Regierung noch immer nicht ausreichend die wirkliche Lage in den Dörfern. Doch das Projekt des Ministers für regionale Entwicklung ist ein positiver Ansatz; geplant sind 500 Genossenschaften in 500 Dörfern. Denn der größte Schwachpunkt liegt daran, dass die Dörfer nicht organisiert sind, sondern aus lauter Einzelspielern bestehen, die jeweils nur wenige Hektar bearbeiten oder nur kleine Herden haben. Durch Genossenschaften sollen Produktion und Spezialisierung gestärkt werden. Ziel ist es, auf den Märkten in Serbien und auch im Ausland erfolgreich sein zu können.“ Doch selbst wenn die serbische Regierung eine intensive Regionalpolitik betreiben sollte, wird eine Trendwende viel Zeit brauchen; Dragan Skoric: „Um die Lage in den Dörfern zu verbessern, werden zumindestens zehn Jahr vergehen. Das gilt vor allem für Bergdörfer. Wir haben vorgeschlagen, in diesen leeren Rämen kleine und neue landwirtschaftliche Städte mit einer neuen Infrastruktur zu schaffen. Dann sollen Wettbewerbe ausgeschrieben werden, damit sich Menschen dort ansiedeln und Lebensmittel produzieren. Vier Pilotprojekte sollten gebildet werden; auch die Ansiedlung junger Ehepaare sollte gefördert werden wie das etwa Rumänien macht; dort bekommt ein junges Ehepaar 50.000 Euro an Förderung, wenn es im Dorf bleibt.“ Bisher ist Serbien diesem Beispiel nicht gefolgt; vielmehr Geld wird in das Prestigeprojekt „Belgrad am Wasser“ investiert, mit dem quasi ein neuer Stadtteil gebaut und die sogenannte „Belgradisierung“ Serbiens eher noch beschleunigt wird.
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