× Logo Mobil

Wahlen im Zeichen von Vucic

Radio
Europajournal
Berichte Serbien
In Serbien wird kommenden Sonntag das Parlament neu gewählt; stimmberechtigt sind 6,7 Millionen Bürger; um sie werben 20 Listen, von denen aber nur sieben eine realistische Chance haben, die Fünf-Prozent-Sperrklausel zu überspringen, die für den Einzug ins Parlament in Belgrad gilt. Die Wahl am Sonntag ist eine vorgezogene Wahl; denn Ministerpräsident Alexander Vucic hätte noch zwei Jahre mit seiner absoluten Mehrheit und mit seinem Koalitionspartner, der Sozialistischen Partei, regieren können; doch er will jetzt klare Verhältnisse schaffen, weil er in den kommenden vier Jahren die Beitrittsgespräche mit der EU abschließen will. Vucic, der sich vom serbischen Ultranationalisten zum EU-Befürworter gewandelt hat, ist haushoher Favorit; seine serbische Fortschrittspartei sollte auf jeden Fall die absolute Mandatsmehrheit wieder erreichen; Vucic werden etwa 50 Prozent der Stimmen vorausgesagt, die zweitplatzierten Sozialisten von Außenminister Ivica Dacic können mit knapp 10 Prozent rechnen; weitere fünf Parteien liegen um die Fünf-Prozenthürde, und das macht das eigentlich Spannende des Wahltages aus. Aus Serbien berichtet unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz:

Der Wahlkampf in Serbien kannte einen Riesen und viele Zwerge. Der Riese war der amtierende Ministerpräsident Alexander Vucic, die Zwerge alle übrigen Parteien. Der 1970 in Belgrad geborene Vucic wandelte sich vor einigen Jahren vom Ultranationalisten zum Befürworter der Aussöhnung am Balkan und zum Anhänger des EU-Beitritts. Im Wahlkampf präsentierte er sich und seine Fortschrittspartei SNS als Partei der Mitte, als Garant für Mäßigung und Stabilität in Serbien. Getreu seinem Wahlkampfmotto „Wähl‘ die Zukunft“ verkündete Alexander Vucic auch in der Stadt Sremska Mitrovica:

„Wir müssen uns entscheiden, ob wir in die Vergangenheit, in das Jahr 2000 zurückwollen, als die räuberische Privatisierung begann; viele Arbeiter, die heute hier sind, waren damals Zeugen. Dagegen bringen wir heute Investoren nach Sremska Mitrovica, um all das in Ordnung zu bringen, was man hier vor zehn Jahren zusammengestohlen hat.“ „Auf der anderen Seite gibt es jene, die nicht verstehen, dass sich die Welt, dass sich Serbien verändert haben. Sie verstehen nicht, dass niemand mehr in der Welt mit dem Finger auf Serbien zeigt, das nun ein angesehenes Land ist. Wir brauchen keine Konflikte, keine negativen Schlagzeilen der Weltpresse. Wir brauchen ein gutes Image, damit ausländische Investoren kommen, die Arbeitsplätze schaffen, damit wir höhere Pensionen und Löhne im öffentlichen Sektor bezahlen können.“

Mit dem Jahr 2000 zielt Vucic auf die DS, die Demokratische Partei, die am 5. Oktober 2000 den Autokraten Slobodan Milosevic stürzte und unter Zoran Djindjic die Herkules-Aufgabe der Erneuerung Serbiens begann. Djindijc fiel im März 2003 einem Attentat zum Opfer; seine Nachfolger verspielten in den kommenden neun Jahren sein politisches Erbe durch das Kokettieren mit dem Nationalismus und durch Korruption. Die DS spaltete sich mehrfach; sie und zwei Abspaltungen liegen an der Fünf-Prozent-Hürde; den Niedergang der DS erklärt der Meinungsforscher Srdjan Bogosavljevic so:

„Einerseits hat Alexander Vucic die proeuropäische politische Agenda übernommen, die der stärkst Kitt in der DS war. Vucic hat mehr auf diesem Weg erreicht als die DS jemals zuvor, und das hat deren Kernwähler zu mindestens verunsichert. Die Gründe für die Spaltungen waren vor allem persönliche Eifersüchteleien, auch wenn versucht hat, Abspaltungen ideologisch zu begründen. Die DS war eine Partei mit vielen Intellektuellen in der Führung; sie sind zwar auch eloquenter aber auch anfälliger für Eifersüchteleien.“

Der Ultranationalist Vojislav Seselj steht auf der anderen Seite des politischen Spektrums. Der ehemalige politische Ziehvater von Alexander Vucic dürfte mit seiner Radikalen Partei den Wiedereinzug ins Parlament schaffen. Trotz seiner 61 Jahre hat Seselj immer noch Charisma; mit dem Haager Tribunal hatte er auch einen unbezahlten, ausgezeichneten Helfer im Wahlkampf. Der Freispruch in erster Instanz Ende März nach 11 Jahren Haft brachte Seselj in Serbien Popularität und viel Präsenz in den Medien. Vojislav Seselj trägt starke, populistische Züge; seine Wähler sind älter und wenig gebildet; ideologisch gefestigter, jünger und gebildeter sind die Anhänger des Bündnisses, das die Bewegung Dveri mit der Partei DSS des früheren Ministerpräsidenten Vojislav Kostunica eingegangen sind. Sie wollen die Verhandlungen mit dem Kosovo in Brüssel ebenso stoppen wie die Beitrittsgespräche mit der EU; dazu sagt Dveri-Spitzenkandidat Bosko Obradovic:

„Wir wollen den totbringenden Weg Serbiens in den EU stoppen; er ist gepflastert mit Druck und Erpressungen, ein Weg, der uns wirtschaftlich versklavt, auf den wir hingebomt wurden durch die EU, die uns den Kosovo weggenommen hat. Außerdem wollen wir den Ausverkauf unserer Wirtschaft an Ausländer aufhalten. Die wichtigsten Betriebe müssen in staatlicher Hand bleiben und die Basis für unsere wirtschaftliche Entwicklung bilden. Außerdem sollen staatliche Subventionen für ausländische Investoren umgeleitet werden in die heimische Wirtschaft und die Landwirtschaft.

An die Stelle der krisengeschüttelten EU sollen ein Europa der Vaterländer und ein Bündnis mit Russland treten, fordert Bosko Obradovic:

„Alle neuen politischen Kräfte in Europa, von der Nationalen Front in Frankreich über die FPÖ in Österreich und Viktor Orban in Ungarn sehen ein strategisches Bündnis mit Russland als die Zukunft Europas. Europa will kein Diener der USA mehr sein, das für US-Interessen gegen Russland Krieg führt. Alle neue europäischen Kräfte, zu denen auch unsere Bewegung Dveri zählt, sehen Russland als Teil Europas, wollen nicht mehr US-Interessen dienen, sondern wollen eine strategische Zusammenarbeit mit Russland.“

Rolle und Bedeutung dieser Parteien nach der Wahl, beschreibt der Politologe Zoran Stojilkovic so:

„Bis jetzt hatten wir etwa 30 Prozent EU-Gegner, die durch keinen Abgeordneten im Parlament vertreten wurden. Doch diese beiden Gruppierungen werden maximal 15 Prozent der Stimmen erzielen; das wird sogar die Arbeit der Regierung erleichtern, weil die dann im Parlament vertretenen Oppositionsparteien voneinander politisch weiter entfernt sind als von der Regierung. Radikale sowie DSS und Dveri werden eher exotisch bei den Debatten wirken aber keinen Einfluss auf die staatliche Politik haben.“  

„Bella Ciao“ ist ein Lied italienischer Partisanen aus dem Zweiten Weltkrieg. Zum Einsatz kam es in Serbien bei Kundgebungen der Sozialistischen Partei von Außenminister Ivica Dacic. Die Sozialisten treten wieder mit einer erfolgreichen Regionalpartei an; der bisher Dritte im Bunde, die Pensionistenpartei, wechselte ins Lager von Ministerpräsident Alexander Vucic. Unter älteren Wählern finden sich nicht nur Anhänger von Slobodan Milosevic, sondern auch von Josip Broz Tito, dem Schöpfer des kommunistischen Jugoslawien. Im Kampf um diese Wähler kommt bei den Sozialisten auch Titos Enkel, Joska Broz, zum Einsatz. Bei einer Kundgebung beschwor Joska Broz die Leistungen seines Großvaters:

„1945 haben wir den Wiederaufstieg des Landes versprochen; wir waren erfolgreich; Fabriken, Krankenhäuser und Schulen haben wir gebaut; Junge konnten gratis in die Schule gehen. Wir hatten das sicherste Land und alles, wonach ein einfacher Mensch strebt. Damals lebten 99 Prozent der Menschen gut und ein Prozent schlecht; heute ist es genau umgekehrt.“

Wie sehr die Sozialisten mit der Hinwendung zu Tito punkten können, wird sich am Sonntag zeigen. Meinungsforscher trauen - abgesehen von der Regierungspartei SNS natürlich – nur noch den Sozialisten ein zweistelliges Ergebnis zu. Ob Alexander Vucic mit Ivica Dacic die Koalition fortsetzen wird, ist offen. Klarer sind die Parameter, die über die Stärkeverhältnisse im Parlament entscheiden. Dazu sagt der Meinungsforscher Srdjan Bogosavljevic:

„Für die SNS ist es am wichtigsten, dass so wenig wie möglich Parteien die Sperrklausel überspringen. Die SNS wird etwa 50 Prozent der Stimmen bekommen, doch wie jetzt 63 Prozent der Mandate kann sie nur erhalten, wenn wenige Parteien die Fünf-Prozent-Hürde überspringen. Da kann der SNS auch eine sehr hohe Wahlbeteiligung helfen, weil sie die Stimmenanzahl erhöht, die eine Partei braucht, um die Sperrklausel zu überspringen.“

Alexander Vucic wird somit Ministerpräsident bleiben. Sehr rasch nach der Wahl wird er zeigen müssen, ob er den Willen zu schmerzlichen Reformen aufbringt; sie blieb er bisher vom öffentlichen Sektor bis hin zur Justiz schuldig, Versäumnisse, die im weitgehend inhaltsleeren Wahlkampf nicht zur Sprache kamen; Reformen, ohne die Serbien aber binnen vier Jahren nicht beitrittsreif für die EU werden kann, ein politisches Ziel, das Vucic im Wahlkampf jedenfalls verkündet hat.

Facebook Facebook