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Interview mit Ministerpräsident Alexander Vucic

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Berichte Serbien


KZ: Serbien und Vertreter des serbischen Volkes werden nicht an den Gedenkfeiern in Sarajewo zum Attentat an Franz Ferdinand teilnehmen. Warum nicht?

AV: „Ich wollte nach Sarajewo kommen; doch für mich war es nicht akzeptabel vor einer Tafel zu stehen, auf der steht: „Hier begingen serbisch-faschistische Aggressoren Verbrechen“. Das kann ich einfach nicht tolerieren. Das ändern aber nichts daran, dass ich der Meinung bin, dass wir auf derselben Seite wie die Österreicher und die Deutschen stehen müssen, und dass das viel klüger für die Serben wäre. Das habe ich auch offen im Beisein von Milorad Dodik und Emir Kusturica gesagt. Ganz offen: mir ist es gleichgültig, was andere denke. Das ist die Politik dieser Regierung, die ich vertrete, und so sehen wir auch die Zukunft Serbiens.“

KZ: Die Überschwemmungen in Serbien haben Schäden im Ausmaß von zwei Milliarden Euro verursacht. Wie wollen Sie Landwirtschaft und Energieversorgung wieder in Gang bringen, gleichzeitig aber verhindern, dass viele Betroffene, die bereits am Rande der Armut lebten, nun in die Armut abgleiten?

AV: „Allein die Erneuerung der kleinen Uferböschungen brauchen wir mehr als 25 Millionen Euro; doch der größte Schaden betrifft die Wirtschaft, verlorene Arbeitsplätze und Betriebe. So steht in einer großen Stadt wie Obranovac alles, weil die Menschen nicht arbeiten können. Daher hat die Regierung allein dafür neun Millionen Euro bereitgestellt für Kredite mit Zinsen von nur 1,8 Prozent und einer langen Tilgungsfrist, damit Firmen rasch wieder beginnen und die Menschen wieder arbeiten können. Das sind die größten Herausforderungen und Probleme.“

KZ: Sie haben jüngst in Deutschland um Investoren geworben. Die Hindernisse sind bekannt. Bis wann wird es ein neues Arbeitsgesetz, eine neue Bauordnung und ein neues Privatisierungsgesetzt geben?

AV: „Binnen zehn Tagen wollen wir das neue Arbeitsrecht beschließen, binnen sechs Wochen dann das Privatisierungsgesetz, das neue Konkursrecht und die neue Bauordnung. Das müssen wir so rasch wie möglich erledigen, weil wir die Überschwemmungen nicht als Alibi dafür nutzen wollen, um Reformen zu verzögern. Vielleicht geht es um einige Tage auf oder ab, doch wie schieben nichts für ein Jahr auf.“

KZ: Serbien subventioniert seine 157 Staatsbetriebe pro Jahr mit 750 Millionen Euro. Wie sollen diese Betriebe restrukturiert werden und welche wollen Sie bis wann privatisieren?

AV: „Das sind Unternehmen, die in Wirklichkeit bankrott sind, doch wir als Staat haben diesen bankrott bisher nicht akzeptiert, bezahlen Löhne an Arbeiter, die wenig bis gar nichts produzieren, weil die Schließung die betreffende Stadt oder den Staat treffen würde. Diese Praxis muss aufhören, weil wir dafür sehr viel Geld ausgeben und dadurch finanziell enorm ausbluten. Für Zastava haben wir FIAT gefunden, doch unter den 157 Betrieben gibt es viele, für die wir nie einen Partner finden werden. Hier müssen wir einen Schlussstrich ziehen, weil niemand an eine gesunde serbische Wirtschaft glauben wird, wenn wir das nicht hinter uns bringen.

KZ: Ihr zentrales Thema war lange der Kampf gegen die Korruption. Wo steht da Serbien heute? Denn es geht auch um das juristische Nachspiel, um die rechtskräftige Verurteilung von Personen, die sich der Korruption schuldig gemacht haben.

AV: „Ich bin nicht zufrieden vor allem mit dem Tempo unserer Gerichte; da habe ich große Vorbehalte, doch mehr kann ich nicht sagen, weil ich mich in die Unabhängigkeit der Justiz nicht einmischen kann. Ich wünsche mir größere Effizienz, habe aber keine Zweifel an der Redlichkeit der Gerichte. Ich wünsche mir, dass die Justiz sich bewusst ist, dass die Menschen Gerechtigkeit erwarten. Unsere wichtigste Botschaft muss sein, dass sich Diebstahl und Korruption nicht auszahlen; doch diese Botschaft können wir nicht aussenden, wenn Verfahren zwischen drei und fünf Jahren dauern.“

KZ: Bulgarien hat auf Wunsch der EU den Bau der Erdgasleitung „Southstream“ gestoppt. Wie steht es denn derzeit in Serbien um das Projekt? Wann ist mit einem realen Baubeginn zu rechnen?

AV: „Wir wissen nicht, was jetzt mit „Southstream“ sein wird; doch noch größer ist das psychologische Problem. Eine Krise im weltweiten Ausmaß wie die Ukraine-Krise führt dazu, dass Investoren weniger bereit sind, Geld in die Hand zu nehmen und denken darüber nach, wo eine weitere Krise ausbrechen könnte. Dabei fällt ihnen dann der Westbalkan ein. Ich bin glücklich, dass Serbien heute ein Stabilitätsanker ist, trotzdem haben mich viele mögliche Investoren mit dieser Frage konfrontiert. Daher bin der deutschen Kanzlerin und auch allen österreichischen Politikern dankbar, die verstehen, wie bedeutsam die Stabilität Serbiens und des gesamten Westbalkan ist.“

KZ: Stichwort EU: Wann erwarten Sie die konkrete Eröffnung des ersten Verhandlungskapitels, wo rechnen Sie mit den größten Herausforderungen und wann hoffen Sie, dass Serbien beitrittsreif sein kann?

AV: „Ich hoffe, dass wir die Kapitel 32 und 35 (Finanzkontrolle und Kosovo) Ende Sommer oder Anfang Herbst eröffnen können, und dass dann zu Beginn des kommenden Jahres die für uns wichtigsten Kapitel 23 und 24 (Justiz, Grundrechte // Sicherheit, Kampf gegen Korruption) folgen werden. Ich glaube, dass Serbien bis zum Jahre 2019 alle wichtigen Reformen durchführen kann. Das wird enorm schwierig für uns; es wird viele Probleme, Widerstände und Streiks geben. Doch wenn wir dieses große Ziel vor uns haben, dann müssen wir es auch erreichen. Ich halte diese Hausaufgaben für erfüllbar, und dann wird es an den anderen Staaten in der EU liegen, zu entscheiden, was aus uns wird.“

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