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Serbien und der Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen

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Berichte Serbien
Morgen wird die EU bei einer Regierungskonferenz in Brüssel offiziell den Startschuss für Beitrittsverhandlungen mit Serbien geben. Mehr als 13 Jahre nach dem Sturz des Autokraten Slobodan Milosevic haben ironischerweise ausgerechnet dessen ehemalige politische Weggefährten, Ministerpräsident Ivica Dacic und sein Stellvertreter, der Vorsitzende der größten Regierungspartei, Alexander Vucic, dieses strategische Ziel erreicht. Dacic und Vucic werden auch persönlich am feierlichen Verhandlungsbeginn teilnehmen.

Vorbedingung für die Beitrittsgespräche war die schrittweise Normalisierung der Beziehungen zwischen Serbien und dem Kosovo, die mit einem Grundsatzabkommen im April des Vorjahres ebenfalls in Brüssel begonnen hat. Die weitere Normalisierung hat die EU in ein eigenes Verhandlungskapitel gepackt. Insgesamt gibt es 35 Kapitel, und im letzten, das den Namen „Allfälliges“ trägt, wird das Thema Kosovo vorwiegend abgehandelt werden. Über den genauen Inhalt dieses Kapitels soll bereits übermorgen in Brüssel ausführlich mit Serbien verhandelt werden. Der Verhandlungsrahmen sieht jedenfalls vor, dass am Ende der Beitrittsgespräche Belgrad und Pristina eine Art Grundlagenvertrag unterzeichnen müssen; ob dazu auch die Anerkennung des Kosovo durch Serbien zählen wird, ist derzeit offen, weil sogar fünf EU-Mitglieder den Kosovo noch nicht anerkannt haben. Bis zum EU-Beitritt Serbiens werden wohl – trotz anderslautender viel optimistischerer Prognosen von Ivica Dacic - noch etwa zehn Jahre vergehen.

Der Kosovo ist auch das Thema, dass die Verhandlungen zwischen Belgrad und Brüssel von allen vorangegangenen Erweiterungsrunden der EU unterscheidet. Während Serbien über den Beitritt verhandelt, verhandelt der Kosovo gleichzeitig über ein Stabilisierungs- und Assoziationsabkommen mit der EU, das eine Vorstufe zu Beitrittsgesprächen darstellt. Für Serbien wiederum gilt bei den Gesprächen derselbe Verhandlungsmodus wie für seinem Nachbarn Montenegro, mit dem die EU seit Sommer 2012 Beitrittsgespräche führt. Im Unterschied zu Kroatien gibt es nicht nur Vorbedingungen für die Eröffnung und Schließung eines Kapitels, sondern auch noch Zwischenbedingungen, die zu erfüllen sind. Bereits dieser Modus spricht für eine lange Verhandlungsdauer. Ebenso wie im Fall Montenegros will die EU die beiden besonders schwierigen Kapitel Justiz und Grundrechte sowie Justiz, Freiheit und Sicherheit bereits zu Beginn der Gespräche eröffnen. Zu diesen Kapiteln zählen die Justizreform sowie der Kampf gegen Korruption und Organisierte Kriminalität und damit auch in den Augen der EU-Mitglieder besonders sensible Bereiche. Wann - abgesehen vom Kosovo-Kapitel – über die ersten Kapitel konkret verhandelt wird, ist noch offen. Im Gange ist derzeit, das „Screening“, sprich die Durchleuchtung des serbischen Rechtsbestandes und seines Abgleichs mit dem Rechtsbestand der EU und den von ihr verlangten Standards.

Dass Serbien um den Preis der EU-Verhandlungen zur Normalisierung mit dem Kosovo bereit ist, hat drei Gründe. Erstens setzte sich in der Regierung die Erkenntnis durch, dass Belgrad die Staatsbildung des Kosovo zwar erschweren aber nicht aufhalten kann. Zweitens ist die soziale und wirtschaftliche Lage in Serbien äußerst schwierig. Seit Beginn der internationalen Finanzkrise vor fünf Jahren haben etwa 400.000 Serben ihren Arbeitsplatz verloren. Die Arbeitslosigkeit erreichte mehr 20 Prozent, Staatsverschuldung und Budgetdefizit sind stark angestiegen. Die positiven Exportzahlen im Vorjahr gehen nur auf wenige Firmen wie den Autobauer FIAT zurück, während die Konkurrenzfähigkeit der serbischen Wirtschaft insgesamt gering ist. Hinzu kommen Staatsbetriebe und Bürokratie, die erst reformiert werden müssen. Bei 7,3 Millionen Einwohnern sind überhaupt nur 1,7 Millionen beschäftigt, davon arbeiten 700.000 im Staatssektor. Die Schattenwirtschaft wird auf 30 Prozent der Wirtschaftsleistung geschätzt, auf einen Arbeitnehmer kommt bereits ein Pensionist, Baugenehmigungen dauern 250 Tage, der Investitionsbedarf für die Erreichung von Umweltstandards guter EU-Mitglieder wird auf mehr als 10 Milliarden Euro geschätzt. Wegen massiver Landflucht ist der Vorstand eines bäuerlichen Familienbetriebes im Durchschnitt 59 Jahre alt, und 95 Prozent der Traktoren sind älter als zehn Jahre. Daher ist es kein Wunder, dass die EU vor allem als Modernisierungsfaktor begehrt ist, wie die serbische EU-Chefverhandlerin, Tanja Miscevic, betont: „Es gibt keinen anderen Weg, um aus Serbien einen modernen Staat zu machen als durch die Annäherung an die EU. Ihre sogenannte Transformationskraft ist das, was uns anzieht, obwohl wir wissen, dass bis zur Mitgliedschaft noch viel Zeit vergehen und noch sehr viel Arbeit vor uns liegen wird.“ Das stimmt zweifellos, doch ein wichtiger Schritt wird morgen in Brüssel getan, gerade auch zur weiteren Stabilisierung des Balkan.

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