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Belgrads Kampf um den Ersten Weltkrieg

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Berichte Serbien
Je näher der 28. Juni 2014 und damit der hundertste Jahrestag des Attentats von Gavrilo Princip auf Thronfolger Franz Ferdinand und seine Gattin in Sarajewo rücken, desto stärker kämpft offensichtlich auch Serbien um seine Rolle als reines Opfer deutsch-österreichischer Aggression zu Beginn des Ersten Weltkrieges. So veröffentlichte das serbische Staatsarchiv vor einigen Tagen Auszüge aus einer Kopie eines Briefes, den der Militärgouverneurin Bosnien, Oskar Potiorek, am 28. Mai 1913 an Finanzminister Leon Bilinski in Wien schrieb. Darin schreibt Potiorek, dass sich Österreich „systematisch auf einen, in einigen Jahren unvermeidlichen großen Krieg“ mit Serbien vorbereiten müsse, weil es nicht möglich sein werde, „aus Serbien einen zuverlässigen Freund zu machen“. Archivdirektor Miroslav Perisic bezeichnete den Brief, als eine der „bedeutendsten historischen Quellen für das Studium der Frage nach Schuld und Verantwortung für den Beginn des Ersten Weltkrieges“.

Während sich das Archiv vorläufig weigert, den gesamten deutschen Text des Briefs zu veröffentlichen, kündigte der international bekannte und dem serbischen Nationalismus keineswegs abgeneigte Filmregisseur Emil Kusturica an, einen Dokumentarfilm zum Ersten Weltkrieg drehen zu wollen. Gavrilo Princip haben einen „Besatzer, Rassisten und Antisemiten“ getötet, sagte Kosturica, der jedoch die Tatsache verschwieg, dass es gerade Franz Ferdinand war, der sich wiederholt gegen einen Präventivkrieg gegen Serbien ausgesprochen hatte. Diesen hatte Generalstabschef Conrad von Hötzendorf bereits nach der Annexionskrise um Bosnien (1908) gefordert, die die Beziehungen zwischen Wien und Belgrad massiv belastete. Hötzendorfs Denkschriften sind „amtsbekannt“; daher misst der Historiker Manfried Rauchensteiner, dem in Serbien veröffentlichten Brief keinen Neuigkeitswert bei. Rauchensteiner, der selbst ein Werk zum Ersten Weltkrieg veröffentlicht hat („Der Erste Weltkrieg: Und das Ende der Habsburgermonarchie 1914-1918“ / Böhlau-Verlag), spricht von „uraltem Kaffee“. Der hinderte serbische Zeitungen aber nicht daran, den Brief als Sensation zu verkaufen („Pläne für den Beginn des Ersten Weltkrieges bestanden schon 13 Monate vor dem Attentat in Sarajewo“ oder „Wir sind nicht schuld am Krieg“). Dabei verwies sogar die Tageszeitung „Politika“ bereits Ende September 2013 in einem Interview mit dem Historiker Christopher Clark auf die Kriegspläne Conrad von Hötzendorfs.

Gerade Clarks monumentales Werk über den Ersten Weltkrieg („Die Schalwandler - Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog) hat in Serbien massive Reaktionen ausgelöst. Denn Clark beleuchtet die Politik der europäischen Großmächte und ihren jeweiligen Weg in den Krieg. Ohne sich der Kriegsschuldfrage explizit zu widmen, bringt Clark damit die nicht nur in Serbien weitverbreitenden Stereotype zum Einsturz, wonach es nur einen „Schuldigen“ gegeben habe. Hinzu kommt, dass der Historiker im Attentat in Sarajewo weit mehr sieht, als nur einen bloßen Anlass oder Vorwand zum Krieg, weil er auch die Reaktionen in Wien umfassend schildert, wo die Kriegspartei gerade durch den Tod von Franz Ferdinand die Oberhand gewann. Außerdem schildert Clark die Entwicklung des großserbischen Nationalismus, der Belgrad gerade nach dem Königsmord im Jahre 1903 zunehmend auf Konfrontationskurs zur Habsburger Monarchie führte. Zwar ist in der deutschen Ausgabe des Werks nicht mehr vom „Terroristen“, sondern vom „Attentäter“ Gavrilo Princip die Rede; trotzdem ist folgender Satz für serbische Leser schwerer Tobak: „Seit Srebrenica und der Belagerung Sarajewos fällt es schwerer, Serbien als reines Objekt oder Opfer der Großmachtpolitik zu sehen, stattdessen kann man sich leichter den serbischen Nationalismus als eigene historische Kraft vorstellen.“ Die Anspielung auf das Massaker an 8.000 Bosniaken in Srebrenica im Zusammenhang mit dem Ersten Weltkrieg ist zwar wirklich fragwürdig; andererseits hat es die serbische Geschichtsschreibung bisher nur mit wenigen Ausnahmen geschafft, nationalistische Positionen zu verlassen, kritisch zu hinterfragen und auch die andere Seite zu sehen.

Wie das offizielle Serbien seine Rolle im Ersten Weltkrieg sieht, zeigte etwa die Rede des sozialistischen Ministerpräsidenten Ivica Dacic am 11. November 2013, am Tag als im Jahre 1918 der Waffenstillstand in Kraft trat. Dacic erklärte, dass jeder Versuch, Serbien zum Schuldigen am Ersten Weltkrieg zu stempeln, „den Versuch einer Verfälschung und Revision der Geschichte darstellt und dass man genau weiß, dass diese Krieg Ausdruck des Expansionsstrebens war, das Österreich-Ungarn und Deutschland hatten“. Das Expansionsstreben Serbiens, wie es Innenminister Ilja Garasanin bereits 1844 in seiner „Entwürfe“ genannten Denkschrift formulierte, wird bewusst oder unbewusst außer Acht gelassen. Worauf es für Serbien ankommt, machte Dacic ebenfalls deutlich in dem er betonte, dass Serbien sich in beiden Weltkriegen „für die richtige Seite entschieden“ habe. Doch nach Clark gab es gerade im Ersten Weltkrieg keine richtige oder falsche Seite, und das bedroht den Versuch Serbiens, als Hauptschuldiger am blutigen Zerfall des kommunistischen Jugoslawien darstellen zu können, wenigstens vor hundert Jahren nicht zu den „bösen Buben“ gezählt zu haben. Andererseits betonte Dacic in seiner Rede auch, dass Serbien im Ersten Weltkrieg „zu viel“ gegeben habe und seine Aufgabe nun darin bestehe „im Frieden entschlossen seinen natürlichen Platz zu stärken, der in der Familie gleichberechtigter und vereinter europäischer Völker“ liege.

Gerade wenn Serbien in zwei Weltkriegen auf der „richtigen Seite“ gestanden haben soll, zeigt das umso stärker die katastrophale Politik von Dacics einstigem Parteichef Slobodan Milosevic auf, der es fertig brachte, dass sein Land von einstigen Verbündeten (Frankreich, Großbritannien, USA) im Kosovo-Krieg 1999 bombardiert wurde. Auch mit der Normalisierung der Beziehungen zum Kosovo haben Dacic und Co. eine Abkehr von dieser Politik vollzogen, die bisher in Serbien ebenso wenig kritisch hinterfragt wird, wie seine Politik am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Das sozialistisch orientierte Wochenmagazin „Pecat“ brachte im Juli 2013 die satirisch gemeinte Falschmeldung, wonach der Gemeinderat von Belgrad beschlossen habe, die Gavrilo-Princip-Straße in Franz-Ferdinand-Straße umzubenennen. Soweit muss es in Serbien wahrlich nicht kommen, wo Princip nach wie vor eher als Held verehrt wird. Doch eine kritischere Distanz zur eigenen Geschichte insgesamt kann Serbien nur gut tun, vor allem wenn man die vielen menschlichen und materiellen Opfer betrachtet hat, die eine verfehlte Politik einen Kleinstaat gekostet hat, der unbedingt Mini-Großmacht sein wollte. Die Gedenkfeiern zum Ersten Weltkrieg werden auch Aufschluss darüber geben, in welchem Ausmaß Belgrads intellektuelle und politische Elite bereits zur kritischen Selbstreflexion in der Lage ist.

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