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Serbien nach der Wahl von Nikolic

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Wiener Zeitung
Berichte Serbien
In Serbien hat die Wahl des früheren Ultranationalisten Tomislav Nikolic zum Staatspräsidenten das politische Leben gehörig durcheinandergebracht. Denn Nikolics Sieg über den favorisierten bisherigen Amtsinhaber und Vorsitzenden der Demokratischen Partei DS), Boris Tadic, hat nicht nur dessen DS erschüttert, sondern erschwert offenbar auch die Bildung der Koalition mit dem sozialistischen Wahlbündnis unter Innenminister Ivica Dacic. Die Fortsetzung dieser Koalition hatten Dacic und Tadic nach der ersten Runde Präsidentenwahl und der Parlamentswahl am 6. Mai bereits grundsätzlich vereinbart. Dacic steht zwar nach wie vor zur Koalitionsvereinbarung, doch die DS hat jedenfalls bis Redaktionsschluss noch keine grundsätzlichen Weichenstellungen vollzogen. Dazu zählt die Benennung eines Kandidaten für das Amt des serbischen Ministerpräsidenten.

In Frage kommen zwei Personen: Boris Tadic und der amtierende Bürgermeister von Belgrad, Dragan Djilas. Doch Tadic will offensichtlich nicht und er hat in der Wahlnacht nach seiner Niederlage dezidiert ausgeschlossen, das Amt des Ministerpräsidenten zu übernehmen. Doch auch Djilas will das Amt nicht. Er führte in Belgrad einen reinen Persönlichkeitswahlkampf und erzielte bei der Lokalwahl mit 35 Prozent ein weit besseres Ergebnis als Tadic bei der ersten Runde der Präsidentenwahl (29 Prozent) und die Demokratische Partei bei der Parlamentswahl (knapp 25 Prozent). Überlässt Djilas nun das Amt des Bürgermeisters etwa dem sozialistischen Koalitionspartner, würde dieser Kuhhandel viele Wähler der Demokraten wohl noch mehr gegen die eigene Partei aufbringen. Die Parteigranden der DS sind einmütig für Boris Tadic als Regierungschef, weil dieses Amt nun eine starke politische Figur braucht – sowohl aus parteipolitischen als auch aus staatspolitischen Gründen. Denn die DS muss sowohl Staatspräsident Tomislav Nikolic als auch Ivica Dacic eine starke Persönlichkeit entgegensetzen, um nicht weiter an Ansehen unter den Wählern zu verlieren. Daher wäre aus der Sicht der Partei Boris Tadic die beste Lösung, um Machtkämpfe unter seinen Kronprinzen erst gar nicht aufkommen zu lassen. Außerdem könnte die Nominierung von Tadic die Regierungsbildung beschleunigen; das ist wichtig, weil die soziale und wirtschaftliche Lage Serbiens äußerst schwierig ist. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 25 Prozent, die Verschuldung wächst rasant, für heuer wird bestenfalls ein Wirtschaftswachstum von 0,1 Prozent erwartet, und der Dinarkurs ist seit Jahresbeginn von 104 auf 115 Dinar je Euro gefallen, das ist ein Rückgang um etwa 15 Prozent.

Wirtschaftlich kann sich Serbien somit eine Regierungsbildung, die vom Gesetz her, bis Anfang September dauern könnte, nicht leisten. Dass es aber rasch zu einem neuen Kabinett kommt, ist eher unwahrscheinlich. Tomislav Nikolic hat zwar nun den Vorsitz in seiner Partei zurückgelegt; doch den Auftrag zur Regierungsbildung will er zunächst seiner (ehemaligen) Partei SNS erteilen, deren Wahlbündnis mit 73 Mandaten stärkste Kraft im Parlament in Belgrad ist, das 250 Sitze zählt. Kandidatin der SNS für das Amt des Regierungschefs ist Jorgovanka Tabakovic; sie hat aus heutiger Sicht wenig Chancen, weil ohne Ivica Dacic und seinen sozialistischen Wahlblock keine Mehrheit im Parlament möglich und eine große Koalition zwischen SNS und DS derzeit sehr unwahrscheinlich ist. Doch erst wenn Tabakovic scheitert, käme dann die DS als zweitstärkste Kraft zum Zug.

Das Mandat zur Regierungsbildung kann aber erst nach seiner Angelobung erteilen, die für den 10. Oder 11. Juni geplant ist. Nikolic wird heute im Moskau am Kongress der Partei von Staatspräsident Vladimir Putin eine Rede halten. Dieser Termin war schon lange vor der Präsidentenwahl geplant, erhält aber nun eine andere Bedeutung. Seine erste offizielle Auslandsreise als Präsident wird Nikolic jedoch nach Brüssel führen das hat sein Kabinett gestern nach einem Gespräch mit dem slowakischen Außenminister Miroslav Lajcak mitgeteilt. Die Wahl dieses Reiseziels ist ein guter politischer Schachzug, wird doch Nikolic wegen seiner ultranationalistischen Vergangenheit in vielen EU-Staaten noch mit großem Misstrauen begegnet. Von seinen Kompetenzen her hat Nikolic in Serbien als Präsident nur geringe Vollmachten; sein tatsächlicher Einfluss wird von der Regierungsbildung abhängen, die wohl sicherlich einen Monat dauern wird. In Serbien wird die Klärung der politischen Kräfteverhältnisse somit noch einige Zeit dauern; und das wird die wirtschaftliche Lage des Landes nur noch schwieriger machen, das rasch tiefgreifende Reformen braucht.

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