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Wahlkampf in Serbien: Schmutzkübel statt Inhalt

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Berichte Serbien
In Serbien werden am kommenden Sonntag die politischen Karten völlig neu gemischt. Gewählt werden der Präsident, das Parlament, das Parlament der Autonomen Provinz Vojvodina und die Gemeinden inklusive der Hauptstadt Belgrad. Um das Amt des Staatspräsidenten bewerben sich 12 Kandidaten, darunter zum ersten Mal auch ein islamischer Geistlicher aus der vor allem von Bosniaken bewohnten Provinz Sandzak. Zur Parlamentswahl treten 18 Listen, darunter auch Parteien nationaler Minderheiten, wie der Ungarn, der Slowaken, der Albaner und Montenegriner. Für diese Parteien gilt ein sogenannter natürlicher Zensus von etwa 0,4 Prozent der Wahlberechtigten, während die serbischen Parteien eine Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen haben. Dies könnte bis zu sieben Parteien gelingen.

Trotz aller Listenvielfalt ist der Wahlkampf in Serbien eine Konfrontation alter Konkurrenten, die um sich und ihre Kernparteien Wahlbündnisses gebildet haben. Auf der einen Seite steht Staatspräsident Boris Tadic; seine an sich bürgerliche, aber formell sozialdemokratisch orientierte Demokratische Partei (DS) dominierte bisher nicht nur die Regierung, die zum ersten Mal seit dem Jahre 2000 volle vier Jahre durchgehalten hat, sondern ist auch in der Vojvodina und in Belgrad an der Macht. Tadics Herausforderer auf allen Ebenen heißt Tomislav Nikolic. Beide kämpften bereits 2008um das Amt des Präsidenten, ein Wahl die Nikolic knapp verlor. Entscheidend für seine Niederlage war die ultranationalistische Erblast in der Person von Vojislav Seselj, der sich 2003 freiwillig dem Haager Tribunal stellte. Nikolic war Seseljs Stellvertreter in der ultranationalistischen Radikalen Partei; ebenfalls im Jahre 2008 führ eine Konflikt über die Haltung der Partei zum Bruch, und Nikolic gründete die Serbische Fortschrittspartei (SNS). Sie will eine Mitte-Rechts-Partei sein, hat sich mit dem Haager Tribunal abgefunden und bekennt sich zur EU-Mitgliedschaft Serbiens.

Von Tadic und der DS zunächst gefördert, entwickelten sich Nikolic und seine SNS zum ernsthaften Herausforderer. „Ein anständiges und erfolgreiches Serbien“ lautet Nikolics Wahlkampfmotto. Nikolic wirbt für eine Wende, für eine bessere wirtschaftliche und soziale Lage der Masse der Bevölkerung, für einen glaubwürdigen Kampf gegen Korruption und Kriminalität, während die Regierung und Tadic als korrupte Versager dargestellt werden. Ein Wunsch nach Neuem ist in Serbien stark verbreitet, doch Nikolic und Co. sind schon selbst so lange in der Politik, dass sie diesen Wunsch nicht symbolisieren; außerdem hat Nikolic Koalitionspartner, die alles andere als saubere Hände haben. Andererseits sind die triste soziale Lage, versäumte Reformen etwa in der Justiz tatsächlich der größte Stolperstein für einen neuerlichen Sieg von Tadic bei der Präsidentenwahl und für die DS bei der Wahl zum Parlament. Um diesen Nachteil auszugleichen haben Tadics Wahlkampfstrategen aus den USA einen dreifachen Ansatz gewählt. Unter dem Motto „Für eine sichere Zukunft“ wird Tadic als Garant für eine sichere Entwicklung Richtung EU-Mitgliedschaft präsentiert, hat Serbien doch knapp vor der Wahl von Brüssel den Status eines EU-Beitrittskandidaten erhalten. Gleichzeitig wird Tomislav Nikolic in Spots und Broschüren als Wendehals dargestellt, als unzuverlässig und umgeben von korrupten Partnern, dessen Pro-EU-Haltung nicht zu trauen sei. Drittens wird jeder neue Investor medial enorm aufgeblasen, auch wenn der Bau der neuen Fabrik erst im kommenden Jahr zu erwarten ist. Tadic und Co. Nutzen dabei ihre beinahe völlige Dominanz in den serbischen Medien. Lässt man den Angstfaktor der Ära von Slobodan Milosevic beiseite, muss man leider feststellen, dass es Nikolic medial dieses Mal schwerer hat als die demokratische Opposition im Jahre 2000, die damals die lokalen Medien und die Zeitungen auf ihrer Seite hatte.

Umfragen deuten darauf, dass die Schmutzkübelkampagne und taktische Eigenfehler, durch die Nikolic seine Kernwähler verunsicherte, im Wahlkampf Wirkung zeigt. Von noch etwa zehn Prozent vor einem Jahr ist der Vorsprung der SNS gegenüber der DS auf einige Prozentpunkte zusammengeschmolzen. Je nach Umfragen liegen beide Parteien relativ knapp über oder unter der 30 Prozentmarke. Ähnliche Werte gibt es auch für Tadic und Nikolic bei der Präsidentenwahl wobei je nach Institut Tadic oder Nikolic vorne liegt. Sicher ist, dass dieser Zweikampf erst in der Stichwahl am 20 Mai entscheiden wird. Generell schadet die Schmutzkübelkampagne auch der DS selbst, wobei viele Stammwähler ihre Partei ohnehin nur mehr als geringeres Übel sehen, weil sie Nikolic wegen dessen Vergangenheit noch nicht wählen können. Doch die DS und Tadic haben bisher offensichtlich weniger verloren als die SNS und Nikolic. Hinzu kommt, dass die SNS das kleinere Potential an Koalitionspartnern hat. Seseljs Ultranationalisten scheiden aus, denn sie sehen in Nikolic einen abtrünnigen Verräter. Außerdem sind für Großserbien und gegen die EU. Gegen die EU und für die Neutralität Serbiens ist auch die DSS unter Vojislav Kostunica, dem einstigen Helden des demokratischen Umsturzes gegen Milosevic. Bleibt vielleicht noch eine Partei der Regionen, doch bei ihr ist der Einzug ins Parlament unsicher, und außerdem ist sie nur ein heterogenes Zweckbündnis und somit kein stabiler Partner. Da eine große Koalition mit der DS praktisch ausgeschlossen ist, bleiben somit für die SNS nur mehr zwei kleinere Parteien der linken Mitte, die Liberalen und vor allem die Sozialisten.

Die Sozialisten (SPS) waren bereits vor vier Jahren das Zünglein an der Waage. Nach dem Sturz von Slobodan Milosevic im Oktober 2000 schien ihr totaler Bedeutungsverlust kaum mehr zu stoppen. Doch der ehemalige SPS-Pressesprecher unter Milosevic, Ivica Dacic übernahm ihm Dezember 2006 den Vorsitz und begann die Transformation der SPS zu einer Linkspartei mit proeuropäischem Bekenntnis. Gemeinsam mit einer Regional- und der Pensionsistenpartei sitzt die SPS seit vier Jahren in der Regierung und Dacic konnte sich als Innenminister als Kämpfer gegen die Organisierte Kriminalität profilieren. Mit etwa 13 Prozent kann das Bündnis rechnen, ohne das weder SNS noch DS eine Parlamentsmehrheit zustande bringen werden. Dacic will die SPS mit Hilfe der DS in die Sozialistische Internationale führen und kann sich auch gegenüber der DS besser profilieren als mit der SNS, mit der ihn eine ähnliche Wählerschaft verbindet. Je nach Wahlausgang könnte Dacic sogar Ministerpräsident werden, denn die DS tut sich mit geeigneten und willigen Kandidaten schwer, und auch das war ein Grund, warum Boris Tadic vorzeitig zurücktrat, um diesen Mangel zu überdecken. DS, SPS und die Liberalen dürften jedenfalls eine klare Mehrheit für eine Regierung bekommen.

Wer mit wem regieren wird, hängt auch von der Wahlbeteiligung ab, die über Einzug und Abschneiden von Parteien mitentscheiden wird. Dabei sind Prognosen schwer. Offiziell gibt es in Serbien etwa mehr als sieben Millionen Wähler, real dürfte es unter sechs Millionen sein. So gibt es noch viele Karteileichen, und viele Auslandsserben gehen nicht zur Wahl. Hinzu kommt noch etwa 400.000 Unentschlossene. Die Kampagne selbst ist auch eine enorme Materialschlacht; die großen Parteien dürften mindestens je fünf Millionen Euro ausgeben, für Plakate, Kundgebungen, Inserate und für Werbespots. Etwa 15.000 Spots werden täglich in allen TV-Sendern ausgestrahlt, die 20 Minuten pro Stunde für Spots verwenden dürfen. Hinzu kommen Callcenter, um Wähler anzurufen und Wahlkampfberater aus den USA oder Israel.

Das für Serbien Positivste am Wahlkampf ist das, worüber eigentlich nicht gesprochen wird. Der Kosovo ist kaum ein Thema, weil nur Kleinparteien mit Extrempositionen klare Lösungen anbieten, von der Anerkennung der Unabhängigkeit bis zum Nein zur EU. Zweitens ist das Haager Tribunal kein Thema mehr, weil die Zusammenarbeit durch die Auslieferung aller Gesuchten erfolgreich beendet wurde. Und schließlich dürfte nach der Wahl das ultranationalistische Lager zersplittert und marginalisiert sein, was Serbien – das Kosovo-Problem ausgenommen, zu einem immer „normaleren“ Reformland machen wird, das auf seinem zehnjährigen Marsch Richtung EU ohnehin noch viele Probleme zu lösen haben wird.

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