× Logo Mobil

Streiks und wachsende Unzufriedenheit der Serben

Zeitung
Kleine Zeitung
Berichte Serbien
Als vor zwei Jahren die westliche Finanzkrise auch zu einer umfassenden Wirtschaftskrise wurde, verkündete Wirtschaftsminister Mladjan Dinkic großspurig, Serbien werde von dieser Krise nicht nur nicht getroffen, sondern durch zusätzliche ausländische Investoren sogar profitieren. Diese Prognose war mehr als nur wirtschaftlicher Unsinn. Denn die Regierung in Belgrad versäumte es, durch eine Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede, die Bevölkerung auf schwere Zeiten einzustimmen und diese Krise zu längst überfälligen Reformen zu nutzen.

Doch wiederum wurde eine Chance vertan und nunmehr vergeht kaum ein Tag, an dem serbische Zeitungen nicht über wachsende Armut, Streiks, grassierende Korruption und Misswirtschaft berichten. Dazu einige Beispiele: im Bergbaugebiet Kolubara wurden 130 Millionen Euro verschwendet; der Rechnungshof erstattete Anzeige gegen vier Minister wegen zweckwidriger Verwendung von Budgetmittel, (die wie so oft weitgehend folgenlos bleiben wird); und jüngst verhaftete die Polizei zwei Ärzte im neurochirurgischen Zentrum in Belgrad; sie sollen von einer Patientin 6.000 Euro an Bestechungsgeld für eine entsprechende postoperative Behandlung verlangt und 3000 Euro tatsächlich bekommen haben. Chirurgen verdienen in Belgrad etwa 700 Euro monatlich, Krankenschwestern etwa die Hälfte. Brot kostet in Serbien umgerechnet etwas mehr als 50 Cent, Strom, Treibstoff und die Lebenshaltungskosten sind stark gestiegen und die Inflation betrug im Vorjahr mehr als 10 Prozent. Der offizielle Durchschnittslohn ist auf etwa 400 Euro gesunken, das ist zu wenig um den Grundbedarf im Monat decken zu können (der Warenkorb liegt bei 500 Euro). Die soziale Unzufriedenheit steigt daher stark an, und derzeit streiken Lehrer, Polizisten und auch Ärzte und Krankenschwestern drohen mit Streik.

Fast noch schlimmer ist die Lage im privaten Sektor; nach Angaben von Gewerkschaften zahlen nur 17 Prozent aller Unternehmen die Gehälter regelmäßig aus, fast jeder Zehnte der 7,3 Millionen Serben ist arbeitslos, und auf einen Beschäftigten kommt bereits fast ein Pensionist – eine enorme Belastung für die Sozialausgaben, die sich der Staat eigentlich nicht mehr leisten kann. Nach einer Umfrage sind fast Zwei Drittel der Bürger der Ansicht, das Land bewege sich in die falsche Richtung. Wie groß die Unzufriedenheit geworden ist, zeigte in Belgrad vergangenen Samstag die Massenkundgebung der Serbischen Fortschrittspartei (SNS), der wichtigsten Oppositionspartei des Landes. Nach seriösen Schätzungen nahmen mehr als 70.000 Personen an der Demonstration teil, die - für serbische Verhältnisse völlig ungewöhnlich – ohne Zwischenfälle verlief. Die SNS entstand im Sommer 2009 als sich der gemäßigte Flügel unter Tomislav Nikolic von der ultranationalistischen Radikalen Partei abspaltete. Dessen Vorsitzender, Vojislav Seselj, muss sich seit mehr als sieben Jahren in Den Haag wegen des Vorwurfs der Kriegsverbrechen verantworten.

Von Seseljs Ballast befreit, bekennt sich die SNS nun zum EU-Kurs, zur Zusammenarbeit mit dem Tribunal und setzt innenpolitischen vor allem auf den sozialen Protest und den Kampf gegen die Korruption. In Umfragen liegt sie vor der stärksten Regierungspartei, der sozialdemokratischen DS unter Staatspräsident Boris Tadic. Nikolic ist bereits populärer als Tadic. Er hat nicht nur mit zunehmenden Spannungen in seiner Mehrparteienkoalition zu kämpfen, die im 250 Sitze zählenden Parlament nur über eine knappe Mehrheit verfügt. Tadic hat auch Probleme mit seinen eigenen Wählern. Auf dem Weg Richtung EU geht nicht viel weiter, weil Serbien bei wichtigen Reformen säumig ist und auch den mutmaßlichen Kriegsverbrecher Ratko Mladic noch nicht gefasst hat. Wirtschaftlich sieht die Reformbilanz ebenfalls düster aus und zum effizienten Kampf gegen die Korruption in den eigenen Reihen fehlt die Kraft. Für eine Trendwende bleibt nicht mehr viel Zeit, denn in einem Jahr stehen reguläre Parlamentswahlen an; und nach dem „Damaskus-Erlebnis“ von Nikolic und Co, die vom nationalistischen Saulus zum proeuropäischen Paulus mutierten, wird sich Tadic weder in Belgrad noch in Brüssel wieder als einziger Garant für ein europäisches Serbien präsentieren können.

Facebook Facebook