× Logo Mobil

Radovan Karadzic und die Westmächte

Zeitung
Wiener Zeitung
Berichte Serbien


Mit der Verhaftung und Auslieferung von Radovan Karadzic an das Haager Tribunal rückt auch wieder die Frage in den Vordergrund, warum es dem mutmaßlichen Kriegsverbrecher 12 Jahre gelungen ist, sich zu verstecken. Dabei stand seit jeher die Vermutung im Raum, der Westen habe Karadzic gar nicht finden und verhaften wollen. Karadzic selbst hat vorgestern bei seinem ersten Auftreten vor dem Tribunal betont, es habe eine Vereinbarung mit den USA gegeben. Das hat Washington umgehend dementiert, die Zweifel bleiben. In Serbien veröffentlichten gestern viele Zeitungen jedenfalls einen Vertrag, den Karadzic im Juni 1996 mit dem amerikanischen Unterhändler Richard Holbrooke geschlossen haben soll, der einer der Architekten des Friedensvertrages von Dayton, mit dem der Krieg in Bosnien im Herbst 1995 beendet wurde.

Der angebliche Vertrag zwischen Radovan Karadzic und Richard Holbrook trägt die Unterschrift beider Personen. Das ist noch kein Beweis für die Echtheit, denn Unterschriften können gefälscht werden. Trotzdem erscheint der Inhalt sehr plausibel, weil er in gewisser Hinsicht den historischen Tatsachen entspricht. So verpflichtete sich Radovan Karadzic zum völligen Rückzug aus der Politik. Dieser Rückzug beinhaltet nicht nur den Rücktritt als Präsident der serbischen Teilrepublik in Bosnien und den Rücktritt vom Vorsitz der damals führenden Serben-Partei. Karadzic musste auch auf Interviews und jedes öffentliche Auftreten verzichten. Im Gegenzug verpflichtete sich Holbrooke im Namen der USA 600.000 Dollar in lokaler Währung auszuzahlen. Mit diesem Geld sollte Karadzic seinen Lebensstandard in den kommenden sechs Jahren aufrechterhalten können. Außerdem erklärten sich die USA dazu bereit, Karadzic eine Art Residenz zur Verfügung zustellen, deren Lage in früheren mündlichen Absprachen festgelegt worden war. Schließlich verpflichteten sich die USA noch, Karadzic mindestens sechs Leibwächter zur Verfügung zu stellen und ihn über Fragen zu informieren, die seine Sicherheit betreffen.

Karadzic und seine Anhänger behaupten nun, die USA hätten Karadzic zugesichert, er werde nicht verfolgt, wenn er verschwinde. Gerade das bestreitet Richard Holbrooke, der jedoch wiederum nicht bestreitet, mit Karadzic ein Abkommen geschlossen zu haben. Ob Holbrooke als Zeuge vor dem Tribunal aussagen wird ist offen. Bisher waren die USA sehr restriktiv, was die Genehmigung für Aussagen von Schlüsselpersonen bei Prozessen in Den Haag betrifft. Sicher ist jedenfalls dass Karadzic sich noch monatelang frei bewegen konnte, obwohl in Bosnien bereits NATO-Truppen stationiert waren und das Haager Tribunal bereits IM Sommer 1995 Anklage erhoben hatte. Die ehemalige Pressesprecherin des Tribunals, Florence Hartmann, wirft daher in ihrem Buch „Friede und Strafe“ den Großmächten vor, gar nicht die Absicht gehabt zu haben, Karadzic aber auch Ratko Mladic zu verhaften. Dies habe mit dem Versagen von Paris, London und Washington zu tun, das Massaker in Srebrenica zu verhindern, bei dem im Sommer 1995 8000 Bosnjaken getötet wurden. Eine besonders unrühmliche Rolle spielten dabei auch niederländische UNO-Soldaten, die in Srebrenica stationiert waren. Die Tatsache, dass Karadzic Richter ebenfalls Niederländer ist, wird daher von der nationalistischen Presse in Serbien bereits als weiterer Beweis für die antiserbische Haltung des Haager Tribunals gewertet.

Aufmacher in den meisten Tageszeitungen war gestern Karadzics Behauptung auf, sein Leben sei auch in Den Haag bedroht. Damit wird offensichtlich bereits für den Fall vorgebaut, dass der 64-jährige Karadzic während des Prozesses sterben sollte. Bei seiner ersten öffentlichen Einvernahme machte er jedenfalls keinen besonders gesunden Eindruck. Sollte Karadzic tatsächlich Milosevics Schicksal teilen, wäre das nicht nur weiteres Wasser auf die Mühlen aller jener, die an eine antiserbische Verschwörung des Westens glauben, sondern ein massiver Rückschlag für die Aufarbeitung der (schmutzigen) Geschichte des Krieges im ehemaligen Jugoslawien.

Facebook Facebook