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Karadzic als positives Signal und als Herausforderung

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Wiener Zeitung
Berichte Serbien
Die Verhaftung und die bevorstehende Auslieferung von Radovan Karadzic an das Haager Tribunal ist das beste Einstandsgeschenk, das sich die serbische Regierung zwei Wochen nach ihrem Amtsantritt selbst machen konnte. International gewann die Regierung an Glaubwürdigkeit, weil sie ihrem proeuropäischen Bekenntnis konkrete Taten folgen ließ. Dazu zählt nicht nur Radovan Karadzic, sondern auch die Rückkehr der Botschafter in jene EU-Staaten, die seit Februar die Unabhängigkeit des Kosovo anerkannt haben. Doch auch in Serbien hat die Regierung ihre erste große Bewährungsprobe bestanden. Die ehemaligen Milosevic-Sozialisten erwiesen sich als berechenbarer Partner der proeuropäischen Kräfte – auch bei dem für sie schmerzlichen Thema Haager Tribunal. Nicht vergessen werden darf, dass es erst zwei Jahre her ist, dass Slobodan Milosevic in einer Zelle des Tribunals starb. Die neue Regierung könnte somit wirklich eine stabile sein, die Serbien in den kommenden vier Jahren sehr nahe an die EU heranführen kann.

Diese Politik Serbiens verpflichtet aber auch die EU - und zwar zu einer Politik mit Augenmaß, trotz aller Freude über den unerwarteten „Fang“. Zunächst sollte Brüssel Serbien nicht ständig als den „reuigen Sünder“ behandeln, der mehr wert ist als Tausend Gerechte. Dieser Eindruck besteht in der Region, und das motiviert die anderen Staaten des ehemaligen Jugoslawien nicht gerade zu einem forschen Reformtempo und zu konstruktivem Verhalten. Daher muss Brüssel etwa von Serbien eine Politik einfordern, die die weitere Konsolidierung des Kosovo als unabhängigen Staat erleichtert. Erforderlich ist keine Anerkennung, sondern das stillschweigende Ende der Obstruktion, die bisher serbische Staatsräson war. Außerdem muss Brüssel endlich die Energie aufbringen, im Namensstreit zwischen Griechenland und Mazedonien eine aktive Rolle zu spielen. Je länger Athen die euroatlantische Integration blockiert, desto instabiler wird Mazedonien werden, weil gerade der Beitritt zu NATO und EU die Basis für die Aussöhnung zwischen Mazedoniern und albanischer Volksgruppe bilden. Konstruktiv und aktiver sollte die EU auch in Bosnien sein, weil ohne umfassende Staatsreform eine weitere EU-Annäherung kaum möglich ist.

Schließlich darf die Verhaftung von Radovan Karadzic nicht darüber hinwegtäuschen, dass das ehemalige Jugoslawien von einer Aussöhnung noch weit entfernt ist, die mit juristischen Mitteln jedenfalls nicht zu erreichen sein wird. Im Gegenteil; fragwürdige Freisprüche des Tribunals haben die Gräben zwischen Serben, Bosnjaken und Kroaten eher noch vertieft; das Schlagwort von einer Individualisierung der Schuld ist eine Illusion. Daher ist nun das Tribunal gefordert. Es muss im Fall Karadzic endlich zeigen, dass es zu einer effizienten Prozessführung fähig ist. Noch ein Monsterverfahren bei dem – wie im Falle von Slobodan Milosevic – der Angeklagten ohne Verurteilung in seiner Zelle unter fragwürdigen Umständen stirbt, darf es nicht geben; und zwar nicht nur wegen der Aufarbeitung der Vergangenheit am Balkan, sondern auch wegen die hunderten Millionen Euro, die das Tribunal auch den europäischen Steuerzahler bereits gekostet hat.

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