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Serbien steht vor einer Schicksalswahl

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Kleine Zeitung 10052008 Serbien steht vor einer Schicksalswahl

Am Sonntag steht Serbien vor einer Schicksalswahl; denn bei den vorgezogenen Parlamentswahlen werden die 6,7 Millionen Stimmberechtigten darüber entscheiden, ob Serbien weiter auf EU-Kurs bleibt oder nicht. 22 Listen treten an, darunter allein 10 Parteien, die nationale Minderheiten vertreten. Für sie gilt die Fünf-Prozent-Hürde nicht; nach Umfragen könnten etwa 10 der insgesamt 250 Sitze auf diese Minderheitenvertreter entfallen. All diese Parteien sind für die weitere EU-Annäherung und daher ebenso wie die kleine Liberale Partei ein natürlicher Bündnispartner der pro-europäischen Sechs-Parteien-Koalition von Präsident Boris Tadic. Dieses Bündnis liegt nach Umfragen knapp hinter der nationalistischen Radikalen Partei von Tomislav Nikolic. Beide können mit bis zu 35 Prozent rechnen. Zentrales Wahlkampfthema der Nationalisten waren Armut und Arbeitslosigkeit sowie der Kampf gegen Kriminalität und Korruption. Die Nationalisten setzen auf den weitverbreiteten Wunsch nach einer Wende, haben aber noch die Last ihrer extremistischen Vergangenheit und das Erbe des Koalitionspartners von Slobodan Milosevic zu tragen.

Die Radikalen und das nationalkonservative Zweiparteienbündnis von Ministerpräsident Vojislav Kostunica sind gegen strikt gegen jede weitere Annäherung an Brüssel, weil die Mehrheit der EU-Staaten die Unabhängigkeit des Kosovo anerkannt hat. Gegen die EU sind auch noch die Milosevic-Sozialisten, die gemeinsam mit der Pensionistenpartei und einer Regionalpartei ins Rennen gehen. Diesen drei Gruppierungen ist natürlich bewusst, dass trotz der Kosovo-Politik der EU Europa noch immer mit besserem Lebensstandard gleichgesetzt wird. Daher betonten auch Radikale, Nationalkonservative und Sozialisten ihre klare Bereitschaft zu einem EU-Beitritt, sollte Brüssel seine Kosovo-Politik ändern. Das ist zwar eine illusorische Annahme, aber in Serbien mit seinem niedrigen Bildungsniveau beenso ein brauchbares Argument wie die Betonung, Serbien sei ein altes Volk, das immer in Europa gelegen sei und zu Europa gehört habe.

Außen- und wirtschaftspolitisch setzten die EU-Gegner eine stärkere Zusammenarbeit vor allem mit Russland aber auch auf ihre Beteuerungen, auch ohne EU-Annäherung werde jeder westliche Investor weiter willkommen sein. Diese Wahlkampflinie zog ebenso wie die Enttäuschung über den Verlust des Kosovo Wirkung. Vor allem das Bündnis von Boris Tadic war somit wochenlang in der Defensive. Das Blatt begann sich erst in der letzten Woche des Wahlkampfes zu wenden, als die EU auf Drängen der prowestlichen Kräfte doch bereit war, den Vertrag über Stabilisierung und Assoziation zu unterzeichnen. Darauf folgte der Einstieg von FIAT beim maroden Autokonzern Zastava; begründet wurde der Einstieg mit der Unterzeichnung des Stabilisierungsvertrages. „Zum Drüberstreuen“ präsentierte die EU noch in Belgrad einen Fahrplan für die völlige Abschaffung der Visa. Umfragen zeigten, dass all diese Aktionen griffen. Der Aufstieg der Radikalen und der leichte Fall des Tadics-Bündnisses konnten gestoppt werden.

Ob das alles zur Trendwende reicht ist mehr als fraglich. Eine nicht-veröffentlichte Umfrage sah gestern das pro-westliche Sechs-Parteienbündnis sogar leicht vor der Radikalen Partei. Doch selbst wenn dieser Trend stimmt, dürften Serbien nach der Parlamentswahl sogar noch größere politische Probleme ins Haus stehen. Denn bereits die Konstituierung des Parlaments und erst recht die Regierungsbildung werden eine Sisyphusarbeit werden, weil nach allen Umfragen für eine stabile Parlamentsmehrheit eine Dreiparteienkoalition nötig sein wird. Ausgeschlossen ist eine Koalition zwischen Radikalen und den prowestlichen Kräften (Tadic, Liberale und Minderheiten). Bleiben den Radikalen als möglicher Koalitionspartner nur Kostunica und die Sozialisten. Die persönlichen Beziehungen zwischen Sozialisten und Radikalen sind schlecht, außerdem fürchten die Sozialisten von den Radikalen in einer Regierung inhaliert zu werden. Kostunica wieder wird sehr hohe Forderungen stellen. Ob er es sich leisten kann, gleich mit zwei Kräften der Ära Milosevic zu koalieren ist ebenso fraglich.

Auf der anderen Seite benötigen Tadic, Liberale und Minderheiten mit großer Wahrscheinlichkeit entweder Kostunica oder die Sozialisten oder vielleicht sogar beide für eine Regierungsbildung. Auch in diesem Fall sind persönliche und ideologische Vorbehalte massiv vorhanden. Somit könnte Serbien mit und nach der Wahl vom Regen in die Traufe kommen und bereits im Herbst wieder vor Neuwahlen stehen. Selbst wenn dieses schlimmste Szenario nicht eintritt, eine rasche politische Stabilisierung Serbiens ist nicht zu erwarten.

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