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Nach dem Sturz der Regierung: Instabilität als Reformprinzip

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Wiener Zeitung
Berichte Serbien
Wiener Zeitung 10032008 Instabilität als Reformprinzip Wehrschütz

In Serbien wäre bereits die Bildung des Kabinetts Kostunica II im Mai des Vorjahres eine politische Todgeburt geworden. Erst im letzten Moment kam die Koalition zwischen Kostunicas nationalkonservativem Zweiparteienbündnis, der Wirtschaftspartei G17-Plus und der DS, der Demokratischen Partei von Staatspräsident Boris Tadic, zustande. Zwar stellte die DS die absolute Mehrheit der Minister, doch Kostunica gelang es, als drittstärkste Kraft den Posten des Regierungschefs, des Innenministers und des Geheimdienstchefs ebenso zu behalten wie seinen großen Einfluss auf die meisten Medien. Dieses „Kunststück“ gelang, weil er schließlich mit einer Koalition mit der nationalistischen Radikalen Partei drohte. Die DS wiederum konnte lange ihre Rolle als stärkste Kraft in der Regierung nicht ausspielen, weil Tadic Kostunica brauchte; denn nach der Annahme einer neuen Verfassung im Herbst 2006 galt es wichtige Gesetze zu ändern, um die Wahl des Präsidenten ausschreiben zu können. Diese Wahl gewann Tadic schließlich Anfang Februar mit einem ebenso klaren Bekenntnis zum EU-Kurs wie zu einem strikten Nein zur Unabhängigkeit des Kosovo.

Tadic siegte ohne Kostunicas Unterstützung, und damals war klar, dass Kostunica Tadics nun mögliche Dominanz in der Regierung nicht akzeptieren wird. Zum ihrem Sturz führte aber der Gegensatz in der Frage der Außenpolitik, der bereits die Regierungsbildung überschattet hatte. Für Kostunica lautet die Priorität Kosovo, für Tadic und G17-Plus EU. Nicht mehr zu überbrücken war der Konflikt als die Kosovo-Albaner Mitte Februar die Unabhängigkeit erklärten, die immer mehr EU-Staaten anerkennen. Nachdem alle Versuche gescheiterten waren, mit den Radikalen unter Tomislav Nikolic eine Vereinbarung zu erreichen, zog Kostunica die Konsequenzen und verkündete das Ende der Koalition. Noch kann er damit rechnen, bei den Wahlen im Mai wegen des Kosovo-Schocks einigermaßen abzuschneiden; das Amt des Regierungschefs geht zwar verloren, doch die Rolle des Züngleins an der Waage könnte er noch spielen.

Fortsetzen wird sich der Trend zu zwei Großparteien, den bereits die Präsidentenwahl gezeigt hat. Tadic und Nikolic trennten nur 100.000 Stimmen, doch bei der Parlamentswahl könnte Nikolic die besseren Karten haben. Er verfügt über die kompaktere Wählerschicht und das konsistentere Programm, wird aber auch einen Koalitionspartner brauchen; dies könnten die Milosevic-Sozialisten oder Kostunica sein. Tadic hat in seiner Wählerschaft mit G17-Plus und den Liberalen zwei Mitbewerber; ob Absprachen oder gar Wahlkoalitionen möglich sind, ist fraglich aber nicht auszuschließen. Außerdem hat Tadic versprochen, Serbien in die EU zu führen und den Kosovo zu verteidigen. Der Kosovo ist unabhängig, und die EU-Integration liegt auf Eis. Wer schließlich die Nase vorne hat, ist derzeit völlig offen. Noch wichtiger ist, dass Serbien endlich eine stabile Regierung mit klarer Reformstrategie bekommt. Denn Kostunicas Kabinett war nur 10 Monate im Amt, und politische Agonie und Instabilität kann sich Serbien kaum mehr leisten, weil schon zu viel Zeit für Reformen verloren wurde.

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