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Serbien: zwischen neuen Ufern und alten Zöpfen

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Der Sieg von Marija Serifovic beim Song-Contest in Helsinki tat der „geschunden serbischen Volksseele“ sichtlich gut. Tausende Belgrader jubelten der Sängerin bei ihrer Rückkehr auf dem Rathausplatz zu. Endlich hatte Serbien, das sonst eher nur mit negativen Meldungen international vertreten ist, ein Mal in Europa gewonnen und für positive Schlagzeilen gesorgt. Bejubelt wurde Serifovic auch von den Abgeordneten im Parlament, und die Politiker stritten am Beispiel ihrer Verwandten sofort darum, welcher Partei ihre Gunst tatsächlich gehöre.

Doch diese Groteske währte nicht lange, während der Kampf um die Macht zwischen den so genannten Reformparteien von den Wahlen Ende Jänner bis zum letzten Augenblick dauerte. Das Parlament bestätigte am Dienstag knapp vor Mitternacht die neue Regierung. Wäre die Frist verstrichen, hätte im Juli wieder gewählt werden müssen. Das Kabinett ist eine Koalition aus zwei pro-europäischen Parteien und dem national-konservativen Zwei-Parteienbündnis von Ministerpräsident Vojislav Kostunica. Im Parlament verfügt die Koalition über 130 von 250 Mandaten, doch kann sie auch auf eine kleine pro-europäische Oppositionspartei und auf Vertreter nationaler Minderheiten zählen. Stärkste Kraft in der Regierung und zweit stärkste Parlamentspartei ist die Demokratische Partei (DS) von Staatspräsident Boris Tadic. In der 25 Mitglieder zählenden Regierung hat die DS die Mehrheit; gegen sie sind Kabinettsbeschlüsse nicht möglich. Die DS stellt den stellvertretenden Ministerpräsidenten und 12 Minister; dazu zählen die Ressorts Finanzen, Justiz, Verteidigung und Außenpolitik.

Trotzdem hat Tadic die Koalitionsverhandlungen nicht gewonnen. Denn Kostunicas Bündnis ist nur drittstärkste Kraft im Parlament, trotzdem blieb er nicht nur im Amt, sondern er konnte auch das Innenministerium behalten. Diese Funktion ist auch wegen der Fahndung nach dem mutmaßlichen Kriegsverbrecher Ratko Mladic wichtig. Vor einem Jahr hat die EU Gespräche über eine Annäherung Serbiens ausgesetzt, weil Mladic noch in Freiheit ist. Offen ist, wann diese Gespräche wieder aufgenommen werden, obwohl im Kabinett mit der DS der Einfluss pro-europäischer Kräfte größer ist als bisher. Die Regierung wird somit klare Vorleistungen erbringen müssen. Diese Botschaft übermittelte EU-Kommissar Olli Rehn, der „am Tag nach“ in Belgrad war. Er erwarte, dass die Regierung "rigoros" das Aktionsprogramm für eine volle Zusammenarbeit mit dem Haager Tribunal umsetzen werde, betonte Rehn. Der Abschluss des Stabilisierungs- und Assoziationsabkommens wird ohne vorherige Verhaftung von Ratko Mladic jedenfalls kaum möglich sein. Das weiß auch die DS, trotzdem konnte sich Tadic mit seiner Forderung nach dem Innenminister nicht durchsetzen. Kostunicas Bündis soll lediglich das Amt des Chefs der Geheimpolizei an einen Parteilosen verlieren; doch der muss erst noch bestellt werden; unklar ist auch, welche Kompetenzen Tadic haben wird, der nun die Arbeit der Geheimdienste koordinieren soll.

Kostunica konnte sich durchsetzen, nicht zuletzt, weil er kurzfristig ein Bündnis mit den Ultranationalisten einging, und deren Vizepräsidenten Tomislav Nikolic zum Parlaments-präsidenten wählte. Nach fünf Tagen ließ Kostunica den Gott sei Bei uns des Westens und der serbischen Liberalen fallen. Nikolic wurde abgewählt, dafür lenkte Tadic bei den Koalitions-verhandlungen ein. Kostunica konnte sich nicht zuletzt deshalb durchsetzen, weil für ihn die Verhinderung der Unabhängigkeit des Kosovo wichtiger ist als eine rasche Annäherung Serbiens an die EU. Auch diese unterschiedlichen Prioritäten werden der Regierung noch zu schaffen machen. Trotzdem könnte ihr ein langes Leben beschieden sein; die Angst vor Neuwahlen und noch stärkeren Ultranationalisten sind ein nicht zu unterschätzender Kitt.

Das Schlimmste für Serbien sind jedoch der ungeklärte Status des Kosovo, der neuerliche massive Zeitverlust und der Eindruck der politischen Instabilität, der durch die Pattstellung zwischen pro-europäischen Kräften, Nationalkonservativen und Ultranationalisten hervor-gerufen wird. Serbien fehlt daher eine klare Reformstrategie, ein Manko, das nicht sofort ins Auge springt, weil viele Wirtschaftsdaten gar nicht so schlecht sind. Die Inflation ist einstellig, die Wirtschaft wächst, das Budget weist einen Überschuss auf, die ausländischen Direktinvestitionen waren durch Privatisierungen hoch. Doch abgesehen vom Erdölkonzern NIS, von der E-Wirtschaft, der Telekom, einiger Versicherungen und der maroden Fluglinie JAT bleibt nicht mehr viel übrig, was große Privatisierungserlöse bringen kann. Darüber hinaus müssen die genannten Betriebe erst restrukturiert werden. Hinzu kommt, dass Investitionen auf die Grüne Wiese gering ist, serbische Tycoone ganze Wirtschaftszweige kontrollieren, die Arbeitslosigkeit und das Außenhandelsdefizit hoch sind und die regionalen Unterschiede immer größer werden.

Um all diese Herausforderungen zu meistern, braucht Serbien zunächst vor allem eine stabile Regierung, die volle vier Jahre durchhält. Sie muss das Vertrauen ausländischer Investoren wieder gewinnen und das Investitionsklima verbessern. Dazu muss sich Serbien auf sich selbst konzentrieren und von nationalen (Kosovo-)Mythen verabschieden. Dass die neue Regierung zu diesem klaren Schnitt fähig ist, darf massiv bezweifelt werden, ist aber nicht auszuschließen; denn die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

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