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Realitätsverweigerung in Serbien zum Kosovo

Zeitung
Wiener Zeitung
Berichte Serbien
„Das Dorf brennt, und die Großmutter frisiert sich“, lautet ein serbisches Sprichwort. Es drückt eine Realitätsverweigerung aus, die in Serbien auch nach dem Scheitern der Gespräche über den Kosovo-Status in Wien ungebrochen andauert. Jüngstes Beispiel dafür ist ein Interview mit Sandra Raskovic-Ivic, das am Montag die regierungsnahe, nationalistische Tageszeitung Vecernje Novosti veröffentlicht hat. Darin bestreitet Raskovic-Ivic, die bei der letzten Gesprächsrunde in Wien dabei war, dass der Status-Plan des UNO-Vermittlers Marti Ahtisaari

überhaupt vor den UNO-Sicherheitsrat in New York kommen werde. Erforderlich dafür sei die Zustimmung der Kontaktgruppe, doch diese werde wegen des russischen „Njet“ nicht vorliegen. Zweifellos hat Moskau den Kosovo bisher genutzt, um auf seine wiedererlangte Großmachtrolle zu verweisen, doch ein Veto in der UNO hat Russland bisher nicht angekündigt. Das serbische Hoffen könnte sich somit wie so oft als trügerisch erweisen, soll doch Ministerpräsident Vojislav Kostunica bis zuletzt auch nicht geglaubt haben, dass Montenegro tatsächlich unabhängig wird.

Seit Monaten läuft in Serbien eine Kampagne gegen Ahtisaari, der als einseitig, pro-albanisch und teilweise auch als bedeutungslos dargestellt wird. Marginalisiert wird sein Plan, und Serbien wird wieder als Opfer dargestellt, während die Verbrechen der Ära-Milosevic auch im Kosovo weitgehend unter den Tisch fallen. Diese Kampagne begann im Herbst vor dem Referendum über die neue Verfassung. Darin wird der Kosovo als autonomer aber integraler Bestandteil Serbiens festgeschrieben, obwohl Belgrad die faktische Kontrolle über die Provinz vor sieben Jahren im NATO-Krieg verloren hat. Doch der Westen versäumte damals, die Unabhängigkeit des Kosovo auszurufen, und die Verbindung zwischen dem Verlust eines Territoriums als Folge des Krieges wird nun von der serbischen Bevölkerung nicht mehr hergestellt. Warum sollten die Politiker Kostunica und Präsident Boris Tadic den Kosovo verlieren, der nicht ein Mal Milosevic formell weg genommen worden sei, heißt es oft in Belgrad.

Die Propaganda der nationalistischen (Regierungs-)parteien zeigt jedenfalls Wirkung. Waren nach Umfragen bis Oktober noch etwa 50 Prozent der Ansicht, der Kosovo werde unabhängig, so ist diese Zahl nun auf etwa 25 Prozent gesunken. Die Bevölkerung ist somit auf den drohenden Verlust der Provinz nicht vorbereitet, weil die politische Elite kein realistisches Bild der Lage zeichnet. Daher hat bisher auch niemand nachgerechnet, was Serbien die Entwicklung des Kosovo kosten würde, von der Frage ganz zu schweigen, wie knapp zwei Millionen Albaner gegen ihren Willen integriert werden sollten. Dagegen malen Nationalisten in inoffiziellen Gesprächen das Schreckensbild einer Destabilisierung Serbiens durch Massendemonstrationen an die Wand, sollte der Kosovo verloren gehen. Doch für dieses Szenario fehlen bisher stichhaltige Anzeichen. Klar geht jedoch aus Umfragen hervor, dass Albaner und Serben nicht mit einander können. Als Chef oder Schwiegersohn (-tochter) sind Angehörige der jeweils anderen Nationalität unvorstellbar, und die wechselseitige Verachtung ist größer als gegenüber jedem anderen Volk im ehemaligen Jugoslawien. Verantwortlich dafür sind keineswegs nur die Serben; beide Völker verbindet eine traditionelle Erbfeindschaft, die auch Tito nicht beseitigen konnte. So bestanden beim zerfall des alten Jugoslawien im Jahre 1991 etwa 700.000 so genannte Mischehen; Ehen zwischen Serben und Albanern waren jedoch praktisch nicht darunter.

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