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Der Status-Entwurf: Unwort Unabhängigkeit

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Wiener Zeitung
Berichte Serbien
Der Status-Entwurf: Unwort Unabhängigkeit

Der unter Führung der UNO-Vermittler Marti Ahtisaari und Albert Rohan ausgearbeitete Entwurf für den endgültigen Status des Kosovo ist im Grunde der Versuch, die Basis für einen neuen Staat zu schaffen, ohne das Wort Unabhängigkeit zu verwenden. Das zeigen die Informationen, die bisher über den Inhalt des Dokuments durchgesichert sind. Damit soll es vor allem Russland erschwert werden, ein Veto im UNO-Sicherheitsrat einzulegen. Das Dokument selbst gliedert sich in einen Allgemeinen Teil und 11 Annexe. Der Allgemeine Teil enthält alles, was für einen multiethnischen und demokratischen Staat gut und teuer ist. So werden Minderheitenschutz und multiethnischer Charakter des Kosovo betont, in dem Albanisch und Serbisch Amtssprachen sein werden. Verwiesen wird auf die internationale Präsenz, die durch die bestehende Friedenstruppe und eine EU-Mission gegeben sein wird, die die bisherige UNO-Verwaltung ablösen soll. Teil dieser EU-Mission werden auch eine Polizeitruppe (etwa 1000 Polizisten) und eine internationale Justiz-Mission (Richter, Staatsanwälte) sein.

Auflagen und Rechte des Kosovo sind in den Annexen geregelt. Zu den klaren Elementen der Staatlichkeit zählen das Recht auf Doppelstaatsbürgerschaft und das Recht, die Mitgliedschaft in internationalen Organisationen zu beantragen. Außerdem kann der Kosovo über eine Streitkraft von 2.500 Mann verfügen, die nur leicht bewaffnet sein darf. Zu den politischen Beschränkungen zählt etwas das Anschlussverbot, das für Albanien und Mazedonien wichtig ist. Gelernt haben die UNO-Vermittler auch aus negativen Erfahrungen von Bosnien. So enthält das Dokument keine Verfassung, legt aber im ersten Annex Bestimmungen fest, die eine Verfassung enthalten muss. Dazu zählt etwa eine doppelte Mehrheit im Parlament. Sie gilt ebenso wie in Mazedonien für Bestimmungen, die die Minderheit betreffen. Diesen muss auch eine Mehrheit der serbischen Abgeordneten zustimmen. Die weiteren Annexe regeln etwa Minderheitenrechte, Kirchen- und Kulturgüterschutz, Justiz, Wirtschaft, Dezentralisierung, Sicherheitsfragen, die internationale Präsenz und enthalten auch Übergangsbestimmungen. So soll die UNO-Mission vier Monate nach der Statusregelung durch eine neue Resolution zu bestehen aufhören und weitere fünf Monate später sollen Wahlen im Kosovo stattfinden. Überwacht werden wird die Umsetzung der Statusvereinbarung durch einen Internationalen Zivilen Repräsentanten (ICR), dessen Mandat nach 24 Monaten überprüft werden muss. Der ICR hat in der Interpretation der Statusregelung das letzte Wort.

Viel der konkreten Bestimmungen in den Annexen sind ein Ergebnis der Wiener Verhandlungen zwischen Belgrad und Prishtina. Sie verliefen zwar erfolglos, trotzdem wurden Elemente aus beiden Positionen umgesetzt. So werden etwa fünf neue serbische Gemeinden geschaffen und eine beträchtlich vergrößert. Außerdem werden die serbischen Gemeinden das Recht erhalten, einen Gemeindeverband zu bilden und auch institutionelle Beziehungen zu Serbien zu haben. Für Kirchen und Klöster wiederum sind militärisch überwachte Schutzzonen und Beschränkungen kommerzieller Aktivitäten auf deren Territorium vorgesehen. Bei diesem Annex haben die UNO-Vermittler eng mit UNESCO und Europarat zusammengearbeitet.

Nach der Vorstellung des Statusentwurfs werden Prishtina und Belgrad wieder zu Konsultationen nach Wien geladen, die wohl ergebnislos verlaufen werden. In einigen Monaten soll sich dann die UNO in New York mit dem Vorschlag befassen und eine neue Resolution verabschieden. Dazu ist die Zustimmung Russlands erforderlich. Erfolgt sie nicht, fehlte für die EU-Mission die Rechtsgrundlage und die Lage im Kosovo und in Serbien könnte außer Kontrolle geraten. Brüssel und Washington werden daher Moskau wohl noch intensiv „bearbeiten“, um wenigstens ein Veto abwenden zu können.

Kosovo vor dem Status: Reise ins Minenfeld:

Die UNO-Vermittler vor dem Besuch in Belgrad und Prishtina

Am Freitag werden die UNO-Vermittler Marti Ahtisaari und Albert Rohan in Belgrad und Prishtina ihren Vorschlag für einen endgültigen Status des Kosovo präsentieren. Die Gespräche in der Kosovo-Hauptstadt werden dabei für die beiden lang gedienten Diplomaten weit leichter zu absolvieren sein als in Serbien. Denn der albanischen Mehrheit wird ein zwar mit vielen Auflagen gepflasterter Weg zur Unabhängigkeit aufgezeigt, während für Belgrad nun die Stunde der Wahrheit und das Ende der selbst gepflegten Illusionen immer näher rückt. Im Kosovo dürfte es daher zwar einzelne Einwände gegen die Status-Verschläge geben, doch mit einer generellen Ablehnung durch die albanische Mehrheit ist nicht zu rechnen. Dass das Klima im Kosovo trotzdem gespannt ist, zeigen die Aufrufe zur Besonnenheit durch Regierung, UNMIK und die NATO, denn einer radikalen und gewaltbereiten Minderheiten gehen die Vorschläge nicht weit genug. Unruhen sind im Kosovo jedenfalls vor allem dann zu erwarten, wenn sich die Status-Entscheidung über viele Monate hinziehen und Serbien und die Kosovo-Serben einen Anlass dazu bieten sollten.

Während Ahtisaari und Rohan im Kosovo mit einer konstruktiven Haltung der politischen Führung rechnen können, sieht die Lage in Serbien anders aus. Nach der Parlamentswahl im Jänner haben Verhandlungen über eine Regierung noch nicht begonnen, und eine rasche Regierungsbildung ist nicht in Sicht. Hinzu kommt, dass die Ultranationalisten wiederum stärkste Kraft geworden sind, und auch der amtierende Ministerpräsident Vojislav Kostunica ein strikter Gegner der Unabhängigkeit des Kosovo ist. Er hat die Status-Vorschläge bereits via Russland erhalten und soll darauf ausgesprochen wütend reagiert haben. Kostunica ist nicht ein Mal bereit, die zwei UNO-Vermittler zu empfangen. Daher wird der pro-westliche Staatspräsident Boris Tadic diese undankbare Rolle übernehmen müssen. Zwar ist auch Tadic gegen die Loslösung, doch ist sein politischer Realitätssinn weit stärker ausgeprägt. Denn Kostunica und seine Partei DSS haben nicht nur von Tadic verlangt, die Annahme der Vorschläge zu verweigern; sie fordern sogar den Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit allen NATO- und EU-Staaten, die diese Statusvorschläge unterstützen. Kostunica soll sogar zu einer Regierung mit den Ultranationalisten bereit gewesen sein, um seine harte Linie innenpolitisch durchzusetzen, doch lehnte der potentielle Koalitionspartner ab. Diesen Weg in die Selbstisolation kann Tadic nicht mitgehen; auch daher ist eine Zusammenarbeit zwischen seiner DS und Kostunicas DSS nur sehr schwer vorstellbar. Ohne eine derartige Kooperation ist die Bildung einer stabilen, reformorientierten Regierung jedoch nicht möglich. Denkbar wären eine Minderheitsregierung zwischen DS und der Wirtschaftspartei G17-Plus oder auch Neuwahlen, sollte eine Regierung binnen knapp vier Monaten nicht zustande kommen.

Die politische Instabilität dürfte jedenfalls in Serbien noch Monate anhalten, und das erschwert es zusätzlich, das enorme Ausmaß an Irrationalität zu kontrollieren, das durch falsche Hoffnungen auf Russland noch zusätzlich genährt wird. Russland dürfte seine Veto-Drohung im UNO-Sicherheitsrat nur solange aufrechterhalten, bis der westliche Kaufpreis stimmt. Doch selbst wenn diese Hürde fällt, ist das Eskalationspotential noch immer groß. So könnten die Serben in ihren kompakten Siedlungsgebieten im Norden des Kosovo den Anschluss an Serbien proklamieren. Kostunica soll bereit sein, diesem Willen zu entsprechen. Dann hätten NATO und UNO-Polizei die territoriale Einheit des Kosovo gewaltsam zu wahren, auch um Unruhen im albanisch dominierten Südserbien zu verhindern. Nicht auszuschließen sind dann gewaltsame Proteste der Albaner im Kosovo. All diese Szenarien können eintreten, während es in Belgrad noch immer keine voll handlungsfähige Regierung gibt. Daher ist es so wichtig, dass EU und USA massiv Druck machen, um in Serbien klare Verhältnisse zu erreichen. Doch ihr Einfluss auf Vojislav Kostunica ist ebenso enden wollen wie die politische Vernunft, deren Mangel jedoch nicht nur auf Serbien und den Balkan beschränkt ist.

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