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EU oder Kosovo: Serbien vor der Richtungswahl

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Wiener Zeitung
Berichte Serbien
Wahlkämpfe werden auch in Serbien immer professioneller und amerikanischer. Ihren Beitrag dazu leisten Berater vor allem aus den USA, die alle vier großen politischen Kräfte engagiert haben. So sind in Serbien Wahlkampfmanager im Einsatz, die in Israel Benjamin Netanjahu zum Sieg verholfen, oder in den USA den glücklosen Bewerber um die Präsidentschaft, John Kerry, beraten haben. Mit welchem Aufwand die Kampagne geführt wird, zeigt der Umstand, dass die kleine Wirtschaftspartei G17-Plus etwa 1,5 Millionen Telefonkontakte mit Wählern über ihren Stab gehabt haben soll. Diese Telefonaktion allein, soll nach Schätzungen etwa 500.000 Euro gekostet haben, wobei dadurch praktisch jeder vierte Wahlberechtigte erreicht wurde. Hinzu kommen Großkundgebungen, bei denen nichts dem Zufall überlassen wird, weil die Anhänger mit Autobussen aus dem ganzen Land heran gekarrt werden. Eine derartige Kundgebung kostet bis zu 40.000 Euro. Für TV-Spots und gekaufte Sendezeiten geben die führenden Parteien noch jeweils etwa eine Million Euro aus, schätzen Experten. Dieses Geld kommt natürlich auch von anonymen Spendern, die ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen verfolgen; praktische Unterstützung leisten auch die USA, die sich ihr Interesse an dem Sieg des so genannten demokratischen Blocks offensichtlich auch etwas Kosten lassen.

Von diesem ausländischen Geldregen ausgeschlossen sind die serbischen Ultranationalisten, die Serbische Radikale Partei (SRS). Doch sie erhält als größte Parlamentspartei allein pro Monat etwa 130.000 Euro an Parteienförderung durch den Staat und muss daher nicht darben.

Die Radikalen sind auch das klarstes Beispiel für die Amerikanisierung des Wahlkampfes. Bei ihrer Kundgebung in Novi Sad regnete es zum Schluss Luftballone auf die Tausenden Teilnehmer herab; doch auch inhaltlich sind Töne zu vernehmen, die das extremistische Image korrigieren sollen. So warb Spitzenkandidat Tomislav Nikolic wenigstens verbal nicht nur um das Vertrauen der Serben, sondern auch um das der „Ungarn, Rumänen, Slowaken, Rusinen, Albaner, Roma und Bosnjaken und an alle anderen, die ebenfalls ein schweres Leben haben und von derselben Mühsal geplagt werden, die eine korrupte und unfähige Regierung verursacht.“

Die Radikalen sind bestrebt, sich als soziale Protestpartei zu präsentieren. Diesen Versuch erschwerte zu Beginn des Wahlkampf ihr in Den Haag sitzender Vorsitzender Vojislav Seselj mit seinem Hungerstreik und seinem politischen Testament, dessen großserbischer Inhalt nur durch Krieg zu erreichen ist, den selbst Anhänger der Radikalen nicht mehr wollen. Doch Seselj und das Tribunal einigten sich, und Nikolic wird nicht müde zu betonen, dass seine Partei keinen Krieg wolle. Seine Themen sind Chancengleichheit, höhere Pensionen, mehr Geld für Bauern, Familien und Frauen, der Kampf gegen Korruption und Arbeitslosigkeit. Diese Kernthemen sind auch bei allen anderen Parteien präsent. Doch abgesehen von unterschiedlichen Konzepten, kritisiert die Opposition die Versäumnisse, während die Regierung auf ihre Erfolge verweist.

In Serbien gliedern sich die 20 Parteien, die um die 6,6 Millionen Wähler werben, in zwei Gruppen. Sechs vertreten nationale Minderheiten. Für sie gilt die Fünf-Prozent-Hürde nicht. Sie haben einen so genannten natürlichen Zensus zu meistern und erringen einen Sitz, wenn sie mindestens so viele Stimmen bekommen, wie ein Mandat im Durchschnitt kostet. Bis zu zehn der 250 Mandate dürften auf diese Parteien entfallen; ein Grund für die geringe Ausbeute ist, dass etwa die Ungarn mit zwei Listen antreten, und die albanischen Parteien gespalten sind. Eine Liste tritt an, die zweite wirbt für einen Boykott der Wahl. Trotzdem ist die Kandidatur der Albaner aus Südserbien bemerkenswert, denn sie treten zum ersten Mal seit 10 Jahren wieder zu Parlamentswahlen an. Doch das Potential der Minderheiten ist mit 500.000 Stimmen weit größer. Darum werben auch die übrigen 14 Parteien. Von ihnen dürften maximal sechs im neuen Parlament vertreten sein. Sie repräsentieren eine politische Dreiteilung Serbiens. Am einen Ende des Spektrums stehen die politischen Kräfte, die für eine Modernisierung sind; ihr Gegenpol sind jene Kräfte, die für eine Abschottung und eine konservative Politik sind, die sich am 19. Jahrhundert orientiert. In der Mitte steht eine ideologisch unscharfe Gruppierung, die bereits dadurch der Abschottung Serbiens näher steht als der Modernisierung.

Modernisierer im europäischen Sinne sind die Liberalen, die den Einzug ins Parlament schaffen könnten und die Wirtschaftspartei G17-Plus. Die Liberalen sind eine Abspaltung der Demokratischen Partei und bestehen aus vielen Funktionären, die sich nach dem Mord an Ministerpräsident Zoran Djindjic mit dessen Nachfolger als Parteivorsitzendem, Boris Tadic, überworfen haben. G17-Plus wiederum ist einer der Koalitionspartner von Ministerpräsident Vojislav Kostunica. Stärkste Kraft dieses Lagers ist die DS, die Demokratische Partei von Staatspräsident Boris Tadic. Nach Umfragen könnte die DS bei der Wahl zweitstärkste Kraft werden, wobei das gesamte Potential dieses Lagers auf bis zu 40 Prozent geschätzt wird.

Am anderen Ende des Spektrums stehen die Sozialisten, die nach dem Tod von Slobodan Milosevic kaum Chancen auf den Einzug ins Parlament haben. Zu diesem Lager gehören auch die Radikalen; sie werden die stimmenstärkste Einzelpartei bleiben und könnten mehr als 30 Prozent erzielen. Zwischen diesen beiden Polen angesiedelt ist die DSS, die Partei von Vojislav Kostunica, der drei Jahre lang eine Minderheitsregierung geführt hat. Zur Wahl tritt Kostunica mit. einer Vier-Parteien Koalition, gebildet aus national-konservativen Kräften an, der mehr als 20 Prozent zugetraut werden.

Die ideologische Wasserscheide für diese drei Lager bilden die Europäische Union und der Kosovo. Die EU-Annäherung liegt seit Mai auf Eis, weil Serbien den mutmaßlichen Kriegsverbrecher Ratko Mladic nicht an das Haager Tribunal ausgeliefert hat. Beim Kosovo geht es darum, wie Serbien auf die mutmaßliche Unabhängigkeit der albanisch dominierten Provinz reagieren soll. Die klarsten Positionen vertreten dabei die Liberalen, G17-Plus und die Radikalen; Europa als einziges Ziel und als Mittel, um alles andere zu erreichen, tritt bei den Liberalen auf; sehr nahe kommt dieser Position auch G17-Plus. Beide vermitteln eine sehr klare Botschaft, dass sie Kosovo als Thema nicht oder höchsten in dem Sinne interessiert, dass diese Last von Serbien genommen wird. Auf der anderen Seite stehen die Radikalen; sie sagen klar, wenn wir zwischen Kosovo und Europa wählen müssen, dann interessiert uns Europa überhaupt nicht.

DS und DSS, Präsident Boris Tadic und Ministerpräsident Vojislav Kostunica, sind dagegen in beiden Fragen zum Lavieren gezwungen; allerdings aus unterschiedlichen Gründen. So hat die DS eine außerordentlich pro-europäische Orientierung. Doch ihr Vorsitzender ist auch Staatspräsident und muss daher zum Kosovo eine Position beziehen, die von Liberalen und G17-Plus abweicht. Die DSS bewegt sich zwischen DS und den Radikalen. Bei der DSS ist der Kosovo viel wichtiger. Doch Kostunica kann als Regierungschef die EU nicht völlig vernachlässigen, obwohl er mit seiner kompromisslosen Ablehnung jeder Unabhängigkeit des Kosovo den Radikalen weit näher steht und eine Koalition mit ihnen nicht ausgeschlossen hat.

Dieser Gegensatz zwischen Kostunica und Tadic könnten dazu führen, dass nach der Wahl eine Koalition zwischen den zwei größten so genannten demokratischen Kräften scheitert, und keine stabile Regierung gebildet werden kann. Denn noch während der Verhandlungen wird der UNO-Vermittler Marti Ahtisaari seine Vorschläge zum internationalen Status des Kosovo vorlegen. Am wahrscheinlichsten ist eine Art Unabhängigkeit unter Aufsicht von EU und NATO. Doch politische Instabilität kann sich Serbien eigentlich nicht leisten. Trotz vieler Reformen liegt die Arbeitslosigkeit bei fast 30 Prozent, sind Investitionen auf die Grüne Wiese bisher rar. Außerdem benötigt das Land allein in den kommenden Jahren geschätzte 20 Milliarden US-Dollar zur Modernisierung seiner Infrastruktur. Wie weit Serbien zurückliegt, zeigt ein Vergleich mit Slowenien. Es ist vier Mal kleiner, hat aber im Vorjahr drei Mal mehr Exporterlöse erzielt als Serben. Politische Vernunft spricht daher trotz aller Gegensätze für eine Zusammenarbeit zwischen DS und DSS. Doch politische Vernunft ist rar in Serbien. So wird seit dem Sturz von Slobodan Milosevic vor sechs Jahren kommenden Sonntag schon zu dritten Mal in Serbien das Parlament neu gewählt, weil keines der drei Kabinette bisher volle vier Jahre durchgehalten hat.

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