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Slobodan Milosevic: Vom „himmlischen Serbien“ zum Tod in der Zelle

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Slobodan Milosevic: Vom „himmlischen Serbien“ zum Tod in der Zelle

Slobodan Milosevic ist gestern in Scheveningen, dem Gefängnis des Haager Tribunals, gestorben. Der frühere Präsident Serbiens und Jugoslawiens wurde in seiner Zelle von einem Wächter tot aufgefunden. Das Tribunal hat eine Autopsie angeordnet. Milosevic litt unter Herzproblemen und hohem Blutdruck. Wegen der angegriffenen Gesundheit des Angeklagten musste der Prozess mehrmals unterbrochen werden. Erst im Dezember hatte der 64-jährige beantragt, zur medizinischen Behandlung nach Moskau verlegt werden zu dürfen. Ende Februar lehnt das Tribunal trotz Garantien der russischen Regierung ab. Befürchtet wurde, Milosevic werde nicht wieder in seine Zelle zurückkehren. In Moskau lebt Milosevics Bruder, auch Ehefrau Mira soll sich dort versteckt halten. Sie wird von Serbien mit internationalem Haftbefehl gesucht.

Für das Haager Tribunal ist Milosevics Tod in doppelter Hinsicht eine peinliche Sache. So ist nun völlig offen, was aus dem Verfahren wird. Knapp 400 Zeugen wurden einvernommen, etwa 200 Videos gesichtet und mehr als eine Million Seiten gelesen. Der Prozess hätte in erster Instanz noch heuer abgeschlossen werden sollen. Milosevic musste sich wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord verantworten, die ihm wegen der kriege in Kroatien, Bosnien und im Kosovo zur Last gelegt wurden. Ob nun wenigstens ein Teilurteil möglich ist, werden Juristen zu klären haben. Milosevic wurde am 28. Juni 2001 an das Tribunal ausgeliefert, der Prozess begann im Februar 2002. Wegen langer Verfahrensdauer und langer Untersuchungshaft wird das Tribunal nicht nur von seinen Gegnern bereits seit Jahren kritisiert.

Peinlich ist Milosevics Tod für das Tribunal auch, weil vor einigen Tagen der serbische Häftling und Kronzeuge Milan Babic in seiner Zelle Selbstmord begangen hat. Sofort tauchten in Serbien Spekulationen über die Todesursache auf. Mit Verschwörungstheorien ist daher auch jetzt zu rechnen. Seine sozialistische Partei warf dem Tribunal bereits vor, für den Tod von Milosevic verantwortlich zu sein, weil ihm die Behandlung in Moskau verweigert wurde. Auch die serbischen Ultranationalisten zeigten sich besorgt, dass ein ähnliches Schicksal andere Häftlingen ereilen könnte. Ihr Vorsitzender hat sich vor drei Jahren freiwillig dem Tribunal gestellt, doch sein Prozess hat noch immer nicht begonnen. Politiker in Belgrad forderten daher, serbische Ärzte an der Autopsie von Milosevic zu beteiligen, um alle Unklarheiten zu beseitigen. Außenminister Vuk Draskovic wiederum bedauerte, dass Milosevic nicht in Serbien der Prozess gemacht werden konnte.

Für Serbien macht Milosevics Tod die schwierige Zusammenarbeit mit dem Haager Tribunal jedenfalls nicht leichter. Bis fünften April muss der mutmaßliche Kriegsverbrecher Ratko Mladic ausgeliefert werden, sonst drohen Sanktionen der EU. Milosevics Tod wird die Zustimmung der Serben zur Verhaftung von Mladic sicher nicht steigern. Nach Umfragen sind etwa 40 Prozent nolens volens für die Zusammenarbeit mit dem Tribunal, jeweils bis zu 30 Prozent sind klar dagegen oder dafür. Nur vier Prozent bewerten das Tribunal positiv. 20 Prozent sehen jedoch in Milosevic einen Verteidiger der serbischen Sache. Sein Tod in der Zelle könnte daher einen Mythos und sein voraussichtliches Begräbnis in Belgrad eine Pilgerstätte schaffen. Slobodan Milosevic wurde 1941 in Pozarevac, südlich von Belgrad geboren. Seine Eltern begingen Selbstmord. Nach einer Karriere im Bankwesen stieg er 1986 an die Spitze der serbischen Kommunisten auf. 1990 wurde er Vorsitzender der neu gegründeten Sozialistischen Partei und bei den ersten Wahlen mit mehreren Parteien Präsident Serbiens. Von 1997 bis zu seinem Sturz im Oktober 2000 war Milosevic Präsident von Restjugoslawien, das nur mehr aus Serbien und Montenegro bestand. Milosevic nutze den serbischen Nationalismus zu seinem Aufstieg. 1989, zum 600. Jahrestag der Schlacht auf dem Amselfeld verkündete er im Kosovo das „himmlische Serbien“. Mit der Beseitigung der Autonomie des Kosovo und der Vojvodina legte Milosevic in diesem Jahr auch die Brandfackel an das alte Jugoslawien, das mit den Kriegen in Slowenien, Kroatien und Bosnien unterging. Mit dem NATO-Krieg im Jahre 1999 verloren Milosevic den Rückhalt im Volk und Serbien das Kosovo, dessen endgültiger Status noch heuer geklärt werden soll. Auch hunderttausende serbische Flüchtlinge und viele tausende serbische Tote haben für diese Politik zu bezahlen gehabt, von den katastrophalen wirtschaftlichen und sozialen Folgen für Serbien ganz zu schweigen. Der Urheber dieser Politik, Slobodan Milosevic, starb gestern in Den Haag, die Folgen seiner Politik haben viele Serben noch nicht begriffen, doch werden der Balkan und Europa darunter noch viele Jahre zu leiden haben.

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