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Peter Handke und Slobodan Milosevic

Zeitung
Kleine Zeitung
Berichte Serbien
Vor mehreren Monaten besuchte Peter Handke den ehemaligen jugoslawischen

Präsidenten Slobodan Milosevic im Gefängnis des Haager Tribunals. Drei

Stunden dauerte der Monolog des Angeklagten, der den österreichischen

Schriftsteller "geradezu erschöpfte". Erschöpft fühlt sich auch der Leser

des 20 Seiten langen Textes, den Handke anschließend verfasste. Er

beschreibt den Besuch, enthält Handkes Kritik am Tribunal, an westlichen

Journalisten und ihrer Darstellung Serbiens, schildert früherer Reisen ins

ehemalige Jugoslawien und Handkes Begründung, warum er nicht bereit ist, als

Expertenzeuge zugunsten Milosevics auszusagen. Der in der Zeitschrift

"Literaturen" veröffentlichte Text hat kaum Neues zu bieten, denn Handkes

Thesen zur Rolle Serbiens und zum Zerfall des ehemaligen Jugoslawien sind

bekannt. Trotzdem entfachte der Text in deutschen Medien einen Sturm im

Wasserglas. Das ist in gewisser Hinsicht verständlich, denn Handke spricht

vom "Massaker an den muslimischen Soldaten von Srebrenica", und das ist

einfach falsch; denn unter den etwa 8.000 Toten waren neben wehrfähigen,

aber weitgehend schlecht bewaffneten Männern auch viele Alte und

Jugendliche. Handke übernimmt somit kritiklos die ultranationalistische

serbische Propaganda, während sogar die bosnische Serben-Republik in ihrem

Srebrenica-Bericht im Juni 2004 das Massaker weitgehend objektiv dargestellt

hat.

Unter Handkes Niveau sollte eigentlich auch seine Bezeichnung der

Milosevic-Richter als "weißbärtige(r), schwarze(r) Jamaikaner" und

"südkoreanische(r) Pfandrechtsexperte liegen. Sie sind jedenfalls den

fragwürdigen Juristen vorzuziehen, die es bisher in Belgrad nicht

vermochten, den Prozess um die Ermordung von Ministerpräsident Zoran

Djindjic westlichen Standards entsprechend zu führen. Weitgehend unkritisch

steht Handke Slobodan Milosevic gegenüber und übersieht dabei ebenso wie die

meisten serbischen Ultranationalisten wie fatal Milosevics Politik für

Serbien selbst war. Denn selbst im Falle der von Handke offenbar vertretenen

These von der Weltverschwörung gegen Serbien, gehört dazu noch immer ein

Politiker, der das Wirken dieser finsteren Mächte zulässt. Was das für

Serbiens Wirtschaft bedeutete, zeigt das Beispiel des Autokonzerns Zastava.

1989, im Jahre von Milosevics berüchtigter Amselfeldrede produzierte und

verkaufte Zastava 230.000 Autos und damit mehr als der tschechische

Hersteller Skoda (183.000 Autos). 1991, zu Beginn der jugoslawischen

Tragödie, stieg VW bei Skoda ein und im Mai 2000, wenige Monate vor

Milosevics Sturz, übernahm VW Skoda völlig. 2004 erzeugte Skoda 444.000

Autos, Zastava knapp 10.000, wobei die serbische Regierung den maroden

Konzern seit dem Jahre 2001 bereits mit 150 Millionen Euro subventioniert

hat.

Doch nüchterne Bewertungen sind Handkes Sache nicht und dass ist schade;

denn seine Kritik am Haager Tribunal, am NATO-Krieg und an einseitiger

Berichterstattung hat durchaus ihre Berechtigung. So ist etwa die Auswahl

vieler Angriffsziele der NATO wenigsten ebenso fragwürdig wie zu

hinterfragen ist, ob Milosevic je wegen Bosnien vor Gericht gestellt worden

wäre, hätte es den Kosovo-Krieg nicht gegeben. Natürlich war Milosevic nicht

allein für den blutigen Zerfall Jugoslawiens verantwortlich, obwohl er

zweifellos die Hauptlast der Verantwortung trägt.

Doch Peter Handke differenziert leider auch in diesem Text nicht, begeht

eben jenen Fehler, den er vielen westlichen Journalisten zu Recht ankreidet

und schadet damit einer Diskussion, die in umfassender Form längst

überfällig ist, gerade as die Rolle des Haager Tribunals betrifft. Daher

lobt man sich nach der Lektüre von Handkes umständlich formuliertem

"Umwegzeugenbericht" zum Prozess gegen Slobodan Milosevic die

ultranationalistische Boulevardpresse in Serbien; denn sie vertritt diesen

Thesen wenigstens prägnanter sowie in weit kürzerer und zeitsparenderer

Form.

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