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Jugoslawien „Den Bösen sind sie los ....?“

Zeitung
Wiener Journal
Berichte Serbien
„Den Bösen sind sie los, die Bösen sind geblieben.“ – Dieses Zitat aus Goethes Faust beschreibt recht treffend die inter-nationalen Reaktionen auf die Abwahl und den Sturz des jugo-slawischen Präsidenten Slobodan Milosevic. Denn in den vor allem westlichen Jubel über das Ende dieses „Diktators“ mischt sich bereits die Sorge, was dieser serbische „Nationalist“ Vojislav Kostunica und seine aus 18 Parteien bestehende Allianz DOS so alles an Problemen bereiten könnten. Weit ver-haltener war daher auch der pflichtschuldige Jubel über den Sturz von Milosevic unter den Nachbarstaaten Jugoslawiens sowie in Montenegro und im Kosovo. Dort lautet das Motto eher, „Ein Problem sind wir los, die Probleme sind geblieben.“

Denn Slobodan Milosevic war nicht nur in der Region, sondern auch weltweit weit beliebter als es sein Ruf vermuten läßt. Grund für diese „heimliche Liebe“ war, daß der Paria-Status, den Serbien unter Milosevic inne hatte, verhinderte, daß die politische Führung in Belgrad ihre nationalen Interessen gegenüber den Nachbarstaaten und gegenüber Europa sowie den USA wirksam vertreten konnte. Damit war ein wesentlicher Faktor am Balkan paralysiert und die anderen Mitspieler in dieser Region konnten ihre Interessen unter Hinweis auf den „Bösen in Belgrad“ deutlich artikulieren. Mit dem weltweit unerwarteten, und in der Region teilweise auch „unerwünschten“ Sieg von Vojislav Kostunica über Milosevic stehen nun der Westen, die Kosovo-Albaner und die Monetenrginer vor einer ähnlichen Situation wie einst der „Deutsche Ritterorden“, dem durch die Taufe Jagelos plötzlich die Legitimation für seinen Kreuzzug gegen das litauisch-polnische Königreich verloren ging. Denn was dereinst die Christianisierung der Heiden war, ist heute die Demokratisierung der „Ungläubigen“, die durch diesen Akt der Bekehrung plötzlich wieder als politische Mitspieler ernst genommen werden müssen.

Daß mit dem Sturz von Milosevic und der einsetzenden Demo-kratisierung auch in Serbien durch die bevorstehende Parla-mentswahl am 23. Dezember, plötzlich zumindest zwei Probleme schlagende werden, die ansonsten stillschweigend hätten gelöst werden können, zeigen das Kosovo und Montenegro. Obwohl die UNO-Resolution 1244 und das militär-technische Abkommen von Kumanovo die „Souveränität und territoriale Integrität der Bundesrepublik Jugoslawien“ betonen und von einer „substan-tielen Autonomie“ des Kosovo „innerhalb der Bundesrepublik Jugoslawiens“ sprechen, war klar, daß diese Formulierung toter Buchstabe bleiben würde, solange Milosevic in Belgrad regiert. De facto befand sich das Kosovo immer stärker auf dem Weg zur Unabhängigkeit; von einer Rückkehr der vertriebenen Nicht-Albaner konnte ebenso wenig die Rede sein, wie von Rückkehr jugoslawischer und serbischer Kräfte an bestimmte Grenzüber-gänge. Doch nunmehr kommt für den Westen wohl unvermeidbar die Stunde der Wahrheit, wenn er zu entscheiden haben wird, ob die dieses Mal wohl demokratischen Parlamentswahlen in Serbien auch im Kosovo stattfinden können, das nach der serbischen Verfassung (Artikel 108ff) ebenso den Status einer autonomen Provinz innerhalb Serbiens genießt wie die Vojvodina, wo die serbischen Parlamentswahlen natürlich stattfinden werden. Die Albaner haben – obwohl formell jugoslawische Staatsbürger, die serbischen Lokalwahlen ebenso boykottiert wie die jugosla-wischen Parlaments- und Präsidentenwahlen. Im Gegenzug wollen die im Kosovo verbliebenen Serben die Lokalwahlen in der Provinz boykottieren, die Ende Oktober stattfinden werden. Wie immer nun die Entscheidung des Westens ausfällt, eine Seite wird sie nicht akzeptieren wollen; denn werden die serbischen Parlamentswahlen auch im Kosovo durchgeführt, so ist das ein klares Indiz dafür, daß die Albaner, ihre Unabhängigkeits- wünsche wohl begraben müssen. Finden die Wahlen m Kosovo nicht statt, wird dies das Verhältnis zwischen Belgrad und dem Westen belasten.

Die nächste „Gretchenfrage“, die der Westen zu beantworten haben wird, ist die Zukunft Montenegros. Denn diese kleinere jugoslawische Teilrepublik hat – nicht zuletzt mit westlicher Unterstützung – in der Ära Milosevic ein derart großes Maß an Unabhängigkeit erreicht, daß eine Rückkehr zum status quo ante nicht mehr in Frage kommt. Daß der Name Jugoslawien verschwin-den und voraussichtlich durch den Begriff „Union Serbiens und Montenegro“ abgelöst werden wird, ist schon klar. Doch Monte-negro fordert nun jenes Recht ein, das die Badinter-Kommission 1991/92 allen ehemaligen jugoslawischen Teilrepubliken zuge-standen hat, das Recht auf Sezession und damit auf Eigenstaat-lichkeit. So verlangt Montenegro, daß es trotz einer noch zu klärenden Union mit Serbien auch in internationalen Institu-tionen wie der UNO und der OSZE vertreten sein kann. Eine Auf-nahme Jugoslawiens in die OSZE oder die Rückkehr in die UNO werden nur als vorübergehende Maßnahme zur Konsolidierung Belgrads akzeptiert. Zwar ist Montenegro vom Westen finanziell abhängig, doch wird die politische Führung in Podgorica auf Zeit spielen und rasche oder einseitige Schritte vermeiden, am grundsätzlichen Ziel aber wohl festhalten. Montenegro ist auch nicht bereit, die Wahl von Vojislav Kostunica zum jugoslawi-schen Präsidenten oder die Bildung einer Bundesregierung anzu-erkennen. Denn diese Wahl beruhte auf einer einseitigen Änderung der Bundesverfassung am sechsten Juli, die vom Westen ebenso verurteilt wurde wie die undemokratischen Bedingungen der Wahl selbst. Hinzu kommt, daß Montenegro nur mit Serbien über die zukünftige Union verhandeln will; diese Gespräche, die nach den Wahlen am 23. Dezember so richtig anlaufen werden, sollen aber erst abgeschlossen werden, wenn der Status Serbiens (Kosovo !) geklärt ist. Der Westen ist in all diesen Fragen in einer schwierigen Position, denn er hat de facto so-wohl die Kosovo-Albaner wie auch die Sezession Montenegros unterstützt und muß nun auch auf die Interessen Belgrads Rück-sicht nehmen. In dieser Hinsicht ist das Montenegro-Problem leichter zu lösen, denn auch Belgrad ist grundsätzlich bereit, eine Unabhängigkeit der kleineren jugoslawischen Teilrepublik zu akzeptieren. Denn allen Seiten ist klar, daß die Bewahrung einer Föderation sinnlos ist, die auf österreichische Ver-hältnisse umgelegt einer Föderation zwischen Tirol und dem Rest Österreichs entspricht.

Der Schlüssel zur Stabilisierung und zur Gesundung „Jugosla-wiens“ liegt darüber hinaus weder in den Bundesinstitutionen noch in Podgorica, sondern in Serbien. Die serbische Wirt-schaft liegt danieder, wurde von Milosevic im Hinblick auf die Wahlen am 24. September ausgebeutet und darüber hinaus massiv kriminalisiert. Den Preis dafür wird die neue demokratische Regierung zu bezahlen haben, die nach den Wahlen am 23. Dezem-ber im Amt sein wird. Wie schwierig die Lage ist, zeigt der Umstand, daß die Wirtschaft Serbiens noch vor zehn Jahren deutlich vor Polen lag, während sie heute in der selben Liga wie Weißrußland und Albanien spielt. Eine Stabilisierung der Situation wird daher nur durch ein Stabilisierung Serbiens zu erreichen sein, das über weit mehr Kompetenzen verfügt als die jugoslawischen Bundesinstitutionen. Von entscheidender Bedeu-tung wird in diesem Zusammenhang sein, wie lange die Parteien-allianz DOS nach den Wahlen in Serbien ihren Zusammenhalt wahren kann. Ebenso entscheidend wird auch die Frage sein, wie sich das Verhältnis zwischen dem künftigen demokratischen Regierungschef Serbiens sowie dem jugoslawischen Präsidenten Kostunica und dem sozialistischen serbischen Präsidenten Milan Milutinovic entwickeln wird. Milutinovic ist in diesem Dreieck der schwächste Faktor, denn seine sozialistische Partei wird lange brauchen, um das Erbe der Ära Milosevic zu überwinden.

Europa sollte sich daher primär auf eine Stabilisierung Serbiens konzentrieren und auf gute Beziehungen zwischen der kommenden serbischen Führung und Vojislav Kostunica hinwirken. Dazu wird es auch erforderlich sein, den künftigen Status des Kosovo zu klären, um den Weg für seriöse Verhandlungen zwischen Belgrad und Podgorica freizumachen. Die Zeit der Politik des „aktiven Zuwartens“ in all diesen Fragen dürfte vorbei sein. Voraussetzung für eine dauerhafte Befriedung des Balkans bleibt jedoch vor allem eine Politik der USA und der EU, die nicht wie in den vergangenen zehn Jahren den Entwik-klungen im ehemaligen Jugoslawien hinterher hinkt, sondern „den Mantel Gottes“ (Bismarck) ergreift und zu gestalten und nicht eine Fiktion zu bewahren sucht, die unter Slobodan Milosevic noch Jugoslawien hieß.

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