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Das Jahr der Entscheidung: Jugoslawien steht vor grundlegenden Änderungen

Zeitung
Wiener Journal
Berichte Serbien
Ende Jänner fielen in Belgrad zwei Ereignisse zusammen, die für die politische Wende in Serbien ebenso bezeichnend sind wie für die Schwierigkeiten des gesamten Transformationspro-zesses, vor dem die größere jugoslawische Teilrepublik nun steht: die Vereidigung der neuen serbischen Regierung unter Zoran Djindjic und der erste Besuch von Karla Del Ponte, der Chefanklägerin des Kriegsverbrechertribunals in Den Haag.

Die Vereidigung der serbischen Regierung erfolgte einen Monat nach dem triumphalen Wahlsieg der demokratischen Parteienalli-anz DOS am 23. Dezember. Mit 176 Mandaten gewann die Allianz im 250 Sitze zählenden serbischen Parlament die Zwei-Drittel-mehrheit. Die Sozialisten (SPS) von Slobodan Milosevic ver-fügen nur mehr über 37 Abgeordnete; die ultranationalistische Serbische Radikale Partei (SRS) von Vojislav Seselj verfügt nur mehr über 23 Mandate. Sie muß sich das nationalistische Wählerspektrum mit der Partei der Serbischen Eintracht (SSJ) teilen, die ebenfalls die Fünf-Prozent-Hürde übersprang und 14 Vertreter im Parlament hat. Die SSJ ist das politische Erbe des vor einem Jahr erschossenen Milizenführers Arkan. Ihr Par-teivorsitzender Borislav Pelevic ist nicht nur Vorsitzender des jugoslawischen Kickbox-Verbandes; Pelevic soll auch auf der geheimen Liste des UNO-Kriegsverbrechertribunals in Den Haag stehen.

Politisch verfügt die Allianz DOS in Serbien über eine ausge-zeichnete Ausgangslage. Denn im Gegensatz zu vielen Reform-staaten Mittel- und Osteuropas wurden die Kräfte des „ancien regimè“ vom Wähler zur Bedeutungslosigkeit verdammt. Erfolg oder Scheitern der geplanten Reformpolitik wird in Serbien somit ausschließlich dem Bündnis DOS gutzuschreiben oder an-zulasten sein. Dieser Umstand führt zwnagsläufig zur Frage nach dem inneren Zusammenhalt der Allianz, die aus 19 welt-anschaulich höchst unterschiedlichen Parteien besteht. Doch Unkenrufe über einen rasch drohenden Zerfall des Bündnisses dürften verfrüht sein. Denn die Allianz hat sich vor der Wahl nicht nur bereits auf ein Regierungsprogramm, sondern auch auf einen prozentuellen Schlüssel geeinigt, nach dem die Mandate zu verteilen sind. Den Löwenanteil der 176 Mandate teilen sich die Demokratische Partei Serbien (DSS) und die Demokratische Partei (DS). Die DSS unter Führung von Vojislav Kostunica und die DS unter Leitung von Zoran Djindjic verfügen jeweils über 45 Sitze im Parlament verfügen. Die restlichen 86 Mandate ent-fallen auf die übrigen 17 Mitglieder der Allianz DOS. Diese Mandatsverteilung im Parlament spricht zunächst für die Stabi-lität der kommenden DOS-Regierung unter Zoran Djindjic, in die alle Spitzenpolitiker der Allianz eingebunden sind. Denn eine DOS-Regierung könnte mit der nötigen einfachen Abgeordneten-mehrheit nur gestürzt werden, wenn eine der führenden DOS-Parteien fast alle anderen Mitglieder der Allianz auf ihre Seite ziehen oder auf die Unterstützung der Sozialisten und Ultranationalisten zählen kann. Stabilisierend wirkt auch der Umstand, daß das Wahlgesetz „wilde Abgeordnete“ praktisch aus-schließt, denn ein Politiker verliert seinen Parlamentssitz auch dann, wenn seine Parteimitgliedschaft endet. Damit ist auch der Übertritt von einer Partei in die andere praktisch ausgeschlossen. Dieser stabilisierende Faktor hat allerdings den demokratiepolitischen Schönheitsfehler, daß es in Serbien kein freies, sondern nur ein imperatives Mandat gibt.

Diese stabilisierenden Faktoren sind jedoch nur bedingt aus-sagekräftig, was die Frage konkreter Reformen betrifft. Denn neben weltanschaulichen Unterschieden bestehen durchaus auch unterschiedliche Vorstellung über das Tempo der Umgestaltung Serbiens gibt. Zu den großen Prüfsteinen für das Parteienbünd-nis wird die Frage der Wirtschaftsreformen zählen. Die Masse der serbischen Großbetriebe ist veraltet, arbeitet nur mit ge-ringer Auslastung und ist unproduktiv. Wie diese Betriebe un-ter Wahrung des sozialen Frieden und angesichts der hohen Er-wartungen der Bevölkerung auf ein besseres Leben saniert wer-den sollen, zählt zu den großen Herausforderungen der neuen Regierung. Hinzu kommt die enorme Verschuldung Jugoslawiens (Serbiens). Nach Angaben von Wirtschaftsexperten betragen die Auslandsschulden 13,4 Milliarden Dollar, und die Staatsschul-den im Inland sogar 17,4 Milliarden. Damit übertrifft der öf-fentliche Schuldenberg den Wert des gesamten einjährigen Brut-tosozialprodukts. Zusätzlich schuldet der Staat den eigenen Bürgern 3,5 Milliarden Dollar, die als Sparguthaben bei zahl-ungsunfähigen Banken bestehen.

Angesichts dieser Zahlen und eines offiziellen monatlichen Durchschnittseinkommens von etwa 900 Schilling sowie einer veralteten Industriestruktur ist es nicht verwunderlich, daß für Zoran Djindjic die Schaffung eines investitionsfreund-lichen Klimas und der Kampf gegen Armut Vorrang genießen. Zu Djindjics Prioritäten zählt auch die juristische Aufarbeitung von Gesetzesverstößen der Regierung unter Slobodan Milosevic. Eine Auslieferng von Milosevic an das Haager Kriegsverbrecher-trubunal lehnt Djindjic aber ebenso ab wie der jugoslawische Präsident Vojislav Kostunica. Doch im Gegensatz zu Kostunica war Djindjic von Anfang an bereit, sich mit der Chefanklägerin des Tribunals, Karla Del Ponte zu treffen. Die Art und Weise der Zusammenarbeit Belgrads mit dem Tribunal sowie die inner-serbische Aufarbeitung der Ära Milosevic werden entscheidend für die tatsächliche Demokratisierung des Landes sein. Denn nicht nur die Armee- und Polizeispitze stammt noch aus Milo-sevics Zeiten, auch einige Berater Kostunicas haben sich aus dieser Ära bisher retten können. Kostunicas jüngstes Treffen mit Milosevic, seine zunächst bestehende Weigerung Karla Del Ponte zu treffen sowie die auch in den Medien bisher kaum in Gang gekommene Aufarbeitung serbischer Kriegsgreuel sind In-dizien dafür, wie schwierig und langwierig die Bewältigung dieser Ära sein wird.

Unklar ist derzeit auch noch die weitere Zukunft Jugoslawiens, eine Frage, bei der Zoran Djindjic ebenfalls einen möglichen Konflikt mit Vojislav Kostunica über die künftigen Beziehungen zwischen Serbien und Montenegro vermieden hat. Insbesondere Kostunica will Jugoslawien als Staat erhalten, in dessen Rah-men die Neugestaltung der Beziehungen zwischen beiden jugosla-wischen Teilrepubliken bereit. Kostunica warnt stets vor den tatsächlichen oder vermeintlichen Folgen einer Abspaltung Montenegros für den gesamten Balkan, schließt eine gewaltsame Verhinderung der Loslösung Montenegros aber aus. Dazu dürfte Belgrad auch gar keinen Grund haben, denn die montenegrinische Verhandlungsposition ist weit schwieriger als die serbische.

Während hinter Kostunicas Vorschlag die gesamte Allianz DOS steht, wird die montenegrinische Position einer Union zweier Staaten nur von den Unabhängigkeitsbefürwortern unterstützt. So führte der Beschluß der Verhandlungslinie in Podgorica Ende Dezember zum Bruch der Drei-Parteienkoalition, in der auch eine kleine pro-serbische Partei vertreten war. Zwar verfügen die Unabhängigkeitsbefürworter über eine knappe Parlaments-mehrheit, doch zur Bildung einer neuen Regierung kam es nicht. Vor allem die stärkste Partei, die DPS von Milo Djkanovic, schwankte in ihrer Haltung. Zunächst schien die Bildung einer Minderheitsregierung und die Vorziehung des geplanten Unab-hängigkeitsreferendums die wahrscheinlichste Variante. Doch dann machte die DPS einen Rückzieher und verhandelte mit der größte Oppositionspartei, der SNP, über vorgezogene Parla-mentswahlen. Die Gespräche blieben zunächst ergebnislos; nun soll Ende April gewählt werden.

Auf eine Lösung der verfahrenen Situation durch vorgezogenen Parlamentswahlen hofft auch Vojislav Kostunica, sprich auf die Abwahl der Parteien, die für die Unabhängigkeit Monte-negros eintreten. Denn die SNP fühlt sich gestärkt, seit sie die Abkehr von Slobodan Milosevic vollzogen und mit der Alli-anz DOS gemeinsam die jugoslawische Bundesregierung gebildet hat. Hinzu kommt, daß die Montenegriner in der Frage der Unab-hängigkeit gespalten sind und bisher unklar ist, wie sich die positive internationale Aufnahme Jugoslawiens nach der Wende auf die Stimmung in Montenegro auswirkt. Umfragen deuteten bislang auf eine knappe Mehrheit für die Unabhängigkeit hin.

Zusätzlich geschwächt wird Djukanovics Position gegenüber Belgrad durch die internationale Staatengemeinschaft. Von deren Finanzhilfe ist Montenegro massiv abhängig, doch der Westen lehnt eine Unabhängigkeit Montenergos ab. In dieses Bild paßt auch, daß jüngst Italien Djukanovic beschuldigte, in Montenegro italienischen Mafiosi und Zigarettenschmugglern Unterschlupf zu bieten, ein Vorwurf, den Podgorica entschieden zurückgewiesen hat. Im Poker um die Zukunft Jugoslawiens ver-fügt Belgrad trotz aller wirtschaftlichen Probleme jedenfalls derzeit über die besseren Karten. Vojislav Kostunica und vor allem Zoran Djindjic können zunächst die Wahl abwarten, auf die dann das Referendum folgen soll. Kostunica hält denn der-zeit weitere Gespräche mit Djukanovic über die Zukunft Jugo-slawiens praktisch für zwecklos, weil die Positionen „radikal entgegengesetzt“ und daher „nicht annäherbar“ seien. Diese Strategie kann jedoch nur aufgehen, wenn die montenegrinischen Unabhängigkeitsbefürworter die Wahl verlieren oder unter west-lichem Druck auf das Referendum verzichten. Sollte beides nicht eintreten, hätten Serbien und Montenegro vor allem Zeit verloren, die für eine umfassende Reform des jugoslawischen Staates hätte genützt werden können.
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