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Parteinahme statt „ehrlicher Makler“ Die EU und der Konflikt zwischen Serbien und Montenegro

Zeitung
Wiener Journal
Berichte Serbien
Nach den Jahren 1878 und 1918 wird sich die europäische Politik auch im Jahre 2001 mit der „montenegrinischen Frage“ befassen müssen. Diese Frage wurde von den europäischen Großmächten bisher auf zwei unterschiedliche Arten „gelöst“. Beim Berliner Kongreß im Jahre 1878 kam es zur internationalen Anerkennung dieses Staates. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges opferten die Westmächte ihren Ver-bündeten großserbischen Interessen, die im politisch in dieser Frage gespaltenen Montenegro durchaus auch auf positiven Widerhall stießen. Montenegro wurde die Teilnahme an den Versailler Verhandlungen verweigert und König Nikola starb im Exil. Im zweiten Jugoslawien zählten die Montenegriner zu den treuesten Anhän-gern Titos, erhielten den Status eine Teilrepublik – und die „montenegrinische Frage“ schien gelöst.

Diese Rechnung schien auch den Zerfall des Tito-Staates zu überdauern, denn die geistigenund familiären Bande zwischen Montenegro und Serbien waren und sind nach wie vor sehr eng. Daß sich die Frage nach der staatsrechtlichen Stellung Monte-nrgos nun wieder stellt, zählt zu den Erblasten der Ära von Slobodan Milosevic, dem es auch in diesem Fall gelang, bereits überwunden gelaubte Gegensätze neu zu bele-ben. Milosevics Politik führte vor etwas mehr als drei Jahren zum Bruch zwischen Belgrad und Podgorica, als Milo Djukanovic den Milosevic-Gefolgsmann Momir Bu-latovic von der Macht verdrängte. Djukanovic wandte sich dem Westen zu, öffnete das Land und erwarb sich in vielen westlichen Medien das Bild des strahlenden Jung-Siegfried, der dem bösen Belgrader Drachen „Slobo“ furchtlos und demokra-tisch die Stirn bot. Daß sich dieses eindimensionale Bild nun wandelt, hängt mit dem Machtwechsel in Belgrad zusammen, wo ein serbischer Jung-Siegfried mit Namen Vojislav Kostunica nach 10 Jahren den Drachen erlegte. Nach der Revolution am fünften Oktober wurde Kostunica zum neuen Heros westlicher Medien und jeder Politiker, der etwas auf sich hielt, pilgerte nach Belgrad wie einst nach Podgorica, um dem neuen Helden seine Aufwartung zu machen. Zunehmend als Störfaktor em-pfunden wurde und wird im Westen das frühere Liebkind, das nun in die Nähe der Mafia und des Zigarettenschmuggels gerückt wird; denn Milo Djukanovic wird nicht „verziehen“, daß er Kostunica nicht ebenfalls huldigt und auf die Pläne einer monte-negrinischen Unabhängigkeit verzichtet. Das Bild von Kostunica ist natürlich ebenso einseitig wie im Falle Djukanovics, doch die Welt will betrogen werden; und Liebe macht bekanntlich blind, insbesondere dann, wenn der frankophile Kostunica von der politischen Klasse in Paris zum Bollwerk gegen den deutschsprechenden serbi-schen Ministerpräsidenten Zoran Djindjic und damit gegen ein an Deutschland aus-gerichtetes Serbien auserkoren wurde.

Vor allem die EU, die aus dem Zerfall Jugoslawiens vor 10 Jahren eigentlich etwas gelernt haben sollte, übersieht in diesem Zusammenhang mehrere Kleinigkeiten. So haben sich die ehemaligen jugoslawischen Teilrepubliken bereits in der Ära Tito und erst recht nach dessen Tod im Jahre 1980 zunehmend auseinander entwickelt, ein Prozeß der sich im Falle Montenegros im vergangenen Jahr als Folge des Kosovo-Krieges massiv beschleunigt hat. Sichtbarstes Zeichen dafür war die Einführung der DM als einziges Zahlungsmittel in Montenegro im November 2000. Jugoslawien als gemeinsamer Staat der Serben und Montenegriner besteht nur noch in folgenden Bereichen:

Die Bundesrepublik Jugoslawien (und damit de facto die serbische Führung) hat die ausschließe Zuständigkeit, über die Mitgliedschaft in internationalen Orga-nisationen zu verhandeln.

Montenegriner dienen nach wie vor in den jugoslawischen Streitkräften auf dem Territorium beider Teilrepubliken. Milo Djukanovic nimmt wieder an Sitzun-gen des Obersten Verteidigungsrates teil, doch die erhoffte umfassende Ablöse der einst Milosevic treuen Generalität blieb bisher aus. Medien und Politiker in Pod-gorica haben diesen Umstand massiv kritisiert; für den Fall der Unabhängigkeit hat Djukanovic angekündigt, daß Montenegro keine eigenen Streitkräfte aufbauen werde.

Monetengriner haben nach wie vor jugoslawische Pässe. Diese werden jedoch vom montenrginischen Innenministerium ausgestellt. Albanien gestattet Inhabern derartiger Pässe die visafreie Einreise, ein Entgegenkommen, das vor allem die alba-nische Minderheit in Montenegro betrifft.

Die Kontrolle des Luftverkehrs ist in Montenegro in der Hand der jugoslawi-schen Streitkräfte. Hinzu kommen enge Verbindungen auf dem Energiesektor und beim Statistischen Zentralamt. Alle anderen Bereichen werden von beiden Teilrepu-bliken bereits selbständig wahrgenommen. Die Gemeinsamkeiten zwischen Serbien und Montenrgo sind somit weit geringer als etwa in der EU oder gar zwischen den Mitgliedern des Schengener Vertrages, die ebenfalls unabhängige Staaten sind.

Zu den Faktoren, die die EU bisher offensichtlich nicht entsprechend berücksichtigt hat, zählt auch das seit dem Vorjahr zunehmend belastete politische Klima zwischen der Führung in Podgorica und der neuen Elite in Belgrad. Auch an dieser Belastung hat Slobodan Milosevic einen erheblichen Anteil; denn er hat mit der einseitigen Än- derung der Bundesverfassung im Juli des Jahres 2000, die Stellung Montenegros in der Föderation massiv geschwächt und damit den Keim des Konflikts zwischen der Führung in Podgorica und der DOS-Führung in Belgrad gesät. Ermöglicht wurde diese Verfassungsänderung nicht zuletzt durch jene Parteigänger Milosevics, die nun als Koalitionspartner von Vojislav Kostunica in der Bundesregierung sitzen. Die Än-derung der Verfassung spaltete die montenegrinischen und die serbischen Milosevic-Gegner. Montenegros pro-westliche Parteien beschlossen gegen den Willen der ser-bischen Opposition, die Wahl am 24. September zu boykottieren, um die Änderung der Verfassung nicht indirekt zu legitimieren. Das Parteienbündnis DOS trat da-gegen zur Wahl des jugoslawischen Präsidenten und des Bundesparlaments an. Im Wahlkampf selbst war bei Kostunica und DOS kaum ein Hinweise auf Jugoslawien zu finden. Zentrales Thema war die Zukunft Serbiens, wo bei den Versammlungen von DOS stets nur die alte serbische Hymne „O Gott der Gerechtigkeit“ gespielt wurde. Den Begriff Jugoslawien im Namen, führte gar nur die Partei von Milosevics Ehefrau Mira Markovic, die eine vernichtende Niederlage erlitt.

Die Saat des Mißtrauens und der Bitterkeit hat seit dem 24. September reiche Früchte getragen. DOS wirft Montenegro mangelnde Unterstützung gegen Milosevic, politi-schen Separatismus und Milo Djukanovic persönlichen Ehrgeiz und Verbindungen zur Mafia vor. Latent vorhanden ist auch der Vorwurf, Montenegro habe Serbien im Krieg gegen die NATO verraten. Genährt werden all diese Ressentiments auch durch serbische Medien, die den montenegrinischen Interessen ebensowenig Verständnis entgegenbringen wie dem wachsenden Bewußtsein historischer Eigenständigkeit. Bestes Beispiel dafür ist Vojislav Kostunica, dessen Verhandlungsplattform mit dem in dieser Form unrichtigen Satz beginnt: „Serbien und Montenegro haben während ihrer gesamten neuen Geschichte nach staatlicher Vereinigung gestrebt.“ Kostunica will die Föderation erneuern, wobei seine Vorschläge auf eine größere Dominanz Serbiens hinauslaufen, als dies nach der Bundesverfassung des Jahres 1992 der Fall war. Die Mehrheit der politischen Parteien in Montenegro lehnt diesen Vorschlag ab. Präsident Djukanovic befürwortet statt dessen eine Union unabhängiger Staaten zwischen Serbien und Montenegro nach dem Muster der EU mit freiem Personen- Waren- und Güterverkehr, ohne Zölle und Paßkontrollen. Diesen Vorschlag haben Kostunica (und Djindjic) wiederum abgelehnt, so daß es bisher nicht zu ernsthaften Verhandlungen gekommen ist.

Massiv gewachsen sind auch die Vorbehalte in Podgorica. DOS wird vorgeworfen, die Unterstützung im Kampf gegen Milosevic vergessen zu haben und statt dessen wieder auf großserbischen Nationalismus zu setzen. Viele Politiker befürchten, daß Montenegro angesichts des enormen serbischen Finanzbedarfs von internationaler Hilfe kaum etwas sehen wird, sollte das Land nicht selbständig werden. Eine Vorent-scheidung über diese Frage wird bei der Parlamentswahl am 22. April fallen, auf die auch Kostunica seine Hoffnungen setzt. Gewinnen die pro-serbischen Parteien, ist die Frage der Unabhängigkeit vorerst „vom Tisch“; doch auch dann stehen schwieri-ge Verhandlungen bevor, denn die Föderation in dieser Form ist praktisch tot und vor allem ein bürokratisches Hindernis für die notwendige umfassende Reform des serbischen Staates. Siegen die Befürworter der Unabhängigkeit, soll im Juni ein Referendum stattfinden, wobei mit Belgrad über eine Neuregelung der Beziehungen ebenfalls weiter verhandelt werden soll.

Die Europäische Union (aber auch die USA) haben auf diese Entwicklung mit jenem bewährten Muster reagiert, das auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien schon zu vier Kriegen geführt hat. Statt als ehrlicher Makler aufzutreten, stärkte vor allem die EU Belgrad den Rücken, drohte Montenegro mit einem Verlust der Finanzhilfe und sprach sich für ein Weiterbestehen Jugoslawiens aus. Die einseitige Bevorzu-gung Belgrads zeigte sich auch durch die Besuchsdiplomatie. So kam die EU-Trojka Anfang Februar zwar nach Belgrad, nach Podgorica kamen jedoch nur eine rang-niedrigere Delegation. Diese Politik führt Montenegro klar vor Augen, welchen Stellenwert es zu erwarten hat, sollte es bei Jugoslawien bleiben; auch die Kompro-mißbereitschaft Belgrads wird dadurch nicht gefördert. Als Argumente gegen die Unabhängigkeit Montenegros führen Brüssel und Belgrad unisono vier Argumente ins Treffen: die möglichen negativen Folgen für den Kosovo, für Bosnien und Maze-donien sowie für Serbien und Montenrgo selbst. Im Falle des Kosovo wird auf die UNO-Resolution 1244 verwiesen, die die territoriale Integrität Jugoslawiens betont. Ohne Montenegro fiele die Geschäftsgrundlage der Resolution weg, lautet die Argu-mentation. Die Schwäche dieser Position liegt darin, daß die Kosovo-Albaner auch dann nicht auf ihre Unabhängigkeit verzichten wollen, wenn Montenegro bei Serbien bleibt. Hinzu kommt, daß bisher weder Serbien noch Montenegro bereit sind, dem Kosovo einen gleichberechtigten Status zu gewähren, so daß sich die Frage nach der Stellung Montenegros erst wieder stellen würde, sollte es zu Verhandlungen über die Zukunft des Kosovo kommen. Auch die Zukunft Mazedoniens wird nicht zwischen Belgrad und Podgorica entschieden; denn die Stabilität Mazedoniens hängt primär vom politischen Ausgleich zwischen Slawen und Albanern und von der wirtschaft-lichen Gesundung des Landes ab. Was Bosnien betrifft, so ist die Verknüpfung mit Montenegro gleich in doppelter Hinsicht ein Paradebeispiel für die verfehlte Politik des Westens. So hat es der Westen auch fünf Jahre nach Kriegsende nicht verstanden, den Friedensvertrag von Dayton und dessen Institutionen mit Leben zu erfüllen. Bei der Parlamentswahl im November siegten wieder die nationalistischen Parteien; in der Republika Srpska gewann die SDS, die Partei des mutmaßlichen Kriegsver-brechers Radovan Karadzic nicht zuletzt dank beträchtlicher Unterstützung durch Vojislav Kostunica und dessen Partei. So weigerte sich Kostunica während des Wahl-kampfes in Bosnien Milorad Dodik, den Herausforderer des SDS-Spitzenkandidaten, zu empfangen, der damals noch als einer der Hoffnungsträger des Westens galt. Was die Beziehungen zwischen Serbien und Montenegro sowie Spaltung der monte-negrinischen Bevölkerung in der Frage der Unabhängigkeit angeht, wäre es gerade die Aufgabe der EU, durch eine unparteiische Vermittlerrolle dafür zu sorgen, daß die Lage stabil bleibt.

Vojislav Kostunica hat die Anwendung militärischer Mittel gegen ein sich abspal-tendes Montenegro ausgeschlossen; das bedeutet jedoch nicht, daß er nicht alle politischen Mittel einsetzt, um diese Loslösung zu verhindern. Aufgabe der EU kann es nicht sein, die staatliche Einheit Jugoslawiens zu erhalten, eine Strategie, die bisher stets gescheitert ist. Viel wichtiger ist, daß die EU dazu beiträgt, daß es zu substan-tiellen Verhandlungen zwischen Belgrad und Podgorica kommt, die zunächst über jene Punkte zu führen sind, wo gemeinsame Positionen möglich sind. Um dieses Ziel zu erreichen, müßte die EU jedoch ihre in den Augen vieler Montenegriner verlorene Unparteilichkeit wieder herstellen und als ehrlicher Makler auftreten. Die EU sollte daher auch eine Unabhängigkeit Montenegros als mögliches Verhandlungsergebnis und eine Art Union souveräner Staaten nicht a priori ausschließen. Zum ersten Mal in diesem Jahrhundert besteht die Möglichkeit, daß Serbien und Montenegro auf friedliche und demokratische Weise ihre Beziehungen regeln. Die EU sollte dazu beitragen, daß diese Chance genutzt wird. Dazu ist vor allem auch die Kompromiß-bereitschaft des größeren Partners gefordert, die derzeit nur in Ansätzen vorhanden ist. Bosnien, Montenegro, das fast völlige fehlende Bewußtsein über serbische Greueltaten im Kosovo und die Frage der Zusammenarbeit mit dem Haager Kriegs-verbrecher Tribunal haben deutlich gemacht, daß Vojislav Kostunica nicht zuletzt deswegen Slobodan Milosevic schlagen konnte, weil er von vielen Serben als der bessere und erfolgversprechendere Nationalist empfunden wird. Nach dem demo-kratischen Machtwechsel auch in Serbien sollte die internationale Schonzeit für Kostunica daher nun zuende gehen. Denn der Nationalismus und die Unfähigkeit vor allem der EU, angemessen zu reagieren, haben zur Zerstörung Jugoslawiens ge-führt. Nach einem Jahrzehnt der Kriege, des Leids, des Elends und nicht zuletzt enormer Kosten, sollten die EU und ihre Mitglieder wenigstens im Falle Montene-gros beweisen, daß ihre Stärke nicht nur im Fehlen einer brauchbaren Alternative zu diesem begrüßenswerten europäischen Friedenswerk liegt.
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