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Stell Dir vor es ist Generalstreik – Und zu wenige gehen hin

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Berichte Serbien
Ein regennasser unfreundlicher Tag sollte den Auftakt für den Generalstreik bilden, zu dem die serbische Opposition auf-gerufen hatte, um Slobodan Milosevic zur Anerkennung des von ihr behaupteten Wahlsieges und zum Verzicht auf eine Stichwahl zu zwingen. Nicht klar ist zunächst die Parteinahme des Wettergottes; denn der Regen animiert zum „Ausstand“ im trauten Heim, nicht jedoch zur Teilnahme an Demonstrationen. Als es zu Mittag aufklart und der Regen nachläßt, ist Unterstützung des Wettergottes für die Opposition eindeutig. Schüler ziehen durch die Straßen, schwenken Fahnen der Bewegung Otpor (Widerstand) und rufen Parolen gegen Slobodan Milosevic und für Vojislav Kostunica.

Vorausgegangen waren diesen Demonstrationen bereits kurz nach fünf Uhr früh einige Straßenblockaden; auch eine der wichti-gsten Brücken der Stadt wurde kurzfristig für den Verkehr gesperrt. Gestreikt haben einige Stunden auch mehrere Taxi-unternehmen der Stadt. Das Verkehrsaufkommen war spürbar geringer – fragt sich nur, ob nicht viele Belgrader wegen der befürchteten Blockaden und der Staus ihr Auto überhaupt zu Hause stehen ließen. Auch der Autobusverkehr war geringer; doch wer den Streik privater Busunternehmer vor einigen Monaten erlebt hat, weiß was möglich ist, und was heute erreicht wurde. Hinzu kommt, daß nicht bei jedem parkenden Autobus klar ist, wer streikt, der Fahrer oder der Bus; denn viele Auto- und O-Busse in Belgrader sind bereits fast ebenso alt oder älter als der Fahrer selbst.

Geschlossen sind in Belgrad auch einige Kinos; nicht gestreikt wird im Nationalmuseum, denn – so eine Mitarbeiterin – der Be-sucherstrom ist so gering, daß ein Streik sinnlos sei. Diese Aussage zeigt das Dilemma der Opposition; denn für einen er-folgreichen Generalstreik bedarf es zuerst einer funktionier-enden Volkswirtschaft; diese ist in Serbien jedoch kaum vor-handen; so ist es sinnlos Betriebe zu bestreiken, die nur mit einer Auslastung von 20 Prozent arbeiten. Auch die Schatten-wirtschaft und der Schmuggel können nicht bestreikt werden, denn sie sind in den strategisch wichtigen Bereichen Öl, Roghstoffe und - im Land der Raucher besonders wichtig – Zigaretten nicht in der Hand der Opposition. Solange aber volkswirtschaftlich entscheidende Bereiche wie die Strom-, Gas und Wasserversorgung sowie die Raffinerien arbeiten, wird die Ankündigung der Opposition, in Serbien werde alles stillstehen wohl eine leere Drohung bleiben.

Bestreikt werden in Belgrad mehrere Fakultäten und Schulen; auch die Mitglieder der Rechtsanwaltskammer sind im Ausstand. Doch Streiks der Lehrer hat dieses Land schon mehrfach erlebt, ohne daß Milosevic dadurch gefährdet worden wäre. Eine größere Wirkung zeigte der Ausstand am ersten Tag im Landesinneren, wo größere Straßenblockaden und Arbeitsniederlegungen statt-fanden. Auch im größten Kohletagbau des Landes in Kolubara dauert der Ausstand an. In Krusevac streiken 8.000 Mitarbeiter des größten Betriebes der Stadt, viele private Betriebe blieben geschlossen. In Posarevac, der Heimatstadt Slobodan Milosevics streiken etwa 300 Schüler und Professoren.

Die Ankündigung der Opposition, ab Montag sieben Uhr früh werde Serbien zum Stillstand kommen, hat sich vorläufig jeden-falls nicht bewahrheitet, doch soll der Protest erst am Mitt-woch seinen Höhepunkt erreichen. Zumindest bis dahin kann Slobodan Milosevic weiter auf einen Sieg im zweiten Durchgang der Präsidentenwahl setzen; diesen zu verhindern ist genau jenes Ziel, das die Opposition bei ihren Kundgebungen seit der

Wahl am 24. September trommelt:

...... Kein zweiter Wahlgang, kein Nachgeben, Fertig ist er, rief ein oppositioneller Künstler am Platz der Republik in Belgrad den Demonstranten vor einigen Tagen zu. Demonstrieren ist eine ernste Sache, vor allem wenn es darum geht, Slobodan Milosevic zum Eingeständnis einer Niederlage zu zwingen. Doch nicht nur die auftretenden Rockgruppen gaben und geben diesen Kundgebung trotz politischer Texte (noch ?) einen Volksfest-charakter, denn natürlich besteht die Gefahr, daß die Stimmung in Frustration und Wut umschlagen kann, je länger die Kundge-bungen dauern und je länger Milosevic hart bleibt. Doch diese Gefahren sind bei den abendlichen Versammlungen im räumlichen Sinne noch vorwiegend auf den Platz der Republik in Belgrad und die zentralen Plätze der anderen serbischen Städte be-schränkt. Nur wenige hundert Meter vom Zentrum des Geschehens entfernt, war die Stimmung an jenem Abend weit gelöster. Die Uliza Terasije, zu deutsch Waagestraße war ebenfalls für den Verkehr gesperrt, doch hier neigt sich die Waagschale eher in Richtung Volksfest. Die Kiosks, die Getränke, Zeitungen und CDs, meist billige Raubkopien guter Qualität verkaufen haben alle ebenso geöffnet wie die Kaffes, Würstelbuden und Restaurants. Die Straße ist gefüllt mit meist jugendlichem Publikum, doch auch Familien mit Kleinkindern machen einen Abendspaziergang. Eigentlich müßte eine derartige Demonstra-tion ein gutes Geschäft sein ? Doch ein Mann, der Kürbis- Sonnenblumenkerne und geröstete Erdnüsse verkauft, wider-spricht. Nema para – kein Geld haben die Leute; seine Waren kosten je nach Menge zwischen 15 und 30 Dinar, das sind weniger als sieben Schilling. Doch das Geschäft geht trotzdem schleppend. Gut besucht ist dagegen der Mc Donalds, der ebenso wie die vielen Pizzerien und Bäckereien zu erschwinglichen Preisen satt macht. Ein BicMac kostet 53 Dinar, etwa 12 Schilling, ein großes Cola sieben Schilling; vertretbare Preise bei einem offiziellen monatlichen Durchschnittseinkommen von etwa 600 Schilling. Von Vojislav Kostunica erwarten sich die Serben, die für ihn gestimmt haben und nun demonstrieren, daher vor allem ein besseres Leben; er soll vor allem Serbien aus der Isolation führen und der Bevölkerung eine Perspektive geben. Doch bis zur Stichwahl am achten Oktober werden noch viele Demonstrationen und vor allem eine weit machtvoller Streikbewegung als bisher nötig sein, soll der von der Opposition behauptete Sieg Kostunicas im ersten Durchgang der Präsidentenwahl auch von der politischen Führung anerkannt werden – sofern dieses Ziel durch Kundge-bungen und Streiks in den kommenden Tagen überhaupt erreichbar ist. Sollte es zu keiner Einigung zwischen Regierung und Oppo-sition bis zur Stichwahl am achten Oktober kommen und Milosevic geschwächt aber doch im Amt bleiben sind in Serbien zwei Entwicklungen möglich – eine neue Auswanderungswelle sowie durchaus auch eine Radikalisierung von Teilen der Opposition, die zur Ansicht gelangen könnten, daß ein friedlicher Machtwechsel im Lande nicht mehr möglich ist.

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