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Jugoslawiens letzter (Wahl-)Kampf ?

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Kleine Zeitung
Berichte Serbien
Am Sonntag wird auch über die Existenz des Staates entschieden

Zu den wenigen amüsanten Seiten des Wahlkampfes in Jugoslawien zählte die zumeist in der Nacht ausgetragene „Schlacht“ um die Plakatwände. Die Partei von Slobodan Milosevics Ehefrau Mira Markovic, die Jugoslawische Linke, plakatierte etwa Land auf Land ab den Slogan: „Das Volk wählt, aber nicht die NATO“. Auf diesen auf die „verräterische Opposition“ gemünzten Spruch reagierten die politischen Gegner des Ehepaares Milosevic mit folgender Antwort: „Das Volk wählt, aber nicht die Mira“, denn Mira Markovic bewirbt sich in ihrer Heimatstadt Posarevac um einen Sitz im Unterhaus des jugoslawischen Parlaments. Anhän-ger der Regierung revanchierten sich mit der „Verzierung“ der Wahlplakate der Opposition. Aus dem Spruch „Für ein besseres Serbien“ wurde durch einige Striche der Satz „Für ein nacktes Serbien“.

All diese Aktionen erfolgten durchaus zielgerichtet; denn die Plakate von Milosevics größtem Herausforderer bei der Präsi-dentenwahl, Vojislav Kostunica, wurden weit massiver „umge-staltet“ als Bilder und Sprüche des Belgrader Bürgermeisters Vojislav Michajlovic, der für die Serbische Erneuerungsbe-wegung kandidiert. Wesentlicher Bestandteil der von den Re-gierungsparteien dominierten Materialschlacht waren auch die Belangsendungen. Vor den Hauptnachrichten dauerten diese „Spots“ insgesamt manchmal 15 Minuten, wobei die Sendungen der Opposition fast immer zwischen Belangsendungen der Regierung ausgestrahlt wurden. Vor allem die Spots der Jugoslawischen Linken gaben dem Wahlkampf auch eine gewisse klassische Note, war doch der Belangsendung über die „NATO-Opposition“ mit der Musik aus Carmina Burana von Carl Orff unterlegt. Auf Belang-sendungen versichtete lediglich die Parteienallianz „Demokra-tische Opposition Serbiens“, die statt dessen eine Rundreise ihres Spitzenkandidaten Kostunica organisierte.

Massiv in diesem Wahlkampf wurde von der Opposition und vor allem von Nicht-Regierungsorganisationen das Internet genutzt. Informationen über Termine und Veranstaltungen wurden so ver-schickt; mit Ausnahme der ultranationalistischen „Serbischen Radikalen Parteien“, Milosevics Koalitionspartner in Serbien und Jugoslawien, verfügen alle Parteien über eine Homepage im Internet. In diesem Kampf um und mit den Medien, konnte auf Regierungsseite nur „JUL“, mithalten, während die Sozialisti-sche Partei Serbiens (SPS) auf die staatlichen Medien und auf die wenigen Großauftritte ihres Spitzenkandidaten Slobodan Milosevic setzte. Was die Propaganda betrifft, so war die Arbeitsteilung von SPS und JUL klar erkennbar. Die Sozialisten trommelten vor allem „Wiederaufbau, Entwicklung und Reformen“, während JUL die demokratische Opposition als „Nato-Parteien“, „Fünfte Kolonne des Westens“ und als „Verräter“ brandmarkte.

Die Opposition konterte mit dem Hinweis auf die Isolation des Landes, verwies auf die beträchtliche Verarmung der Bürger und auf dem Umstand, daß bei einem neuerlichen Sieg von Milosevic, der endgültige Zerfall Jugoslawiens drohen könnte. Denn eine Abspaltung Montenegros und eine völlige Unabhängigkeit des Kosovo, seien bei weiteren vier Jahren Milosevic sehr wahr-scheinlich, argumentierte die Oposition; sie hat vor allem mit Vojislav Kostunica einen Kandidaten präsentiert, der kaum als „Handlanger“ des Westens dargestellt werden konnte.

Massiv als Mittel der Propaganda kamen auch Meinungsumfragen zum Einsatz. In all diesen Erhebungen lag und liegt Vojislav Kostunica vor Slobodan Milosevic, während der SPO-Kandidat Vojislav Michajlovic nur eine marginale Rolle spielt. Doch die Schwankungsbreiten all dieser Umfragen sind derart groß und die Zahl der Unentschlossenen derart beträchtlich, daß diesen Daten kaum eine Aussagekraft zugeschrieben werden kann. Die Regierungsparteien publizierten überhaupt keine Umfragen und beschränkten sich darauf, die Zahlen der unabhängigen und oppositionellen Institute ins Reich der Fabel zu verweisen. Benutzt wurden die Umfragen vor allem von der „Demokratischen Opposition Serbiens“ nicht nur zur Mobilisierung der Wähler, sondern auch zur Marginalisierung des zweiten Opoositions-kandidaten Vojislav Michajlovic, der als Bewerbe ohne jede Chance dargestellt wurde; in diesem inneroppositionellen Kampf wurde DOS auch von den unabhängigen und oppositionellen Medien unterstützt, die klar für den demokratischen Nationalisten Kostunica Partei ergriffen. Für Kostunica engagierten sich auch die meisten Nicht-Regierungsorganisationen, die durch Rock-Konzerte und andere Veranstaltungen vor allem die Jugend zur Stimmabgabe bewegen wollten, um einen möglichen Wahlbetrug zu erschweren. Diese Gruppierungen waren auch vorwiegend den Schikanen der Polizei ausgesetzt; in der Regel kurzfristige Festnahmen, die Beschlagnahme von Werbematerial und Computern, „informative Gespräche“ und Übernachtungen auf der Wache sowie die Nicht-Zulassung als heimische Wahlbeobachter zählten eben-falls zum Wahlkampf.

Gewitzt durch den massiven Wahlbetrug bei den Lokalwahlen vor vier Jahren in Serbien, führte die Opposition insgesamt nicht nur einen Wahlkampf gegen die Regierung, sondern auch eine Ab-wehrschlacht gegen einen möglichen Wahlbetrug, bei der Präsi-denten-, der Parlaments- und den Lokalwahlen. Tausende Wahlbe-obachter werden am Sonntag im Einsatz sein, um doppelte Stimm-abgaben oder etwa die „Wahl“ von Slobodan Milosevic durch die Kosovo-Albaner wenn schon nicht zu verhindern so doch zu doku-mentieren, denn diese Albaner sind als jugoslawische Staats-bürger trotz ihres Boykotts in den Wählerlisten eingetragen und könnten nicht zum ersten Mals als Reservoir zur Korrektur unerwünschter Ergebnisse dienen könnten.

Die Regierungsparteien haben jeden Vorwurf einer möglichen Manipulation als unbegründet und ungerechtfertigt zurück-gewiesen und gleichzeitig betont, Slobodan Milosevic werde bereits im ersten Durchgang gewinnen. Gerade dieses Szenario ist jedoch praktisch für jeden Kandidaten auszuschließen, sollte es nicht zu massiven Manipulationen kommen. Denn alle auch noch so fragwürdigen Meinungsumfragen haben einen wahren Kern gemeinsam: nicht zuletzt wegen der fünf Kandidaten ist eine absolute Mehrheit in der ersten Runde der Präsidenten-wahl sehr, sehr unwahrscheinlich. Sollte es doch dazu kommen, wird alles von der Reaktion der Bevölkerung und dann wiederum vom Verhalten von Polizei und Armee abhängen. Daher könnten die ersten Tage nach der Wahl am kommenden Sonntag spannender und für Jugoslawien entscheidender werden als der Wahlkampf und die Wahl selbst.

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