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Es ist alles sehr kompliziert Regierungsbildung in Jugoslawien

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Kleine Zeitung
Berichte Serbien
Die jugoslawische Bundesverfassung legt zunächst fest, daß Bundespräsident und Ministerpräsident nicht aus derselben Teilrepublik stammen können. Da Vojislav Kostunica Serbe ist, fällt das Amt des Regierungschefs automatisch einem Montene-griner zu. Anspruch auf dieses Amt erhebt die SNP, die Sozial-istische Volkspartei Montenegros, die bisher auch mit ihrem Vorsitzenden Momir Bulatovic den Ministerpräsidenten stellte. Bulatovic, ein treuer Gefolgsmann von Slobodan Milosevic, hat bisher keine Stellungnahme zur Revolution in Jugoslawien ab-gegeben. Seine Chancen auf ein Weiterverbleiben im Amt sind praktisch Null. Denn nach der Verfassung nominiert der jugo-slawische Präsident, also Vojislav Kostunica, nach Rücksprache mit den Parlamentsfraktionen, den Ministerpräsidenten.

Trotzdem haben die montenegrinischen Sozialisten gute Chancen, diesen Posten zu behalten. Denn wegen des Wahlboykotts der pro-westlichen Regierungsparteien Montenegros ist die SNP die stärkste Enzelpartei in beiden Kammern des Parlaments. In der Republikskammer, in der beide Teilrepubliken gleich stark ver-treten sind, hat sie 19 der 20 montenegrinischen Mandate und in der Bürgerkammer 28 der 30 montenegrinischen Sitze. Da eine Koalition zwischen den Milosevic-Parteien und der Parteien-allianz DOS, der Demokratische Opposition Serbiens, ausge-schlossen ist, liegt der Schlüssel für die Regierungsbildung weitgehend in den Händen der SNP.

Unübersichtlich werden diese Mehrheitsverhältnisse jedoch durch den Umstand, daß erst 119 der 138 Mandate des Unter-hauses unumstritten sind, wobei 108 Mandate auf serbische Abgeordnete entfallen. DOS hat unter dem Vorwurf des Wahlbe-truges 19 Mandate aus dem Kosovo beeinsprucht, die vor allem Milosevics Sozialisten zugefallen sind; werden diese Mandate nicht anerkannt oder Nachwahlen ausgeschrieben kann sich der Zeitplan für eine neue Bundesregierung ebenso verzögern, wie sich die Mehrheitsverhätnisse ändern können. Nach dem umstrit-tenen offiziellen Endergebnis sieht die Mandatsverteilung in der Bürgerkammer (Unterhaus) so aus: 55 Mandate DOS, 46 Sitze entfallen auf die Koalition aus Sozialisten und Jugoslawischer Linken, 28 SNP, 4 auf die Radikale Partei Serbiens, 2 auf die Partei der Serbischen Einheit und jeweils ein Mandat haben die Allianz der Ungarn der Vojvodnia sowie die Union für den Frie-den, eine Albaner-Partei (!!!) aus dem Kosovo. Da wie gesagt 19 Sitze angefochten wurden, sieht der derzeitige Stand aber so aus: 53 DOS, nur 33 Mandate hat die Koalition aus Sozia-listen und Jugoslawischer Linken, 3 entfallen auf die Radikale Partei Serbiens und 1 Sitz auf die Partei der Serbischen Ein-heit; die ominöse Albaner-Partei hätte kein Mandat, während der Mandatsstand der SNP und der Ungarn unverändert bleibt.

Trotz dieser Komplikationen ist Kostunica jedenfalls bestrebt noch in dieser Woche eine neue Regierung präsentieren zu kön-nen. Sie muß von beiden Kammern des Bundesparlaments mit abso-luter Mehrheit bstätigt werden; d.h., daß ohne SNP keine Re-gierung gebildet werden kann. Denn in der Republikskammer, dem Oberhaus, ist nur eines der 40 Mandate umstritten. Zwar kann die SNP mit ihren 19 Sitzen theoretisch keine absolute Mehr-heit verhindern, praktisch ist jedoch eine Koalition von DOS, Milosevic-Parteien und anderen Gruppen ausgeschlosen, so daß der SNP auf jeden Fall die Schlüsselrolle bleibt. Erschwert wird die Regierungbildung aber auch dadurch, daß der montene-grinische Präsident Milo Djukanovic und seine Dreiparteien-Koalition einen von der SNP gestellten jugoslawischen Regier-ungschef nicht akzeptieren wollen. Kostnica muß somit bei der Nominierung eines Ministerpräsidenten nicht nur die Kräftever-hältnisse im Parlament, sondern auch die heiklen Beziehungen zwischen den monetenrginischen Parteien sowie das gespannte Verhältnis zwischen Serbien und Montenegro berücksichtigen. Den Milo Djukanovic hat bisher nur den Wahlsieg von Kostnica über Milosevic, nicht aber Kostunica als jugoslawischen Prä-sidenten anerkannt. Djukanovic argumentiert, daß die Wahlen illegal gewesen seien und daher auch Regierung Präsident ille-gal seien, die auf der Grundlage der Wahlergebnisse gebildet werden. Djukanovic will daher die neue Führung in Belgrad nicht akzeptieren: "Kostunica kann unser Gesprächspartner nicht als jugoslawischer Präsident, sondern nur als Vertreter neuer demokratischer Gedanken in Serbien sein". Montenegro werde sich an den Organen der Föderation nicht beteiligen, weil sie nicht legitim seien. Angesicht dieser Haltung ist es nicht überraschend, daß Vojislav Kostunicadie Versöhnung zwischen Serbien und Montenegro als die "Aufgabe aller Auf-gaben" bezeichnet hat. Diese Aufgabe wird jedoch nur durch die Ausarbeitung einer neuen Bundesverfassung zu lösen sein, die Zeit braucht, die aber derzeit vor allem in Belgrad Mangelware ist. In einem wichtigen Bereich besteht allerdings Überein-stimmung zwischen Kostunica und Djukanovic. So haben beide Politiker vereinbart, den Verteidigungsrat binnen drei Tagen einzuberufen, um die Führungsspitze der Streirkräfte auszu-wechseln, die noch aus der Ära Milosevic stammen. Damit wird dann auch der letzte Unsicherheitsfaktor über die Rolle der Streitkräfte beseitigt sein. Der Verteidigungsrat ist das von der Verfassung her zuständige Organ für die oberste Führung der Streitkräfte. In diesem Greium sitzen der Bundespräsident, sowie die beiden Republkspräsidenten. Wegen des Streits zwischen Milosevic und Djkanovic war dieses Organ jedoch bisher handlungsunfähig.

Was nun die Bildung einer jugoslawischen Regierung betrifft, so bieten sich als Lösung dieser komplizierten Situation drei Möglichkeiten an: ein Kompromiß zwischen allen Beteiligten und damit die Bildung einer stabilen Regierung unter Ausschluß der Milosevic-Parteien. Als zweite Möglichkeit ist die Einsetzung einer Expertenregierung zu nennen, wie sie von Djukanovic befürwortet wird; doch ein Expertenkabinett wird von der SNP abgelehnt und könnte sich nicht auf eine stabile Parlaments-mehrheit stützen. Drittens sind auch Neuwahlen möglich. Die Bundesverfassung legt fest, daß das Parlament aufgelöst wird, wenn binnen 90 Tagen keine Re-gierung gebildet werden kann. Diese Bestimmung gibt Kostunica ein subtiles Druckmittel in die Hand; denn Neuwahlen würden wohl in Serbien die Milosevic-Parteien ebenso schwächen wie die SNP in Monetenrgo; denn ein neuerlicher Wahlboykott der montenegrinischen Regierungsparteien würde wohl am Veto des Westens scheitern, von dessen finanzieller Unterstützung Montenegro abhängig ist.

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