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Milosevic als Kassenschlager

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Berichte Serbien
Die erste Prozeßwoche im Verfahren vor dem Internationalen Kriegsverbrechertribunal in Den Haag gegen Slobodan Milosevic hat nicht nur dem Tribunal wieder weltweite Aufmerksamkeit, sondern auch der Stadt Den Haag ein gutes Geschäft beschert. Die Hotels im Stadtteil Scheveningen, in dem das Gerichtsgebäude liegt, waren von vielen Journalisten bevölkert, aber nicht nur. In einem Fünf-Sterne-Hotel, fünf Gehminuten vom Tribunal entfernt, sind auch bereits die ersten Zeugen untergebracht, wobei die Rezeption sich natürlich sehr verschlossen zeigte, als nach deren Identität gefragt wurde. Natürlich machten auch die Taxifahrer mehr Geschäft; ansonsten ließ die Bürger der Stadt der Prozeß gegen Milosevic und das mediale Großaufgebot eher kalt.

Zu den Gewinnern des Milosevic-Prozesses zählte auch der Besitzer eines mobilen Hot-Dog-Standes, der sich schon am ersten Tag des Prozesses vor dem Gerichtsgebäude postierte. Binnen weniger Stunden verkaufte der Mann 120 Hot Dog mit Sauerkraut und diversen Saucen zu 2,50 Euro das Stück. Auf die Frage, ob Milosevic gut fürs Geschäft sei, sagte der etwa 50-jährige Niederländer: „ Ja natürlich, die Menschen sind hungrig.“ Der Mann profitierte von der mangelnden Infrastruktur im Kongreßzentrum, das dem Haager Tribunal direkt gegenüber liegt. Darin waren vor allem die Fernseh- und Radiojournalisten untergebracht, die für alle großen und kleineren Stationen der Welt vom Prozeß berichteten. Besonders stark vertreten waren natürlich Journalisten aus den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien. Den Prozeß selbst verfolgten die meisten Journalisten nicht im Gerichtssaal, sondern über einen Bildschirm im Saal des Kongreßzentrums, denn die Galerie des Tribunals bietet nur 80 Personen Platz.

Vor Beginn der Verhandlung bot sich jeden Tag das gleiche Bild. Gefilmt wurde die Ankunft der Chefanklägerin Karla Del Ponte sowie der schwarzen Limousine mit Slobodan Milosevic, der von seiner Gefängniszelle durch den Hintereingang direkt in das Tribunal gefahren wurde. Am Vordereingang warteten die Journalisten vor allem auf die beiden serbischen Rechtsberater von Slobodan Milosevic sowie auf den französischen Rechtsanwalt Jaques Verges, der neben einem Briten, einem Amerikaner und einem Südafrikaner zu den vier internationalen Advokaten zählt, die Milosevic unterstützen. Verges ist ein schillernde Figur, hat er doch in Frankreich den ehemaligen Gestapo-Chef von Lyon, Klaus Barbie, sowie den Terroristen Carlos verteidigt. Verges ist ein erklärter Gegner des Tribunals; zum Prozeß gegen Milosevic der Franzose: „Ich kann nicht vorhersehen, was die Richter entscheiden werden, aber was ich denke ist, daß das Tribunal geschaffen wurde, um Milosevic zu ver-urteilen. Denn ohne diese Verurteilung Milosevics kann die NATO-Aggression im Kosovo nicht gerechtfertigt werden.“ Diese Darstellung ist natürlich sehr anzuzweifeln, denn das Tribunal wurde 1993 geschaffen und bis zum Kosovo-Krieg dachte kaum jemand daran, Milosevic, den Mitunterzeichner des Dayton-Abkommens, an-zuklagen, schon gar nicht wegen Bosnien oder Kroatien. Gerade dieser Umstand zählt ebenso zu den Schwach-stellen des Tribunals wie die lange Verfahrensdauer. Weniger als 50 Fälle wurden bisher abgeschlossen, im Gefängnis des Tribunals sitzen derzeit 44 Häftlinge, die auf ihren Prozeß warten. Das Tribunal verfügte ver-gangenes Jahr über ein Budget von etwa 100 Millionen Euro und 1200 Mitarbeiter, die von der UNO bezahlt werden. James Landale, der Pressesprecher des Tribunals, verweist darauf, daß das Tribunal auch seine Er-mittler und seine Polizei sowie die Sammlung von Beweisen selbst zu finanzieren. Zur historischen Rolle des Milosevics-Verfahrens sagt Landale: „Das Ergebnis der Prozesse wird Elemente der Geschichte liefern, keine gesamte Geschichte, doch diese Elemente werden durch höchste Standards des internationalen Rechts geprüft sein.“ Gerade das bestreitet naturgemäß das Komitee zur Unterstützung von Slobodan Milosevic, das in Den Haag ebenfalls vertreten ist; doch esx war nicht in der Lage, das Großaufgebot der Medien für seine Zwecke zu nützen, doch Propaganda zählt noch nie zu den Stärken des ehemaligen jugoslawischen Präsidenten.

Die Verhandlung selbst begann jeden Tag um 0930 mit dem Erscheinen der drei Richter unter Vorsitz des Briten Richard May. Daß es bei diesem Verfahren auch um die Beeinflussung der öffentlichen Meinung geht, zeigten sowohl Anklage als auch Milosevic selbst. So präsentierten die beiden stellvertretenden Chefankläger, Geoffrey Nice und Dirk Ryneveld, in ihrer einleitenden Darstellung der Anklage immer wieder Fernsehbilder über das Elend, das der blutige Zerfall Jugoslawiens in Kroatien, Bosnien und im Kosovo verursacht hat, und für das Milosevic nun zur Rechenschaft gezogen werden soll. Der Angeklagte wiederum, begann seine Erwiderung mit zwei Beiträgen der deutschen ARD, den Kosovo-Krieg der NATO kritisierten. Die ersten Prozeßtage waren somit weniger eine konkrete Darstellung der Anklage oder der Verteidigung, sondern weit mehr eine Ausein-andersetzung über Ursachen und Schuld für den Zerfall des ehemaligen Jugoslawien. Milosevic selbst stand vor allem am Donnerstag im Mittelpunkt des Medieninteresses, denn an diesem Tag begann er mit seiner Gegen-darstellung. Bereits gegen Ende dieses ersten Prozeßtages trat der größte Teil des Medientrosses wieder die Heimreise an. Er wird erst wiederkehren, wenn prominente Zeugen von der Anklage oder von Milosevic in den Zeugenstand treten müssen. So dürfte Milosevic etwa den französischen Präsidenten Jaques Chirac als Zeugen beantragen. Wenn diese prominenten Zeugen erscheinen werden, wird auch der Hot-Dog-Verkäufer wieder vor dem Gerichtsgebäude zu finden sein, denn dann sorgt Milosevic wieder für ein gutes Geschäft. In den kommenden zwei Jahren wird der Mann dazu mehrmals Gelegenheit haben, denn solange soll das Verfahren in Den Haag mindestens dauern.

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