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Belgrad

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Berichte Serbien
In Belgrad ist es in diesen Tagen vor allem eines – sehr kalt. Ein eisiger Wind pfeift durch die Straßen und die Belgrader vermummen sich so gut es geht. Die Stadt an der Mündung von Save und Donau liegt auf hügeligem Gelände und die großen Straßen kanalisieren den Wind. Wärmer und heller geworden ist es in den meisten Wohnungen, denn westliche Finanzlieferungen sowie russisches Öl und Gas haben Energieversorgung verbes-sert. Trotzdem ist es vielen Wohnungen auch in der Innenstadt kälter als in österreichischen Städten; denn viele Fenster vor allem in Altbauten sind undicht; vereinzelt fällt doch auch noch der Strom aus; die Kraftwerke sind veraltet und für Er-satzteile fehlt oft das Geld. Dafür zählen die Strompreise in Serbien zu den niedrigsten in Europa. Die neue Regierung unter Zoran Djindjic wird ihre Bürger auch davon überzeugen müssen, daß es besser ist, mehr zu zahlen als keine gesicherte Strom-versorgung zu haben.

Soforthilfe in diesem Bereich leistet auch Österreich. Der Präsident der Bundeswirtschaftskammer, Christoph Leitl, und der neue stellvertretende serbische Regierungschef, Nebojsa Covic, haben gestern in Belgrad ein Memorandum unterzeichnet. Um fast 14 Millionen Schilling wird Serbien nun vor allem Er-satzteile für Energieversorgungsunternehmen kaufen können. Wie jede Auslandshilfe ist auch diese nicht uneigennützig, denn Hilfe soll Türen öffnen; und österreichische Unternehmen wie Waagner Biro oder Porr sind an Aufträgen zu Räumung der Donau-brücken bei Novi Sad und an deren Wiederaufbau interessiert. Finanziert wird ein Teil dieser Arbeiten von der Europäischen Union. Die Politik Europas gegenüber Serbien ist für viele Be-wohner des Landes in Rätsel. Gefragt wird immer wieder, warum Europa derart im Schlepptau der USA sei, die doch allein vom Zerfall Jugoslawiens und vom Kosovo-Krieg profitiert hätten. Schließlich habe auch Europa den Krieg mitfinanzieren müssen und zahle jetzt Milliarden für den Wiederaufbau.

Doch jenseits dieser politischen Rätsel hoffen die meisten Serben und natürlich auch die Belgrader auf ein besseres Leben, und das rasch. Für Vergangenheitsbewältigung bleibt derzeit keine Zeit; auch das Bewußtsein dafür fehlt weit-gehend, denn in den Zeitungen und im Fernsehen wird vor allem die serbische Opferrolle betont. Dazu zählen regelmäßige Be-richte über das Elende der 700.000 Flüchtlinge aus Kroatien, Bosnien und dem Kosovo. Ein ständiges Thema sind auch die Proteste der Angehörigen jener 1.300 Serben, die seit dem Ende des Kosovo-Krieges in dieser Provinz vermißt werden. Die mit abgereichertem Uran versehen NATO-Projektile und die gesamten Kriegsschäden werden ebenfalls aufgerechnet. Daher stieß Karla Del Ponte, die Chefanklägerin des Haager Tribunals, bei ihrem gestern zuende gegangenen Besuch in Belgrad auch auf wenig Gegenliebe, nicht nur bei den Politikern, sondern noch weit mehr bei der Bevölkerung. Die von Del Ponte Geforderte Auslie-ferung von Slobodan Milosevic und anderer mutmaßlicher serbi-scher Kriegsverbrecher empfinden auch Gegner des alten Regimes als Anmaßung; gesehen wird darin der Versuch, ganz Serbien kollektiv für die Kriege der vergangenen zehn Jahre verant-wortlich zu machen. Auch wenn an der Demonstration gegen Del Ponte in Belgrad nur etwa 200 Personen teilnahmen, sorgt dieses Thema doch für Emotionen, nicht zuletzt unter den Demonstranten selbst. So wollten sich vor allem Angehöriger vermißter Kosovo-Serben nicht von Milosevic-Anhängern ver-einnahmen lassen; und so verschwand ein großes Milosevic-Bild bei der Demonstration rasch von der Bildfläche.

Del Pontes Anwesenheit in Belgrad und die zeigleiche Angelo-bung der neuen serbischen Regierung haben einen tiefen inneren Zusammenhang. Denn der Aufbruch zu neuen Ufern, zu Reformen und zur Rückkehr nach Europa fiel mit der Erinnerung an jene Taten zusammen, die Serbien von Europa trennten. Zum ersten Mal seit 1945, wenn nicht überhaupt in diesem Jahrhundert, hat Serbien eine demokratisch gewählte Regierung. Verwestlicht waren das Land sowie vor allem Belgrad und andere große Städte bereits unter Milosevic. Doch diese Verwestlichung berührte und berührt oft nicht die Mentalität. Wahrscheinlich wird dieser Wandel in Belgrad und in Serbien erst einsetzen können, wenn in den meisten Wohnungen warme Heizungen ebenso zur ge-wohnten Wirklichkeit gehören, wie bei uns.

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