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„Dunkelheit am Ende des Tunnels“ Serbien hat eine neue Regierung

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Serbien, die größere der beiden jugoslawischen Teilrepubliken hat seit gestern eine neue Regierung. Die Abstimmung im Parlament war reine Formsache; bei der Wahl vor einem Monat hat die demokratische Allianz DOS 176 der insge-samt 250 serbischen Parlamentssitze und damit die Zwei-Drittelmehrheit ge-wonnen. Die Sozialisten von Slobodan Milosevic und zwei ultranationalistische Parteien teilen sich die übrigen Mandate und spielen im Parlament nur eine untergeordnete Rolle. Mit dem Amtsantritt der neuen Regierung unter ihrem Ministerpräsidenten Zoran Djindjic wurde der politische Machtwechsel auch in Serbien endgültig vollzogen. Darüber hinaus ist Djindjics Kabinett die erste demokratische Regierung Serbiens seit 1945.

Die neue serbische Regierung unter Zoran Djindjic zählt 26 Mitglieder; das sind 11 Personen weniger als das bisherige Kabinett aus Sozialisten und Ultranatio-nalisten umfaßte. Djindjic will damit ein Zeichen setzen, denn er will die serbi-sche Verwaltung effizienter machen, demokratisieren und das Land an die EU heranführen. Doch auch Djindjics Kabinett ist das Ergebnis eines politischen Kompromisses, und zwar innerhalb der Allianz DOS, die 19 Parteien umfaßt. So besteht die neue Regierung aus 17 Ministern, aus dem Regierungschef und aus seinen acht Stellvertretern, von denen nur einer ein Ressort leitet. Djindjics acht Stellvertreter sind alle führende DOS-Politiker; sie sollen die Regierungspolitik planen und Prioritäten setzen. Tatsächlich sollen diese acht stellvertretenden Ministerpräsidenten der Regierung eine breite Unterstützung in der Allianz DOS sichern; ihre Ernennung ist eine politische Notwenigkeit auf Kosten der Effekti-vität der Regierung, wie Djindjic in einem Interview selbst zugegeben hat.

Zu diesem Führungskreis zählt auch Jozef Kasa, einer Vertreter der ungarischen Minderheit, die vor allem in der Vojvodina lebt. Djindjic braucht die Unter-stützung der etwa 300.000 Ungarn, denn er will die Autonomie der Vojvodina wieder einführen und ganz Serbien dezentralisieren. Stellvertretender Minister-präsident ist auch Momcilo Peresic, der erst vor zwei Jahren von Slobodan Milosevic als jugoslawischer Generalstabschef entlassen wurde. Peresic und Dusan Michajlovic sind die besten Beispiele dafür, wie sehr auch die erste demokratisch gewählte Regierung Serbiens noch in die Ära Milosevic hinein-reicht. Vier Jahre lang, bis zum März 1998, diente Michajlovics Partei „Neue Demokratie“, Slobodan Milosevic als Mehrheitsbeschaffer im Parlament. Nun ist Dusan Michajlovic als einziger stellvetretender Ministerpräsident auch Minister, und zwar interimistisch Polizeiminister. Seine Ernennung verdankt er dem Umstand, daß sich Djindjic und Vojislav Kostunica weder auf einen anderen Kandidaten noch auf einen neuen Geheimdienstchef einigen konnten.

Die Reform des Polizeiapparates und der Justiz zählt ebenso zu den Prioritäten der neuen Regierung wie die Aufarbeitung der Ära Milosevic. Milosevic und seine führenden Mitstreiter sollen in Serbien vor Gericht gestellt werden, denn eine Auslieferung an das Haager Tribunal lehnt die DOS-Spitze mehrheitlich ab. Verschont bleiben muß vorerst jedoch Milan Milutinovic, der zwar ebenfalls auf der schwarzen Liste des Tribunals steht; als amtierender serbischer Präsident ist er immun und hat erst vorgestern Zoran Djindjic formell den Auftrag zur Regie-rungsbildung erteilt. Massiv bekämpfen will Djindjic Korruption, organisierte Kriminalität und Mißwirtschaft. In den Medien soll eine Kampagne mit dem Namen „Saubere Hände“ gestartet werden, die den Serbien die Augen über ihre bisherige Führung und deren Privilegien und Freunderlwirtschaft öffnen soll. Bekannt wurde etwa bereits, daß Milosevics Ehefrau, Mira Markovic, ihrer Friseurin offenbar einen besonders günstigen Kredit in Höhe von 3,5 Millionen Schilling verschafft hat, der nun uneinbringlich ist. So weit wie möglich rück-gängig machen will Djindjic auch das kommunistische Tito-Erbe. In einem eigenen Gesetz über Denationalisierung, sollen die Enteignungen nach 1945 aufgehoben werden; wo eine Rückgabe der Güter nicht mehr möglich ist, sind Entschädigungen geplant. Das gilt auch für die serbisch-orthodoxe Kirche, deren Wunsch nach Einführung des Religionsunterrichts ebenfalls erfüllt werden soll.

Besonders schwer ist das soziale und wirtschaftliche Erbe der Ära Milosevic. Das offizielle monatliche Durchschnittseinkommen ist auf unter 900 Schilling gesunken. Die Arbeitslosigkeit liegt bei mehr als 30 Prozent; von den 1, 6 Millionen Beschäftigten arbeitet fast jeder Vierte im Staatsapparat. Die Aus-landsverschuldung wird auf 15 Milliarden Dollar geschätzt und entspricht somit fast dem Bruttoinlandsprodukt . Noch höher ist die Binnenverschuldung, das Land ist praktisch bankrott. Ein Drittel der Industriekapazität ist veraltet, Stra-ßen und Infrastruktur müssen erneuert werden. Für Djindjic spricht, daß er mit Bozidar Djelic als Finanzminister und Goran Pitic als Außenwirtschaftsminister zwei junge Experten ins Kabinett geholt hat, die über große Auslandserfahrung verfügen. Djelic, Pitic und noch einige anderen Regierungsmitglieder bilden gleichsam das Kontrastprogramm zur politischen Führung in der Regierung. Djindjic setzt vor allem auf ausländische Investoren, die durch eine umfassende Reformen der Wirtschafts- und Steuergesetzgebung nach Serbien geholt werden sollen. Außerdem setzt Djindjic vor allem auf die EU, die eine umfassende auch finanzielle Unterstützung der Reformen zugesagt hat. Die Regierung steht unter enormem Zeitdruck, denn die Erwartungen der Serben sind ebenso hoch wie der Wunsch nach einem besseren Leben. Enttäuschte Hoffnungen sind unausweich-lich, sollen aber in Grenzen gehalten werden. Erschwert wird die Aufgabe der neuen Regierung zusätzlich durch das Kosovo-Problem, die Konflikte mit alba-nischen Extremisten in Südserbien sowie durch die insgesamt unklare Zukunft Jugoslawiens. In Montenegro kommt es am 22. April zu vorgezogenen Parla-mentswahlen; erst dann wird klar sein, ob die Unabhängigkeitsbefürworter ihren Kurs werden fortsetzen können. Ein umfassende Reform des Gesamtstaates ist aber in jedem Fall nötig, denn die jugoslawischen Institutionen wie Regierung und Parlament sind praktisch serbische Schateninstitutionen, mit wenig Kompetenzen ausgestattet, ineffizent und bürokratisch, vor allem aber viel zu teuer. Auch bei dieser Reform sind einige Konflikte innerhalb der Allianz DOS und vor allem zwischen Zoran Djindjic und dem jugoslawischen Präsidenten Vojislav Kostunica zu erwarten. Die Belgrader Tageszeitung „Danas“ bezeich-nete den Zustand Serbiens nach dem Machtwechsel ironisch als „Dunkelheit am Ende des Dunkels“. Der Grad des Zusammenhalts der Allianz DOS und die Effizienz ihrer Regierung ist entscheidend dafür, wann Serbien Licht am Ende des Tunnels sehen wird. Die Schonzeit für die demokratischen Reformer ist in Serbien seit gestern auf jeden Fall vorbei.
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