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Parlamentswahl in Serbien

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Kleine Zeitung
Berichte Serbien
Die Parlamentswahl in Serbien, der größeren der beiden jugo-slawischen Teilrepubliken, hat einen grundlegenden Umsturz der politischen Landschaft gebracht. Die beiden bisherigen Groß-parteien, die Sozialisten von Slobodan Milosevic (SPS) und die Ultranationalisten von Vojislav Seselj (SRS) wurden in die politische Bedeutungslosigkeit verbannt. Die SPS verlor zwei Drittel der Mandate und verfügt nach Angaben der Wahlkommis-sion nur mehr über 37 Sitze. Die SRS verlor sogar fast drei Viertel ihrer Mandate und hat nur mehr 23 Sitze. Vom Sturz der SRS, dem früheren Koalitionspartner von Slobodan Milosevic, profitierte ein anderer Ultranationalist. Denn Borislav Pele-vic gelang mit seiner Partei der Serbischen Eintracht (SSJ) der Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde. Die SSJ wird künftig mit 14 Mandaten im serbischen Parlament vertreten sein. Pele-vic, der auch Präsident des jugoslawischen Kikbox-Verbandes ist, verfügte über die Unterstützung zweier privater Fernseh-sender. Zu den Gründern seiner Partei zählte der im Februar in einem Belgrader Hotel erschossene Milizenführer Arkan. Der Einzug der Partei der Serbischen Eintracht ins Parlament bil-dete die eigentliche Überraschung der Wahl.

Wie sehr die Kräfte des alten Regimes in Serbien vom Wähler bestraft wurden zeigt sich daran, daß die Sozialisten und die beiden ultranationalistischen Parteien gemeinsam nur gerade über dreißig Prozent der 250 Mandate im serbischen Parlament verfügen. Die weitere Entwicklung des Landes wird daher aus-schließlich von der inneren Entwicklung und der Politik des demokratischen Parteienbündnisses DOS abhängen. Unter der Führung des jugoslawischen Präsidenten Vojislav Kostunica sowie unter der Führung des künftigen serbischen Minister-rpäsidenten Zoran Djindjic gewann DOS 176 Sitze und damit die Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament. Auf den ersten Blick hat somit die Wahl in Serbien auch eine Bereinigung der Parteien-landschaft gebracht, denn im Parlament sind nur mehr DOS, SPS,SRS und SSJ vertreten. Doch dieser Schein trügt, denn DOS selbst besteht aus 19 Parteien. Die Allianz hat sich vor der Wahl auf einen prozentuellen Schlüssel geeinigt, nach dem die Mandate zu verteilen sind. Den Löwenanteil der 176 Mandate teilen sich die Demokratische Partei Serbien (DSS) und die Demokratische Partei (DS). Die DSS unter Führung von Vojislav Kostunica und die DS unter Leitung von Zoran Djindjic werden jeweils über etwa 50 Sitze im Parlament verfügen. Die rest-lichen etwa 70 Mandate entfallen auf die übrigen 17 Mitglieder der Allianz DOS. Diese Mandatsverteilung im Parlament spricht zunächst für die Stabilität der kommenden DOS-Regierung unter Zoran Djindjic, in die alle Spitzenpolitiker der Allianz ein-gebunden sein werden. Denn eine DOS-Regierung könnte mit der nötigen einfachen Abgeordnetenmehrheit nur gestürzt werden, wenn eine der führenden DOS-Parteien sämtliche anderen Mit-glieder der Allianz auf ihre Seite ziehen oder auf die Unter-stützung der Sozialisten und Ultranationalisten zählen kann. Stabilisierend wirkt auch der Umstand, daß das Wahlgesetz „wilde Abgeordnete“ praktisch ausschließt, denn ein Politiker verliert seinen Parlamentssitz auch dann, wenn seine Partei-mitgliedschaft endet.

Diese stabilisierenden Faktoren sind jedoch nur bedingt aus-sagekräftig, was die Frage konkreter Reformen betrifft. Denn DOS ist weltanschaulich heterogen; hinzu kommt, daß es durch-aus auch unterschiedliche Vorstellung über das Tempo der Um-gestaltung Serbiens gibt. Zu den großen Prüfsteinen für das Parteienbündnis werden die Frage der Wirtschaftsreformen, die Regelung der Beziehungen zu Montenegro und Ausarbeitung einer neuen serbischen und vielleicht auch jugoslawischen Verfassung gehören. Die Masse der serbischen Großbetriebe ist veraltet, arbeitet nur mit geringer Auslastung und ist unproduktiv. Wie diese Betriebe unter Wahrung des sozialen Frieden und ange-sichts der hohen Erwartungen der Bevölkerung auf ein besseres Leben saniert werden sollen, zählt zu den großen Herausforder-ungen der neuen Regierung.

Am deutlichsten zeichnen sich die Konfliktlinien innerhalb von DOS in der Frage der Beziehung zu Montenegro ab. Die kleinere jugoslawische Teilrepublik hat sich in den vergangenen drei Jahren immer stärker von Belgrad gelöst und existiert nun de facto als eigenständiger Staat. Die Mehrheit der politischen Klasse in Montenegro befürwortet die völlige staatliche Unab-häbngigkeit sowie eine lose Union mit Serbien. Verhandelt werden soll aus monetengrinischer Sicht über dieses Verhältnis nur mit der serbischen, nicht aber mit der jugoslawischen Füh-rung. Außerdem will Montenegro bis spätestens Juni ein Refer-endum über die Unabhängigkeit abhalten. Die montenegrinische Frage trennt am sichtbarsten die beiden Spitzenpolitiker der DOS-Koalition Vojislav Kostunica und Zoran Djindjic. Kostunica ist ein serbischer Nationalist, dem die Existenz einer Art ei-genständigen montenegrinischen Identität grundsätzlich fremd ist. Kostunica stützt sich stark auf die serbische Orthodoxie stützt, die in Montenegro von vielen Bürgern als die Hüterin des großserbischen Gedankens angesehen wird. Hinzu kommt, daß mit der Unabhängigkeit Monetenegros oder einer nur losen Union auch die Existenzberechtigung eines jugoslawischen Präsidenten wegfiele. Zwar hat Kostunica erklärt, Montenegro könne gehen, so es das wolle, doch als jugoslawischer Gorbatschow möchte Kostunica auch nicht in die Geschichte eingehen.

Im Gegensatz zu Kostunica ist Zoran Djindjic wohl der west-lichste Politiker Serbiens. Djindjic hat lange in Deutschland gelebt, ist sehr pragmatisch und vor allem an einer Moderni-sierung Serbiens interessiert. Hinzu kommt, daß über Djindjics politisches Schicksal der Erfolg der Reformen in Serbien, aber nicht der Bestand Jugoslawiens entscheidet. Diese Reformen könnten ohne jugoslawischen Überbau sogar leichter durchzu-führen sein, denn die wahre Macht liegt bei den Teilrepubli-ken. Außerdem erkennt die montenegrinische Führung Bundes-parlament und Bundesregierung nicht an, so daß diese beiden Organe praktisch als serbische Institutionen existieren, ein bürokratischer Apparat, den sich das Land derzeit nicht leisten kann. Auch eine neue serbische Verfassung und damit eine Kompetenzbereinigung in Serbien wird sinnvollerweise erst möglich sein, wenn die montenegrinische Frage und damit eine der Schicksalsfragen Jugoslawiens geklärt sein wird.

Djindjic und Kostunica sind aufeinander ebenso angewiesen wie Serbien und Montenegro auf westliche Finanzhilfe. Dieses Geld wird nur sinnvoll verwendet werden können, wenn die Koalition DOS funktioniert und rasch mit umfassenden Reformen beginnt, die den Serben eine klare Perspektive für ein besseres Leben bieten. Belgrad, vor allem aber der Westen sollten sich be-wußt sein, daß eine zivilisierte Scheidung besser ist als die Aufrechterhaltung einer jugoslawischen Fiktion. Das Beispiel Bosnien, wo es auch fünf Jahre nach Friedensschluß noch zu keinem selbsttragenden Wirtschaftsaufschwung gekommen ist, läßt warnend grüßen.

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