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Krisenherd und Prüfstein

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Kleine Zeitung
Berichte Serbien
Die südserbische Gemeinde Presevo liegt im mazedonisch-kosovarischen Grenzgebiet. Von den 46.000 Ein-wohnern des Gemeindegebiets sind 92 Prozent Albaner, der Rest sind Serben und Roma. Somit lebt in Presevo knapp die Hälfte der etwa 100.000 Albaner Südserbiens. Die zweite Hälfte der albanischen Minderheit wohnt in den Gemeinden Bujanovac und Medvedja. Nach diesen drei Gemeinden nennt sich auch die albanische Frei-schärlerbewegung UCK-PMB. Der erste Teil des Namens deutet darauf hin, daß diese Organisation an die alba-nische Untergrundarmee anknüpft und sich auch aus ehemaligen UCK-Mitgliedern rekrutiert, die vor und im Kosovo-Krieg gegen die Serben kämpften. Ziel der UCK-PMB ist der Anschluß des Presevo-Tales an das Kosovo. Für diesen Anschluß sprachen sich die örtlichen Albaner bereits in einer von Serbien nicht anerkannten Volksabstimmung im Jahre 1992 aus. Dieses Ziel ist für Serbien eine besondere Herausforderung, denn die Region liegt an der strategisch wichtigen Hauptachse, die von Belgrad über Nis und Skopje nach Athen führt.

Unruhig wurde es in Südserbien bereits knapp nach dem Kosovo-Krieg, der mit dem faktischen Verlust der ser-bischen Kontrolle über das Kosovo endete. In diesem Sinne bildete sich ein neues Gleichgewicht des Schrek-kens zwischen dem Presevo-Tal und der geteilten Stadt Kosovska Mitrovica heraus. Schürte Milosevic im Nord-teil des Kosovo die Spannungen, stiegen diese auch in Südserbien. An einen Gebietstausch ist jedenfalls in keinem Fall zu denken. Denn für die Kosovo-Albaner ist Kosovska Mitrovica wirtschaftlich wichtiger als Süd-serbien, während für Belgrad Südserbien strategisch bedeutsamer ist als der Norden des Kosovo.

Die UCK-PMB nutzt als Aumarsch- und Operationsgebiet einen fünf Kilometer breiten, hügeligen und dicht bewaldeten Streifen; dieser wurde im militär-technischen Abkommen von Kumanovo als entmilitarisierte Sicherheitszone definiert, die nur lokale serbische Polizei ohne schwere Waffen überwachen darf. Günstig für Freischärler ist jedoch nicht nur das Gelände in dieser Region. Denn Südserbien ist, trotz guter wirtschaftlicher Voraussetzungen, die unterentwickeltste Region ganz Serbiens. Hinzu kommen Mißtrauen, Diskriminierung und nationale Vorurteile. So sieht die Masse der Serben in den Albanern Separatisten, die während des Krieges zuge-gebenermaßen die UCK unterstützten, während die Albaner über Benachteiligung klagen. Am Beispiel der Ge-meinde Presevo heißt das: von den 46.000 Einwohnern, sprich Albanern, sollen nur 100 in öffentlichen Unter-nehmen beschäftigt sein; die Zahl der lokalen Polizisten ging von 50 Prozent unter Tito auf zwei bis drei Prozent zurück. Die örtliche Holz- Möbel- und Papierfabriken leiden unter der Wirtschaftskrise; knapp jeder 10 Bewoh-ner der Gemeinde verdient sein Geld als Gastarbeiter in Österreich, Deutschland und der Schweiz und sorgt so für den teilweise sichtbaren Wohlstand. Hinzu kommen Schmuggel und Landwirtschaft. 6.000 Bürger der Ge-meinde Presevo sind Schüler. Für sie gibt es in der Region kaum eine Perspektive, ein weiterer Umstand, der für Zulauf bei den Freischärlern sorgt.

Daß Südserbien unterentwickelt ist, gibt auch der Bürgermeister der Nachbargemeinde Bujanovac, Stojanica Arsic, zu. Dieses Eingeständnis ist doch etwas überraschend, denn Arsic ist Mitglied der Jugoslawischen Linken (JUL), der Partei von Mira Markovic, der Gattin von Slobodan Milosevic. JUL und SPS stellen mit 16 und 13 Mandaten in Bujanovac die absolute Mehrheit im Gemeinderat. Arsic bestreitet eine Diskriminierung der Alba-ner; ihre Probleme bestünden vor allem in der mangelnden Qualifikation. Daher seien auch mehr als die Hälfte der 5000 Arbeitslosen Albaner. Trotzdem bleibt der Umstand bestehen, daß die Albaner im Gemeinderat nur acht Mandate haben, obwohl sie mit 29.000 Bürgern mehr als die Hälfte der 49.000 Bewohner des Gemeinde-gebietes stellen. Die Albaner führen diese Tatsache auf eine Änderung der Wahlkreiseinteilung zurück, die sie massiv benachteilige. Bujanovac verfügt mit der Mineralwasserfabrik „Heba“ und einem Heilbad sowie mit seinem Rohstoffreichtum (Quarz, Feldspat) über weit besser Voraussetzungen als Presevo. Doch auch diese Ressourcen wurden nicht in dem Ausmaß entwickelt, das möglich wäre. Bujanovac ist darüber hinaus von den Aktionen der UCK-PMB besonders betroffen. Denn in sein Gemeindegebiet, in dem auch 5.000 vertrieben Kosovo-Serben leben, sickern immer wieder Freischärler aus dem Dorf Dobrosin ein, das in der entmilitarisier-ten Zone liegt. Von den Höhenrücken, die die serbische Polizei hinter dem Grenzdorf Lucane noch im März dieses Jahres hielt, mußten sich die Einheiten zurückziehen. Denn die Freischärler haben ihre Aktivitäten ver-stärkt und das Dorf Lucane ist nun verlassen, denn die Bewohner sind geflohen.

Nachdem jüngst drei serbische Polizisten einem Angriff der UCK-PMB zum Opfer fielen, hat die Friedens-truppe KFOR im Kosovo die Überwachung des Grenzgebietes verstärkt. Außerdem wurde de facto eine Art Waffenstillstand vermittelt, der nun zu weiteren Verhandlungen genutzt werden soll. Politisch geprägt wird die Lage in Südserbien durch die Situation nach den Lokalwahlen im Kosovo, durch die Lage nach der jugoslawi-schen Präsidentenwahl und durch den Wahlkampf für die serbische Parlamentswahl am 23. Dezember. Gerade der Sieg der gemäßigten Kräfte im Kosovo aber auch der Machtwechsel in Belgrad lassen es nicht zu, daß eine der beiden Seiten derzeit gegenüber ihren innenpolitischen Konkurrenten als der „schlechtere Verteidiger des Vaterlandes“ erscheint. Hinzu kommt, daß Südserbien zum Prüfstein dafür werden kann, ob eine Kooperation zwischen Albanern und Serben unter den neuen Rahmenbedingungen möglich ist. Dies ändert jedoch nichts an dem Umstand, daß kein Albaner-Führer des Kosovo jemals wieder bereit sein wird, irgendeine auch nur formale Oberhoheit Belgrads anzuerkennen und somit auf die Unabhängigkeit zu verzichten. Was jedoch erreichbar ist, ist eine Beilegung der Krise in Südserbien unter massiver Beteiligung der internationalen Gemeinschaft. Sie muß für eine Mäßigung beider Seiten ebenso sorgen wie für eine Besserung der Gesamtlage Südserbiens. Diese Auf-gabe ist umso wichtiger, weil der Sturz von Slobodan Milosevic eine Dynamik in Jugoslawien ausgelöst hat, die dazu führen könnte, daß sich das Ende des Zerfallsprozesses des ehemaligen Jugoslawien massiv beschleunigen und sich daher die Frage des endgültigen Status des Kosovo und der Unabhängigkeit Montenegros bereits im kommenden Jahr stellen könnte.

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