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Belgrad: Machtkampf und Staatskrise

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Kleine Zeitung
Berichte Serbien
In Belgrad entwickelt sich der Machtkampf zwischen dem jugoslawischen Präsidenten Voji-slav Kostunica und dem serbischen Ministerpräsidenten Zoran Djndjic immer mehr zu einer Staataskrise die auch die jugoslawischen Instituitionen erfaßt, lähmt und in Frage stellt. Jün-gster Anlaß dazu ist ein Erkenntnis des jugoslawischen Verfassungsgerichtshofes, mit dem das Gericht die Aberkennung von 21 Mandaten aufhob, die das serbische Parlament ausge-sprochen hatte. Die 21 Abgeordnete gehören der DSS, der Partei von Vojislav Kostunica an. Sie verloren Mitte Juni ihre Parlamentssitze, weil die von Zoran Djindjic geführte DOS-Mehr-heit im serbischen Parlament entschied, daß diese Parlamentarier den Koalitionsvertrag und die Geschäftsordnung des Parlaments massiv verletzt hätten. Der Verlust der Mandate führte im serbischen Parlament dazu, daß Djindjics Regierung statt über eine knappe nun über eine klare Mehrheit verfügte. Das jugoslawische Verfassungsgericht, das wiederum Kostunica nahe steht, erkannte nun, daß die Aberkennung rechtswidrig sei, weil dadurch das Recht der Wähler verletzt werde. Ob dieses Erkenntnis irgendeine Wirkung entfalten wird, ist derzeit noch unklar. Denn führende Vertreter der Koalition DOS bestreiten, daß das jugoslawische Verfassungsgericht überhaupt die Zuständigkeit hat, über diese Frage zu entscheiden. Ihrer Ansicht nach liegt die Zuständigkeit beim serbischen Verfassungsgericht oder beim Obersten Gerichtshof Serbiens. Die serbische Verfassung enthält jedenfalls einen Notverordnungsar-tikel, der es gestattet, Entscheidungen jugoslawischer Institutionen zu mißachten, wenn dadurch serbische Interessen gefährdet werden. Erstmals angewandt wurde dieser Artikel vor einem Jahr als ebenfalls das jugoslawische Verfassungsgericht eine Auslieferung von Slobodan Milosevic an das Haager Tribunal für illegal erklärte. Wenige Stunden später war Milosevic bereits auf dem Weg nach Den Haag, denn die serbische Führung hatte den Gordischen Knoten durchhauen und eigenständig gehandelt.

Die Auseinandersetzung über die Zuständigkeit ist eine hoch politische Frage, denn sie rüttelt am gesamten Staatsaufbau Jugoslawiens. In Montenegro haben die Unabhängigkeitsbefür-worter Jugoslawien bereits seit zwei Jahren in Frage gestellt. Die nun immer deutlicher wer-denden Tendenzen einer Abkehr Serbiens von den jugoslawischen Institutionen erfolgt zu einem Zeitpunkt, in dem über die Umwandlung des Gesamtstaates in die „Union Serbien und Montenegro“ verhandelt wird. Der Machtkampf zwischen Kostunica und Djindjic könnte nun dazu führen, daß sich auch in Serbien die Haltung durchsetzt, wonach die Institutionen des neuen Staates nur sehr schwach sein sollen. Bisher blieb die Frage des gemeinsamen Staates vom Machtkampf zwischen den beiden Politikern verschont, vor allem weil die EU diesen gemeinsamen Staat befürwortet. Doch unmittelbar nach dem Erkenntnis des jugoslawischen Verfassungsgerichtshofes schloß das Parteienbündnis DOS die DSS auch formell aus ihren Reihen aus. Damit sind im Grunde alle Brücken abgebrochen und einige DOS-Politiker befürworten sogar, unter Anwendung des Koalitionsvertrages der DSS alle Mandate im serbischen Parlament abzuerkennen. Ob es dazu kommen wird, ist ebenfalls offen. Sicher ist jedoch, daß die bereits einsetzende Kampagne für die Wahl des serbischen Präsidenten Ende September die Abrechnung zwischen beiden Lagern weiter beschleunigen, das Reformtempo in Serbien jedoch weiter verlangsamen wird.

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