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Serbien und die Iden des März

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Kleine Zeitung
Berichte Serbien
Am 14. März fanden in Belgrad im Abstand von nur wenigen Stunden zwei Ereignisse statt, die tiefgreifende Auswirkungen auf die Entwicklung Serbiens haben werden. Zunächst unterzeichneten die Vertreter Jugoslawiens, der beiden Teilrepubliken Serbien und Monte-negro sowie Havier Solana für die EU eine politische Vereinbarung über die Neugestaltung Jugoslawiens. Nach 73 Jahren wird der Name Jugoslawien nun der Vergangenheit angehören und durch den Staatsnamen „Serbien und Montenegro“ ersetzt. Damit kehrt zum ersten Mal seit dem Jahre 1918 der Name Montenegro wieder auf die internationale Bühne zurück. Weit wichtiger als die Namensfrage und das Ende der jugoslawischen Idee sind die Konsequenzen, die die serbischen Reformer aus dieser Entwicklung zu ziehen gedenken. Denn die politische Einigung mit Montenegro sieht de facto die Existenz zweier völlig getrennter Wirtschafts-räume in den kommenden drei Jahren vor, ehe Montenegro neuerlich die Frage der Loslösung wieder aufwerfen darf.

Die serbischen Reformer um Ministerpräsident Zoran Djindjic, Nationalbankpräsident Mladjan Dinkic und Finanzminister Bozidar Djelic haben jedoch nicht mehr vor auf, auf Montenegro zu warten oder Rücksicht zu nehmen. Sie werden daran gehen, den jugosla-wischen Bundesstaat so weit wie möglich zu verkleinern und den neuen Staat „Serbien und Montenegro“ so kompetenzarm wie möglich zu gestalten. Vor allem die wirtschaftliche Souveränität Serbiens soll hergestellt werden, eine Eigenständigkeit, die Montenegro in den vergangenen vier Jahren schrittweise erkämpft hat. Konkret bedeutet das, daß aus der jugos-alwischen Nationalbank die serbische und aus dem jugoslawischen Zoll der serbische Zoll werden wird. Doch sind es weit mehr als nur Namensänderungen, die sich in den kommenden Monaten ereignen werden. In Bundesministerien und Bundesbehörden sind etwa 20.000 Beamte vorwiegend aus Serbien aber auch aus Montenegro beschäftigt. Teilweise werde diese Behörden einfach in serbische umgewandelt, doch Zoran Djindjic ist auch bestrebt, den Apparat drastisch zu verkleinern. Denn abgesehen von den Kosten für Beamte, die auch auf Bundesebene Serbien zu tragen hatte, weil Montenegro nicht zahlt, erwiesen sich Bundes-parlament und Bundesregierung zunehmend auch als Hemmschuh für Reformen in Serbien selbst. Das bekannteste Beispiel ist das noch immer nicht verabschiedete Gesetz über die Zusammenarbeit mit dem Haager Tribunal. Wegen des Widerstandes des pro-serbischen Koalitionspartners aus Montenegro gegen die Auslieferung konnte diese Bundesgesetz noch immer nicht beschlossen werden; die Auslieferungen erfolgen somit auf der Grundlage eine Verordnung der serbischen Regierung, die diese Kompetenz unter Berufung auf einen Not-verordnungsparagraphen in der serbischen Verfassung einfach an sich zog.

Die Ausarbeitung der Verfassung für den neuen Staat sowie die Festlegung der einzelnen Kompetenzen der Organe werden zweifellos noch einige Monate dauern und sind noch mit vielen Unklarheiten behaftet. Klar dürfte jedoch sein, daß Zoran Djindjic und die Reformer auch bestrebt sein werden mit der Filetierung des Bundesstaates auch den Reformdruck auf die Streitkräfte massiv zu erhöhen. Finanziert werden die Streitkräfte praktisch ausschließlich durch Serbien. Trotzdem ist es Djindjic bisher nicht gelungen, Einfluß zu gewinnen, denn die Streitkräfte sind de facto das einzige Machtinstrument, das seinem Gegenspieler, der jugos-lawischen Präsidenten Vojislav Kostunica noch verblieben ist. Schmerzlich bewußt wurde dieser Umstand Djindjic ebenfalls am 14. März. Wenige Stunden nach Unterzeichnung der Vereinbarung mit Montenegro verhaftete die Spionageabwehr der jugoslawischen Streit-kräfte in einem Restaurant einige Kilometer außerhalb von Belgrad den stellvertretenden serbischen Ministerpräsidenten Momcilo Perisic sowie einen hochrangigen amerikanischen Diplomaten und einen weiteren jugoslawischen Offizier. Perisic, selbst einst Generalstabs-chef, soll für die USA spioniert haben. Doch nicht die Verhaftung an sich kritisierten Djindjic und die serbischen Reformer, sondern den Umstand, daß sie weder von der geplanten Ver-haftung noch von der monatelangen Überwachung des Regierungsmitgliedes informiert waren. Djindjic fordert nun die Entlassung von General Aco Tomic, dem Chef der Spionage-abwehr, doch Vojislav Kostunica ist dazu nicht bereit. Zwar dürften nun die Tage des jugos-lawischen Generalstabschefs Nebojsa Pavkovic – einem Relikt aus der Ära Milosevic – end- gültig gezählt sein, doch dessen Abgang ist Djindjic nunmehr zu wenig. Zu wenig dürfte das auch dem Westen und vor allem den USA sein; ohne effektive zivile Kontrolle über die Streit-kräfte wird Jugoslawien jedenfalls die Angestrebte Teilnahme am NATO-Programm „Partnerschaft für den Frieden“ nicht erreichen.

Djindjic soll nun sogar damit gedroht haben, die Finanzierung der Streitkräfte auszusetzen, sollte Kostunica seiner Forderung der Entlassung des Chefs der Spionageabwehr nicht nach-kommen. Das Verhältnis zwischen den beiden beschrieb die unabhängige Nachrichtenagentur Beta in einer Analyse mit dem Wort „Offener Krieg“. Als „Bataillone“ stehen den beiden Kontrahenten auf Seiten von Vojislav Kostunica seine Partei DSS zur Verfügung, die praktisch aus der Parteienallianz DOS ausgeschieden ist. Im serbischen Parlament hat es die DsS jedoch noch nicht geschafft ausreichend Verbündete zu finden, um Djindjics Regierung zu stürzen. Denn dem serbischen Ministerpräsidenten ist es bisher gelungen, die restlichen 17-DOS-Parteien zusammen zuhalten und damit die Mehrheit im Parlament zu behaupten. Zwar muß Djindjic dadurch auch auf viele Splitterparteien Rücksicht nehmen, doch kontrolliert er weitgehend die staatlichen und staatsnahen Betriebe und hat auch beträchtlichen Einfluß auf die Medien in Serbien. Djindjics Nachteil liegt darin, daß die wirtschaftliche Lage in Serbien noch immer schwierig ist und trotz vieler guter Ansätze der Weg zu einer spürbaren Bes-serung der Lage der Bevölkerung noch weit ist. Außerdem ist Djindjic massiv auf westliche Hilfe angewiesen und muß dazu auch mit dem unpopulären Haager Tribunal zusammen-arbeiten. Diesen Umstand versucht Kostunica politisch auszunützen, der jedoch von der Reformstrategie her keine Alternative zu Djindjic anzubieten vermag und auch auf ein heterogenes Wählerpotential Rücksicht nehmen muß. Zweifellos ist Kostunica bestrebt, daß einstige Milosevic-Wählerpotential anzusprechen, das Djindjic klar ablehnt.

Der Kampf um das Wählerpotential hat einen konkreten Hintergrund. Spätestens im Herbst wird in Serbien ein neuer Präsident gewählt, denn die Amtszeit von Milan Milutinovic läuft aus. Milutinovic ist ein Gefolgsmann von Slobodan Milosevic und wird wohl ebenso den Weg nach Den Haag antreten müssen. Djindjic könnte nun bestrebt sein Milutinovic zum vorzeitigen Amtsverzicht und zum freiwilligen Gang nach Den Haag zu bewegen. Denn solange die Zukunft des Gesamtstaates nicht geklärt ist, kann Vojislav Kostunica nicht für das Amt des serbischen Präsidenten kandidieren, der über weitreichende Kompetenzen verfügt. Als möglicher Kandidat aus dem Lager der Reformer wird immer häufiger der stellvertre-tende jugoslawische Ministerpräsident Miroljub Labus genannt. Er besitzt ähnlich hohe Popularitätswerte wie Kostunica, ist jedoch ein erklärter Reformer. Labus ist einer Kandi-datur nicht abgeneigt und auch für Djindjic akzeptabel, denn er verfügt über keine wirkliche politische Hausmacht. Bis zur Wahl im Herbst und zur endgültigen Festlegung der Bezie-hungen zwischen Serbien und Montenegro wird Belgrad zweifellos noch viele politische Schachzüge erleben; wahrscheinlich ist jedoch, daß mit Jahresende die politische Landschaft in Serbien (und Montenegro) sowie die politischen Rahmenbedingungen weit klarer sein werden als jetzt, wobei dieser Klärungsprozeß mit den Iden des März begonnen haben dürfte.
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