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„Bestätige es !“ Wahlkampf in Serbien

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Berichte Serbien
„Bestätige es !“ – unter diesem Motto wirbt die Volksbewegung Otpor auf Plakaten für die Vollendung des Sieges der demokra-tischen Kräfte bei der Parlamentswahl in Serbien. Unterstützt wird damit die 18 Parteienallianz DOS, deren Spitzenkandidat Vojislav Kostunica bei der jugoslawischen Präsidentenwahl am 24. September Slobodan Milosevic besiegte, und so die politi-sche Wende in Serbien einleitete. Der DOS-Wahlkampfbus trägt eine Aufschrift, die an den Otpor-Slogan erinnert: „Laßt uns beenden, was wir begonnen haben.“ In knapp zehn Tagen sollen DOS-Politiker per Bus zwischen 50 und 70 serbische Städte be-suchen, um für den Wandel zu werben.

DOS-Spitzenkandidat für die Wahl in Serbien ist der strate-gische Kopf des Bündnisses, Zoran Djindjic, der das Amt des serbischen Regierungschefs übernehmen wird. Zum Auftakt des Wahlkampfes fuhr Djindjic mit diesem Bus und einem großen Auf-gebot serbischer Journalisten in die 90 Kilometer von Belgrad entfernte Industriestadt Sabac. Sabac zählt etwa 100.000 Ein-wohner, war eine Hochburg von Milosevics Sozialisten und wird erst seit den serbischen Lokalwahlen am 24. September von DOS regiert. Im Hotel „Freiheit“ traf Djindjic zunächst mit etwa 50 Wirtschaftstreibenden und Unternehmern zusammen, um ihnen sei-ne Botschaft zu verkünden. Djindijc will den völligen Bruch mit der Ära Milosevic und den Traditionen des kommuni-stischen Jugoslawien, um drei Ziele zu verwirklichen: die Bildung des Rechtsstaates, die Entpolitisierung der Wirtschaft sowie die Dezentralisierung Serbiens, wobei vor allem die Autonomie der Vojvodina wieder hergestellt werden soll. Wirtschaftlich will Djindjic Serbien binnen vier Jahren aus der Krise führen, wobei eine erste Erhohlung bereits in zwei Jahren spürbar sein soll. Djindjic ist bestrebt die Zahl der Minister verkleinern, gleichzeitig aber so viele DOS-Politiker wie möglich in sein Kabinett einbinden, das mindestens vier stellvertretende Ministerpräsidenten haben wird. Diese Tat-sache deutet darauf hin, daß Djindjic bestrebt ist, einen raschen Zerfall des Wahlbündnisses DOS zu verhindern.

Der Auftritt und die Ankündigungen im Sitzungsaal des Hotels „Freiheit“ in Sabac waren (ungewollt) bezeichnend für die serbische Realität. Der Weg in den Saal führte über einen nur teilweise beleuchteten Stiegenaufgang, vorbei an einem Raum mit mehr als zehn einarmigen Banditen und einem Schild mit einer durchgestrichenen Pistole, die anzeigte, daß hier das Tragen von Faustfeuerwaffen verboten ist. Der Saal selbst hatte den Charme der Architektur der 70-iger Jahre, wobei in der Decke nur einige Glühbirnen vorhanden waren, die jedoch nicht brannten. Dem Gespräch mit der Wirtschaft folgten zwei Interviews mit dem lokalen, gemeindeeigenen Radio- und TV-Sender. Auch hier verkündete Djindjic seine Botschaft; ange-strebt wird von ihm auch, das offizielle serbische Durch-schnittseinkommen von derzeit knapp 700 Schilling binnen Jahresfrist zu verdoppeln. Wie dornenreich der Weg Serbiens sein wird, zeigte der anschließende Besuch im Chemiekombinat Zorka, in dem einst etwa 8.000 Personen beschäftigt waren. Nun sollen tatsächlich noch 2.500 Mitarbeiter hier tätig sein. Zu seinen besten Zeiten produzierte das Werk unter anderem eine Million Tonnen Kunstdünger pro Jahr, heuer sollen es 10.000 Tonnen gewesen sein. Der Großteil der Anlage gleicht einer Industrieruine; der trostlose Anblick der Anlage, die durch viel Rost und zerbrochene Festerscheiben weitgehend geprägt war, veranlaßte einen Stadtpolitiker zur Feststellung, daß hier ohne weitere Umbauten eine ideale Kulisse für einen „Grusel- oder Partisanen-Film“ vorhanden sei. Tatsächlich gearbeitet wurde bei der Werksbesichtigung vor allem in der Zinkelektrolyse, in der etwa 800 Mitarbeiter beschäftigt sein sollen. Gerade wegen der Trostlosigkeit ist die Bereitschaft der Mitarbeiter von Zorka zum Wandel groß; denn für den Ver-fall, der mit dem Aufstieg von Milosevic eingesetzt haben soll, wird der Milosevic-Clan verantwortlich gemacht. Wegen der tristen Lage, will DOS den Serben nach den Wahlen Ende Dezember zunächst vor allem „reinen Wein“ einschenken, auf eine Schocktherapie verzichten, aber gleichzeitig eine klare Perspektive bieten. Djindjic warb und wirbt denn auch für seine Politik mit dem Hinweise, daß es keine Alternative zu DOS gebe.

Diese Botschaft zu verbreiten fällt DOS nun weit leichter, denn die Ausgangslage für die vorgezogene serbische Parla-mentswahl ist gegenüber den Wahlen in Jugoslawien am 24. Sep-tember spiegelverkehrt. Die 19 Parteienallianz DOS dominiert die politische und die mediale Landschaft. Im staatlichen serbischen Fernsehen ist DOS so übermächtig wie noch vor drei Monaten Milosevics sozialistische Partei SPS. Da die SPS aber praktisch über keine eigenen Zeitungen mehr verfügt, ist ihre Präsenz in den Medien sogar schwächer als dies bei der Opposi-tion vor den jugoslawischen Wahlen der Fall war. Unklarer als bei den Medien ist die politische Rollenverteilung der Par-teien, die im serbischen Wahlkampf auftreten. Neben DOS und SPS kandidieren, die Radikale Partei von Vojislav Seselj, die SPO, die Serbische Erneuerungsbewegung von Vuk Draskovic sowie vier Kleinparteien. Dazu zählen zwei SPS-Aspaltungen sowie die Jugoslawische Linke, die von Milosevics Ehefrau Mira Markovic geführt wird. Sie alle werben um die Gunst der etwa 6,5 Milli-onen Wähler. Derzeit bilden DOS, SPS und SPO gemeinsam die serbische Übergangsregierung, so daß ein klarer Gegensatz zwischen Opposition und Regierung fehlt, obwohl die Serben DOS bereits als Regierungspartei empfinden, die allerdings die Macht noch nicht wirklich in Händen hält. Sichtbar wird diese Gewichtung auch durch Meinungsumfragen, die DOS etwa 60 Pro-zent der Stimmen voraussagen, während Milosevics Sozialisten maximal auf 15 Prozent kommen. Den Wiedereinzug in das serbi-sche Parlament dürften auch die Radikalen schaffen, während die SPO an der nun bestehenden 5-Prozent-Sperrklausel zu scheitern droht.

Demokratiepolitische ebenso fragwürdig wie die mediale Ge-wichtung der Parteien ist auch das serbische Wahlgesetz. Dem-nach ist Serbien ein einziger Wahlkreis, in dem die 5-Prozent-Hürde übersprungen werden muß. Für das Antreten einer Partei waren 10.000 Unterschriften erforderlich, die bei Gericht be-stätigt werden mußten, wobei eine Partei pro Unterschrift 20 Dinar zu bezahlen hatte. All diese Bestimmungen benachteiligen kleine Parteien sowie Parteien der nationalen Minderheiten. Hinzu kommt, daß von einem freien Mandat in Serbien nicht ge-sprochen werden kann. Denn nach dem Wahlgesetz verliert ein Abgeordneter auch dann seinen Parlamentssitz vorzeitig, wenn die Mitgliedschaft in seiner Partei endet. Somit zeigt auch dieses Wahlgesetz, vor welch großer Aufgabe die Allianz DOS nach der Wahl stehen wird.

Die große Bedeutung der serbischen Parlamentswahl für Jugosla-wiens hat insbesondere zwei Ursachen: so liegt die eigentliche Macht in Jugoslawien nicht beim Bund, sondern bei den Teilre-publiken Serbien und Montenegro. Während in Montenegro mit De-mokratisierung und Reformen bereits vor drei Jahren begonnen wurde, steht dieser Prozeß in Serbien am Beginn. Da Serbien viel größer ist als Montenegro hängt die Zukunft Jugoslawiens weit stärker vom Erfolg oder Mißerfolg der demokratischen und wirtschaftlichen Reformen in Serbien ab. Hinzu kommt noch, daß Montenegro erst mit einer demokratischen serbischen Führung über die Zukunft des Landes verhandeln will.

Ausgelöst wurde die vorgezogene Parlamentswahl in Serbien durch den Machtwechsel in Jugoslawien. Mit dem Sieg von Vojislav Kostunica über Slobodan Milosevic verloren dessen Sozialisten auch in Serbien praktisch die politische Kontrolle, so daß es unter dem Druck der Allianz DOS von Vojislav Kostunica zur Auflösung des serbischen Parlaments und zur Ausschreibung von Wahlen für den 23. Dezember kam. Regulär wäre diese Parlamentswahl erst Mitte nächsten Jahres fällig gewesen.

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