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Serbiens heißer Herbst: Machtkampf im Parlament als Auftakt zur Präsidentenwahl

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Berichte Serbien
Die serbische Verfassung legt fest, daß das Parlament der größeren der zwei jugoslawischen Teilrepubliken 250 Abgeordnete hat. Diese Gesamtzahl zählt zu den wenigen fixen Größen dieser Institutionen. Mit wenigen Ausnahmen ist derzeit unklar, welche Partei in diesem Parlament wie viele Abgeordnete hat oder haben wird. Grund für diese Unsicherheit ist, daß die vom serbischen Ministerpräsidenten Zoran Djindjic geführte 17 Parteienallianz DOS, die DSS, die Partei des jugoslawischen Präsidenten Vojislav Kostunica, aus ihren Reihen aus-schloß. Das gab der DOS-Mehrheit im parlamentarischen Administrativausschuß die Hand-habe, der DSS unter Anwendung fragwürdiger Bestimmungen des Gesetzes über die Wahl der Abgeordneten alle 45 Mandate abzuerkennen. Diese Sitze sollen bis zur nächsten Parlaments-sitzung auf die übrigen DOS-Parteien verteilt werden, bei der auch die Aberkennung der DSS-Mandate endgültig fixiert werden muß. Ob es wirklich dazu kommt ist fraglich; denn Analysen Belgrader Tageszeitungen ergaben, daß DOS - je nach juristischer Interpretation – nur mehr über 37 oder gar nur 22 Ersatzkandidaten verfügt, und so gar nicht alle 45 Sitze nachbesetzen kann. In diesem Falle wäre der noch weit fragwürdigere Artikel 92 Absatz 3 dieses Gesetzes anzuwenden; er besagt, daß Mandate, die von einer Partei nicht nachbesetzt werden können, der nächststärksten Partei des Parlaments zufallen. Das sind die Sozialisten von Slobodan Milosevic, die zwar völlig zerstritten und gelähmt sind, so aber in den „Genuß“ von Mandaten kommen könnten, die die Serben in der Wahlurne DOS zugeteilt haben. DOS wird ein derartiges Szenario sicher vermeiden wollen, doch ob und wenn ja welchen Ausweg Djindjic und Kostunica aus dieser ernstesten Krise seit dem Sturz von Slobodan Milosevic finden können, ist noch nicht absehbar.

Das derzeit im Parlament herrschende Chaos ist auf zwei Faktoren zurückzuführen. Erstens haben es OSZE, EU und Europarat trotz der dort vorhandenen geballten Weisheit verabsäumt, rechtzeitig auf eine Änderung dieser Wählerwillen und Demokratie hohnlachenden Bestim-mungen des Wahlgesetzes zu dringen. Zweitens hat der Machtkampf zwischen Vojislav Kostunica und Zoran Djindjic eine Ausmaß angenommen, bei dem (fast) alle demokratischen Spielregeln mißachtet werden. Ein Grund für diese Eskalation ist die am 29. September statt-findende Wahl des serbischen Präsidenten. Auch der Wahltermin selbst ist bereits wieder Teil des Machtkampfes. Die Wahl hätte auch einige Monate später erfolgen können, doch wählte Djindjic diesen Termin, um Kostunica das Antreten zu erschweren. Denn die Verhandlungen über die Umwandlung Jugoslawiens in die „Union Serbien und Montenegro“ sind noch nicht abgeschlossen; daher muß sich Kostunica nun bis zum 8. September, dem Stichtag für die Kandidatur, entscheiden, ob er Präsident des neuen Staates oder Präsident Serbiens werden will.

Für Kostunica ist diese Entscheidung vor allem deshalb riskant, weil seine Popularität in der Bevölkerung wegen des Machtkampfes und diverser Affären stark gelitten hat. Daher kann von einem sicheren Sieg keine Rede mehr sein. Hinzu kommt, daß seine Partei DSS nur über eine relativ schwache Organisation verfügt, und die meisten Medien entweder Djindjic nahe stehen oder von ihm kontrolliert werden. Sollte Kustunica jedoch die Wahl verlieren, wäre das nicht nur sein politisches Ende, sondern auch wohl das Ende seiner Partei, die über keinen anderen profilierten Politiker verfügt. Trotzdem ist derzeit eher mit seinem Antreten zu rechnen, denn Kostunicas Umgebung und die DSS wollen seine Kandidatur, um das feind-liche Lager zu schwächen. Kostunicas Vorteil liegt in seinem eher ländlichen und älteren Wählerpotential, das weit disziplinierter ist als das seines Hauptkonkurrenten Miroljub Labus. Labus, derzeit stellvertretender jugoslawischer Ministerpräsident, ist ein erklärter Reformer. Für ihn sind die urbanen, jüngeren und in vielen Fällen besser ausgebildeten Bevölkerungs-schichten, doch sind diese Gruppen weit schwerer zu bewegen zur Wahl zu gehen. Labus wird von vielen Serben als unverbrauchter Politiker und als Wirtschaftsexperte betrachtet. Er war ein führender Vertreter der Organisation „G-17“, die in ihren Reihen vor allem Ökono-men versammelte. G-17 zeigte die katastrophalen wirtschaftlichen Folgen der Ära Milosevic auf und spielte daher bei dessen Sturz eine nicht unwesentliche Rolle. G-17 hat in Serbien eine Organisationsstruktur aufgebaut, auf die sich Labus im Wahlkampf wird ebenso stützen können wie auf Zoran Djindjic, dessen Partei DS Labus ebenfalls angehört. Djindjics Unter-sützung ist jedoch ein zweischneidiges Schwert, denn der Ministerpräsident polarisiert die Serben. Labus wird in seiner Kampagne daher auch seine politische Eigenständigkeit be-weisen müssen, ohne dadurch die Anhänger des serbischen Ministerpräsidenten vor den Kopf zu stoßen.

Derzeit ist der Ausgang der Wahl völlig offen; sich ist jedoch, daß der Wahlkampf mit allen Mitteln geführt und ein Sieger erst im zweiten Durchgang ermittelt werden wird. Denn die Zahl der Kandidaten wird sehr groß sein, weil viele Parteien die Kampagne für ihre Profi-lierung nutzen wollen, und die für das Antreten erforderliche Zahl von 10.000 Unterschriften auch für Kleinparteien keine unüberwindbare Hürde darstellt. Daher werden die Favoriten, Labus und Kostunica, sollte er denn antreten, die im ersten Wahlgang erforderliche absolute Mehrheit der abgegeben Stimmen verfehlen. Sicher ist auch, daß Kostunica im zweiten Wahlgang auf viele Stimmen der Parteien des alten Regimes und der Nationalisten wird zählen können, deren Potential auf etwa 20 Prozent geschätzt wird. Außer Frage steht auch, daß die Wahl eine Richtungsentscheidung sein wird. Kostunica ist weit weniger westlich orientiert, für ihn ist die rasche Modernisierung Serbiens kein derartiges Anliegen wie für Djindjic und Labus. Ein Sieg von Labus würde daher den Reformen zweifellos neuen Schwung verleihen und auch die nationalistischen Kräfte schwächen, die bei Kostunica auf ein weit stärkeres Verständnis zählen können. Klar ist auch, daß bei einem Sieg von Labus, Kostunica auch den Machtkampf mit Djindjic verloren haben würde. Dieser Sieg könnte sich für Djindjic jedoch als Pyrrhussieg erweisen. Denn mit Labus als Präsident würde dieses Amt trotz eher beschränkter Kompetenzen wieder eine Bedeutung gewinnen. Sie ist derzeit nicht gegeben ist, weil Amtsinhaber Milan Milutinovic ein Parteigänger von Slobodan Milosevic ist und diesem bereits kurz nach der Wahl nach Den Haag wird folgen müssen. Unter einem Prä-sidenten Labus würde aber auch die Bedeutung von G-17 schlagartig steigen, die derzeit zwar noch keine Partei, in Serbien aber trotzdem populär ist. Denn der Wunsch nach neuen politi-schen Kräften ist weit verbreitet. Diesem Wunsch könnten G-17 und deren prominentes Mit-glied, Mladjan Dinkic entsprechen. Dinkic ist derzeit Präsident der jugoslawischen National-bank, ist jung, machthungrig und populärer als Djindjic. Nach der mit Jahresende geplanten Umwandlung Jugoslawiens in die „Union Serbien und Montenegro“ stehen in Serbien die Ausarbeitung einer neuen Verfassung und Parlamentswahlen an. Bei dieser Wahl könnte der unverbrauchte Reformer Mladjan Dinkic Zoran Djindjic jenes Schicksal bereiten, das dieser für Vojilsav Kostunica vorgesehen hat. Schließlich ist die Wählerschaft in Serbien sehr mobil, und die Ausbildung eines stabilen, demokratischen Parteienspektrums steht noch am Beginn.

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