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Fehleinschätzung kommt vor dem Fall Milosevic steht am Wendepunkt

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Kleine Zeitung
Berichte Serbien
Der gefährlichste Augenblick für einen Politiker tritt dann ein, wenn er seine eigene Propaganda zu glauben beginnt. Diese politische Weisheit könnte dem jugoslawischen Präsidenten zum Slobodan Milosevic zum Verhängnis werden. Denn zu den nach wie vor unbeantworteten entscheidenden Fragen der vergangenen vier Monate zählt jene, wieso sich Milosevic auf das unkalkulier-bare Risiko einer Direktwahl des jugoslawischen Präsidenten eingelassen hat. Denn mit seiner Mehrheit im Bundesparlament hätte Milosevic seine Amtszeit verlängern lassen und auch beim Modus der indirekten Wahl durch das Bundesparlament bleiben können.

Mit der Direktwahl des Präsidenten könnte Milosevic jedoch seinen entscheidenden Fehler begangen haben. Ein Indiz dafür sind in Belgrad kursierende Gerüchte, wonach der 58-jährige die nie veröffentlichenten aber natürlich auch von seiner Partei durchgeführten Umfragen nicht glauben wollte. Erst als er vor etwa zwei Wochen der Wahrheit ins Gesicht sehen mußte griff der jugoslawische Staatspräsident auch durch mehrere Großauftritte in den Wahlkampf ein – zu spät, wie sich möglicherweise nun herausstellen könne. Denn Milosevic dürfte seine Popularität überschätzt und den Wunsch nach einem Wandel sowie die Fähigkeiten der Opposition unterschätzt haben. Denn 18 Oppositionsparteien einigten sich auf ein gemeinsames An-treten und präsentierten mit Vojislav Kostunica einen Präsidentschaftskandidaten, der als serbischer Nationalist kaum angreifbar war und rasch populär wurde. Damit entstandt trotz der eigenständigen Kandidatur der oppositionellen „Serbischen Erneuerungsbewegung“ und weitere zwei Bewerber jene Duellsituation, die Milosevic hatte vermeiden wollen.

Daß Vojislav Kostunica bei den Wahlen zum Bundesparlament zumindest in Führung liegen muß, wenn er sie nicht sogar wirklich bereits im ersten Wahlgang gewonnen hat, dafür gibt es einige Indizien. Hinzu komt, daß Kostunicas Parteienallianz auch bei den Wahlen zum Bundesparlament und bei den serbischen Kommunalwahlen sehr gut abgeschnitten haben muß, auch wenn derzeit noch keine völlig verlässlichen Ergebnisse vorliegen. 16 Stunden lang präsentierte das staatliche serbische Fern-sehen keine klaren Angaben über die Wahlergebnisse. In der Wahlnacht waren die Parteizentralen der Sozialistischen Partei Serbiens und der Jugoslawischen Linken drei Stunden lang verweist. Es wird vermutet, daß in dieser Zeit Beratungen hinter verschlossenen Türen stattfanden. Eine klare Linie kann dabei zunächst nicht gefunden worden sein; denn JUL erklärte anschließend, Milosevic habe bereits im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit gewonnen, während die Sozialisten zunächst verkündeten, ihr Kandidat habe 44 Prozent der Stimmen erzielt, die absolute Mehrheit sei aber noch möglich. So dauerte es fast einen Tag bis es am Montag nach der Wahl zu einer gemein-samen Pressekonferenz der zwei Parteien kam, bei der das Wahl-ergebnis verkündet wurde. Nach Angaben von Sozialisten und Jugoslawischer Linken liegt bei einem Auszählungsgrad von 37 Prozent Amtsinhaber Slobodan Milosevic mit 44 Prozent vor seinem Herausforderer Vojislav Kostunica, der bei 4o Prozent hält. Ein Wahlsieg von Milosevic im ersten Durchgang wird noch für möglich erklärt, doch die stolzen Ankündigungen, Milosevic gewinne auf jeden Fall im ersten Durchgang sind verstummt. Wie sehr der „Hut brennt“ zeigt der Umstand, daß die Niederlage bei den serbischen Kommunalwahlen sang- und klanglos einge-standen wurde. Vor vier Jahren mußte die serbische Opposition noch drei Monate für dieses Zugeständnis demonstrieren.

Das eigentlich zuständige Organ, die Zentrale Wahlkommission, die dem Bundesparlament untersteht, gabe bis zu diesem Zeit-punkt keine einzige öffentliche Stellungnahme ab. Auch das ist ein Hinweis für die Konfusion, die nach dem Wahlschluß geherrscht haben muß. Nur ein schwacher Trost ist es für die Regierung, daß bei den Wahlen zum Bundesparlament vorläufig die Stellung gehaltren werden konnte; denn möglich wurde dies nur durch den montenegrinischen Wahlboykott, den die Bevölkerung in großer Mehrheit befolgte.

Wie sehr sich die Lage verändert hat zeigt der Umstand, daß Slobodan Milosevic vor vier Monaten noch absolut Herr der innenpolitischen Lage war. Sein möglicherweise letztes Gefecht um die Macht hatte der sozialistische Parteivorsitzende Slobodan Milosevic bereits nach dem Ende des Kosovo-Krieges vor einem Jahr eröffnet. Die Niederlage gegen die NATO wurde in einen Sieg umgedeutet und der Widerstand verklärt. Im November erfolgte der erste Schritt in Richtung Wahl mit der Verabschiedung des Gesetztes über die Kommunalwahlen. Die Gemeinderäte werden nun in einem Durchgang ermittelt, außerdem gilt ein reines Mehrheitswahl-recht, denn Milosevic setze zu Recht darauf, daß sich die Opposition auf keine gemeinsame Liste werde einigen können. Daher dürften am Sonntag einige städtische Bastionen der Oppositionen von den Sozialisten zurückerobert werden.

Beim vierten Kongreß dieser Partei Mitte Februar wurden dann die nächsten Losungen präsentiert: Wiederaufbau, Entwicklung und Reformen lautete die Devise, die Milosevic verkündete um zu zeigen, daß es in Jugoslawien trotz westlicher Sanktionen aufwärts geht. Fabrikseröffnungen, Brückenbauten und Gleichen-feiern dominierten denn auch die Berichterstattung der staat-lichen Medien sowie den Wahlkampf der Regierungsparteien. Parallel dazu wurde die Opposition als Handlanger der NATO und als Verräter gebrandmarkt, eine Linie, der Milosevic auch bei seiner Abschlußkundgebung treu blieb:

Weiter geschwächt wurde die Opposition im Frühling durch die Übernahme zweier führender kritischer Belgrader Medien, der Tageszeitung Vecernije Novosti und des TV-Senders Studio B. Ermutigt durch relativ schwache Proteste erfolgte im Juli der nächste Schachzug der Regierung, die Änderung der Bundesver-fassung: damit wurden ohne Rücksprache mit der pro-westlichen Führung Montenegros die Direktwahl des jugoslawischen Präsi-denten und der beiden Kammern des Bundesparlaments eingeführt. Milosevic kalkulierte zurecht, daß die pro-westliche Drei-Parteien-Koalition Montenegros dies nicht hinnehmen und die Wahlen boykottieren werde. Die montenegrinischen Mandate fielen so kampflos den Pro-Milosevic-Parteien zu und könnten der Regierung im Bundesparlament nach wie vor die Mehrheit sichern, auch wenn die äußerst geringe Wahlbeteiligung in Montenegro einen klaren Sieg für deren pro-westliche Führung bedeutet. Wie die Gerüchte über den Rücktritt des jugoslawi-schen Ministerpräsidenten, des Montenegriners Momir Bulatovic, zeigen, könnte aber auch innerhalb der Sozialisten einiges in Bewegung geraten sein. Bulatovic dementierte seinen Rücktritt und so könnten Parteidisziplin und Wille zur Macht sich(noch ein Mal) als stärker erweisen wie die parteiinternen Spannungen, die auch durch den Rücktritt des ehemaligen Spitzenfunktionärs Zoran Lilic bestätigt wurden.

Mit der Internationale endete die Wahlkampfabschlußveranstal-tung der Sozialistischen Partei Serbiens in der größten Belgrader Sporthalle. Sollte die serbische Bevölkerung bereit sein, für den Sieg bei der Präsidentenwahl ebenso standhaft auf die Straße zu gehen wie vor vier Jahren wegen der serbischen Lokalwahlen, so könnte diese Wahlkampfveranstaltung in Belgrad Milosevics letzte als jugoslawischer Präsident gewesen sein – außer Milosevic ist bereit, den politischen Rubikon zu überschreiten, soferne er für einen derartigen Schritt noch genügend Unterstützung bei den Streitkräften und der Polizei finden sollte.

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