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Serbiens schwieriger Weg in die EU und die Beitrittsgespräche

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Berichte Serbien
Am 21. Jänner wird (hat) die EU bei einer Regierungskonferenz in Brüssel offiziell den Startschuss für Beitrittsverhandlungen mit Serbien geben. Mehr als 13 Jahre nach dem Sturz des Autokraten Slobodan Milosevic haben ironischerweise ausgerechnet dessen ehemalige politische Weggefährten, Ministerpräsident Ivica Dacic und sein Stellvertreter, der Vorsitzende der größten Regierungspartei, Alexander Vucic, dieses strategische Ziel erreicht. Ermöglicht haben den Verhandlungsbeginn die schrittweise Normalisierung der Beziehungen zwischen Serbien und dem Kosovo. Die weitere Normalisierung hat die EU in ein eigenes Verhandlungskapitel gepackt, und so wird der Kosovo stets die Gespräche zwischen Brüssel und Belgrad begleiten. Doch auch abgesehen vom Kosovo wird die Erfüllung der Kriterien für den EU-Beitritt für Serbien eine enorme Herausforderung bilden. Jahre des Krieges am Balkan, der internationalen Sanktionen und der Krise haben das Land weit zurückgeworfen. Unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz hat den folgenden Beitrag über Brüssel als Anreiz und Faktor der Modernisierung Serbiens gezeichnet, die in etwa zehn Jahren durch den EU-Beitritt gekrönt werden könnte.

Nach Jahrzehnten von Krieg und Krise hat Serbien zweifellos nicht den Ruf, ein Land zu sein, in dem Informationstechnologie hoch entwickelt ist und Computerprogramme erarbeitet werden, die etwa für den Kampf gegen Steuerhinterziehung genutzt werden können. Doch der Schein trügt, wie die Firma Comtrade zeigt, die in Serbien, Slowenien und Bosnien mehr als 1.400 Software-Ingenieure beschäftigt. Der Exportanteil liegt bei 70 Prozent; erfolgreich ist Comtrade in den USA und der EU. Genutzt wird die Software auch in Österreich, wie Firmengründer und Eigentümer Veselin Jevrosimovic in der Zentrale in Belgrad betont:

„Unsere Software nutzt auch das Finanzministerium in Wien, das einen Teil der Spielautomaten in Österreich mit Hilfe unserer Software kontrolliert. Das war eine Ausschreibung, die wir gewonnen haben. Das bedeutet, dass in jedem Augenblick das Finanzministerium einen Einblick hat, wie viel Geld welche Maschine verdient, und wie viel Steuern die Firma bezahlen muss, die einen derartigen Automaten betreibt. Ich glaube, es gibt nur zwei Firmen auf der Welt, die eine derartige Software produzieren können

Comtrade nutzt nicht nur das gute Ausbildungsniveau technischer Universitäten im ehemaligen Jugoslawien; vielmehr hat Veselin Jevrosimovic eine eigene Schule und eine Universität gegründet, die in Belgrad Ingenieure ausbilden. Beim Einstieg in die Firma verdient ein Software-Ingenieur umgerechnet 1000 Euro netto, das ist mehr als doppelt so viel wie der offizielle Durchschnittslohn in Serbien. Zu den Stärken seines Unternehmens zählt Veselin Jevrosimovic folgende Bereiche:

„Wir sind sehr stark bei der Software für Lagerhaltung, bei der Nutzung für Online-Spiele aber auch im Gesundheitswesen, wo wir Software-Lösungen für Krankenhäuser anbieten. Hinzu kommt die Software für Cloude-Computing; diese sogenannten Rechnerwolken bieten einen Nutzungszugang von virtualisierten Computerhardware-Ressourcen wie Rechnern, Netzwerken und Speichern. Unsere Ingenieure sind keine Programmierer, da könnten wir nicht mit China und Indien konkurrieren. Doch konkurrenzfähig sind wir bei Projekten, die Software-Ingenieure maßgeschneidert erarbeiten.“

IT-Firmen waren gemeinsam mit dem Autobauer FIAT, der Elektronikbranche und der Landwirtschaft dafür verantwortlich, dass die serbischen Exporte 2013 um 20 Prozent gegenüber 2012 zunahmen. In absoluten Zahlen exportierte Serbien Waren im Wert von 11 Milliarden Euro; doch das in Größe und Einwohnerzahl vergleichbare Österreich exportierte mehr als zehn Mal so viel. Ein weiteres Beispiel für die Rückständigkeit Serbiens auf so vielen Gebieten bilden Projekte, die Brüssel finanziert, um Serbien an EU-Standards heranzuführen, die für die Schließung von Verhandlungskapiteln erforderlich sind. Dazu zählt ein Projekt zur Verbesserung der Luftgüte und der gesetzlichen Grundlagen gegen Luftverschmutzung. Was erreicht wurde, beschreibt in der EU-Delegation in Belgrad der zuständige Beamte Rainer Freund:

„Serbien hat heute vielleicht noch kein flächendeckendes Netz von Luftmessstationen, aber es sind immerhin mehr als 40; das ist bereits eine sehr ansprechende Zahl für ein Land der Größe Serbiens; die gesetzlichen Grundlagen, die Methoden für die Messung, die alle minutiös von der EU-Gesetzgebung vorgeschrieben sind, werden eben auch mittlerweile vom Umweltamt hier umgesetzt; das schließt ein regelmäßige Berichte an die EU-Umweltagentur in Kopenhagen. Da ist Serbien einer der Nicht-Mitgliedsstaaten, die in Bezug auf die Vollständigkeit der Übermittlung der Daten sogar besser dasteht als einige Mitgliedsstaaten.“

Diese Bewertung spricht leider mehr gegen einzelne EU-Mitglieder denn für Serbien, das zwar die Feinstaubbelastung durch Kraftwerke reduzieren konnte, wegen seiner veralteten Schwerindustrie aber gemessen am Pro-Kopf-Einkommen doppelt so viel CO2 ausstößt als andere Länder der Region. Gering ist auch die Energieeffizienz, wie Rainer Freund darlegt:

„Es stimmt, dass hier noch sehr viel Fernheizung genutzt wird, wo nicht auf Grund des individuellen Konsums bezahlt wird, sondern auf Grund der Quadratmeter, die beheizt werden; das ist ganz einfach auch eine Investition der lokalen Versorger; es muss sehr viel mehr individuell der Verbrauch gemessen und bezahlt werden. Das ist eine ganz große Quelle der Verschwendung hier.“

Der Finanzbedarf Serbiens, um Umweltstandards entwickelter EU-Mitglieder zu erreichen, wird auf mehr als zehn Milliarden Euro geschätzt. Veraltet im doppelten Sinne ist die Landwirtschaft; wegen massiver Landflucht ist der Vorstand eines bäuerlichen Familienbetriebes im Durchschnitt 59 Jahre alt, und 95 Prozent der Traktoren sind älter als zehn Jahre. Daher ist es kein Wunder, dass die EU vor allem als Modernisierungsfaktor begehrt ist, wie die serbische EU-Chefverhandlerin, Tanja Miscevic, betont:

„Unser Ziel ist es nicht nur EU-Mitglied zu werden; vielmehr ist der Weg dorthin das Wichtigste. Es geht gerade darum, die Standards zu erreichen, nach denen die EU im Allgemeinen funktioniert. Das ist auch der Grund, warum wir trotz der schwersten Wirtschafts- und Finanzkrise in der EU und in Serbien dazu bereit sind, die wenigen Mittel aufzuwenden, die wir dafür haben. Es gibt keinen anderen Weg, um aus Serbien einen modernen Staat zu machen als durch die Annäherung an die EU. Ihre sogenannte Transformationskraft ist das, was uns anzieht, obwohl wir wissen, dass bis zur Mitgliedschaft noch viel Zeit vergehen und noch sehr viel Arbeit vor uns liegen wird.“

Das betrifft den Rechtsstaat, die Bildung einer unabhängigen Justiz oder den Kampf gegen Korruption; mit diesen zwei schwierigen Kapiteln sollen – vom Kosovo-Kapitel abgesehen – auch die konkreten Beitrittsverhandlungen beginnen. Zwar stellt die EU pro Jahr bis zu 200 Millionen Euro zur Verfügung, doch Brüssel ist kein Goldesel, und daher wird Serbien in weiterer Folge seinen finanziellen Beitrag zu seiner Modernisierung leisten müssen. Wie, ist derzeit fraglich; das konsolidierte Budgetdefizit soll im Vorjahr sieben Prozent der Wirtschaftsleistung erreicht haben, der Zinsendienst stieg ebenso drastisch wie die Staatsverschuldung. Zwar hat die Regierung ernsthaft begonnen, große Fälle von Korruption zu verfolgen, doch noch fehlen Strukturreformen, um die enorme Bürokratie als Quelle der Korruption auszutrocknen. Baugenehmigungen dauern 250 Tage; daher schmieren auch viele Firmen Beamte, wie eine Untersuchung des Statistischen Zentralamts in Belgrad zeigt, die die EU finanziert hat. Im Spiel seien in der Regel geringe Summen, sagt Tijana Comic vom Statistischen Zentralamt:

„Um die Bürokratie beim Zoll zu beschleunigen, werden oft nur kleine Summe bezahlt. Bei Zöllnern etwa machte die größte Zahl an Bestechungen nur bis zu 50 Euro aus. Der durchschnittliche Wert der Bestechung betrug weniger als 200 Euro; das bedeutet, dass in der Hälfte aller Fälle weniger bezahlt wurden, während bei der anderen Hälfte der Bestechungen die Summe höher als 200 Euro war.“

Hoch ist mit mehr als 20 Prozent jedenfalls die Arbeitslosigkeit; Allein seit Beginn der internationalen Finanzkrise vor fünf Jahren verloren mehr als 400.000 Serben ihren Arbeitsplatz. Doch Neueinstellungen erschwert auch ein eher kommunistisch anmutendes Arbeitsrecht, das auch der angesehene Wirtschaftsjournalist Milan Culibrk kritisiert:

„Nirgends auf der Welt wird ein Arbeitgeber, der einen neuen Mitarbeiter einstellt, die Abfertigung für die gesamte Lebensarbeitszeit des neuen Mitarbeiters auszahlen muss. Daher wird niemand in der Privatwirtschaft ältere Personen einstellen. Diese Bestimmung im Arbeitsgesetz wird in Serbien sogar mißbraucht, und zwar vor allem im öffentlichen Sektor. Arbeitnehmer wechseln von einem Staatsbetrieb in den anderen und bekommen die Abfertigung für die gesamte Arbeitszeit, und wenn sie dann in einen weiteren Staatsbetrieb wechseln, bekommen sie wieder die gesamte Abfertigung.“

Ein neues Arbeitsrecht zählt daher neben einer neuen Bauordnung zu den Schlüsselgesetzen, die Wirtschaftsminister Sasa Radulovic trotz des Widerstands der Gewerkschaften und zaudernder Regierungsparteien bis zum Frühsommer durchbringen will. Er fordert eine Entpolitisierung der Staatsbetriebe und eine Stärkung kleiner und mittelständischer Firmen; Sasa Radulovic:

„In Serben arbeiten 500.000 Personen in Betrieben, die weniger als 10 Mitarbeiter haben. 200.000 Personen arbeiten in Firmen mit bis zu 50 Angestellten; das sind insgesamt 700.000 Personen; die gleiche Zahl arbeitet im Staatssektor und wird aus dem Budget bezahlt. Doch das neue Arbeitsgesetz schreibt man nicht nur für den öffentlichen Sektor, um es dann auf Klein- und Mittelbetriebe anzuwenden; die direkte Folge davon ist die enorme Schattenwirtschaft, wenige neue Arbeitsplätze und ein geringes Wirtschaftswachstum.“

Die Schattenwirtschaft wird in Serbien auf etwa 30 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung geschätzt, etwa 500.000 Serben sollen de facto schwarzarbeiten. Den Reformdruck erhöhen eine ungünstige Beschäftigungsstruktur und die negative demographische Entwicklung. Doch noch hat die Regierung bei Sozial- und Wirtschaftspolitik keinen klaren, gemeinsamen Nenner gefunden; die Parteien schonen ihre eigene Klientel im Staatssektor, und das bremse das Reformtempo, betont der Wirtschaftsjournalist Milan Culibrik:

„Im öffentlichen Sektor arbeiten etwa 700.000 Personen, und das bei insgesamt 1,7 Millionen Beschäftigten; fast jeder zweite Beschäftigte arbeitet für den Staat; das ist kein haltbarer Zustand, vor allem wenn man berücksichtigt, dass auf einen Beschäftigten bereits ein Pensionist kommt. Hinzu kommt, dass ein Beschäftigter in der Privatwirtschaft zwei Pensionisten und einen Staatsbediensteten erhält. Dieses System hat niemand bisher reformiert. Das hat auch diese Regierung in ihren ersten eineinhalb Jahren nicht getan; daher glaube ich nicht, dass sie es bis zum Ende ihres Mandates tun wird. Denn keine Regierung riskiert Reformen im dritten oder vierten Jahr, die ihre Popularität verringern und zu einer Niederlage bei der Wahl führen könnten.“

Der Grad an Unterstützung für den parteilosen Wirtschaftsminister Sasa Radulovic wird daher zeigen, in welchem Ausmaß die Reformpolitik der Regierung über Lippenbekenntnisse hinausgeht. Radulovic und sein Ministerium arbeiten gerade daran, den Wert von etwa 600 Firmen festzustellen, die noch heuer privatisiert werden sollen. Dazu sagt Sasa Radulovic:

„Alles hat seinen Wert; daher besteht die Hauptaufgabe darin, festzustellen, was ein fairer Marktpreis ist. Dieser Wert lässt sich berechnen; daher ist die Denkweise, diese Fabrik ist nichts wert und wir müssen sie praktisch herschenken, ein Ammenmärchen. Doch bisher herrschte Chaos in diesen Firmen; keine wussten den Wert des Eigentums und der Verbindlichkeiten, und dann hat man irgendjemanden gesucht, der den Betrieb fast geschenkt übernimmt. Doch wenn man Firmen auf derartige Weise hergibt, dann melden sich in der Regel auch nur Interessenten mit zweifelhaften geschäftlichen Fähigkeiten; die haben dann die Firmen nur genutzt, um deren Eigentum zu verscherbeln und das Geld über ihre Off-shore-Firmen herauszuziehen. Daher sind viele Privatisierungen auch gescheitert.“

Daher will die Regierung Off-Shore-Firmen in Steuerparadiesen von Privatisierungen ausschließen. Verläuft die Entstaatlichung tatsächlich transparent, hätten auch österreichische und andere ausländische Unternehmen eine faire Chance, für die natürlich die Umsetzung von EU-Projekten ebenso interessant ist. Für Investitionen in Serbien gibt es aber trotz aller Herausforderungen noch andere, gute Gründe; sie fasst der österreichische Handelsdelegierte in Belgrad, Andreas Haidenthaler, so zusammen:

„Zum einen ist Serbien ein interessanter Produktionsstandort; man bekommt vergleichsweise gut ausgebildete Fachkräfte speziell auch im technischen Bereich; Leute, die Fremdsprachen können. Es gibt Untersuchungen, wonach ein sehr großer Prozentsatz der Bevölkerung wirklich gut Englisch kann. Das ganz zu durchaus kompetitiven Löhnen; und in der Vergangenheit wurde das vom Staat auch durchaus großzügig gefördert, mit Steuererleichterungen bis hin zu Direktinsentivs für geschaffene Arbeitsplätze. Abgesehen davon geht es um die Langfrist-Perspektive, dass sich Serbien Richtung EU entwickeln wird, und damit die Hoffnung besteht, dass wenn sich das Land und damit Lebensstandard und Kaufkraft weiterentwickeln, jemand, der sich vielleicht heute fünf Euro für eine Lebensversicherung leisten kann, in der Zukunft dann vielleicht zehn Euro oder mehr für eine Lebensversicherung leisten kann.“

Abmod:

Serbien ist jedenfalls für Investoren keine Liebe auf den ersten Blick. Ob der zweite Blick künftig viel besser ausfällt, wird das Ausmaß der Reformen im heurigen Jahr mitentscheiden. Beeinflussen wird das Reformtempo auch, ob es zu vorgezogenen Parlamentswahlen im März kommt, die nach allen Umfragen die stärkste Regierungspartei, die konservative SNS gewinnen dürfte. Sie könnte nach einem Sieg mit nur wenigen Kleinparteien eine kompaktere Regierung bilden, die dann tatsächlich radikalere Reformen durchführt, sodass die Monate des Wahlkampfs vielleicht sogar eine gute Investition in Serbiens Zukunft bilden könnten.

Links:

Außenhandelsstelle der WKO in Belgrad: http://wko.at/aussenwirtschaft/rs

Statistisches Zentralamt in Serbien (Serbisch / Englisch) http://webrzs.stat.gov.rs/WebSite

EU-Delegation in Belgrad (Serbisch/Englisch) http://www.europa.rs

Wirtschaftsministerium in Belgrad (Serbisch) http://www.privreda.gov.rs

Unternehmen Comtrade (Englisch) http://www.comtrade.com

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