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Serbien und die Vorbereitungen auf die EU

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Wenn Serbien bis zum Jahresende eine weitgehende Normalisierung seiner Beziehungen gelingt, dann wird der einstige politische Paria des Balkan voraussichtlich im Jänner mit den Verhandlungen über seinen Beitritt zur Europäischen Union beginnen können. Damit geht es dann um die wirklich schwierigen Reformen in Serbien selbst, die das Land von der Justiz über die Landwirtschaft bis zum Umweltschutz an die Standards der entwickelten EU-Staaten heranführen sollen. Dieser Prozess wird wohl bis zu zehn Jahre dauern, und das Verhältnis zum Kosovo wird ständig bei diesen Verhandlungen präsent sein. Über die Vorbereitungen Belgrads und Brüssels auf den Beginn der Beitrittsverhandlungen mit Serbien berichtet aus Belgrad unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz

Abgesehen von den Verhandlungen über die Normalisierung der Beziehungen zwischen Serbien und dem Kosovo laufen die Vorbereitungen auf die EU-Beitrittsgespräche zwischen Brüssel und Belgrad derzeit auf zwei Ebenen. Die eine umfasst den sogenannten „Screening“-Prozess, das ist die Durchleuchtung der serbischen Gesetzgebung durch die EU-Kommission. Begonnen wurde mit den Verhandlungskapiteln 23. und 24. Sie betreffen Justiz, Grundrechte, Freiheit, Sicherheit und den Kampf gegen die Korruption. Diese beiden Kapitel und die damit verbundenen Reformen werden von der EU als zentral und besonders schwierig eingeschätzt. Zweitens verhandeln die EU-Mitglieder derzeit über den konkreten Verhandlungsrahmen für Serbien. Eine Sonderstellung nimmt dabei die Frage ein, wie und wo die Beziehungen zum Kosovo überall vertreten sein sollen. Dazu sagt in Belgrad Ministerpräsident Ivica Dacic:

„Vorgesehen war zunächst, dass der Kosovo unter das Kapitel 35 fällt, das den Titel „Andere Fragen“ trägt. Vor allem Deutschland und Großbritannien wollen, dass der Kosovo auch bei anderen Kapiteln als Bedingung für deren Öffnung und vorläufige Schließung genannt wird. Wir halten das für absolut unnötig und für schädlich für die Verhandlungen. Wichtig ist, dass diese Gespräche wie bei anderen Ländern auch ablaufen. Die Kapitel Justiz, Sicherheit und Grundrechte, sowie in unserem Falle auch das Kapitel 35 können immer dazu dienen, um die Gespräche zu unterbrechen, sollte Serbien sich bei der Umsetzung der Vereinbarung mit dem Kosovo nicht konstruktiv verhalten. Für uns wäre es unannehmbar, sollten EU-Direktiven auch Fragen des Kosovo-Status berühren.“

Die Anerkennung des Kosovo durch Serbien wird wohl erst aufs Tapet kommen, wenn die Beitrittsverhandlungen dereinst knapp vor dem Abschluss stehen werden. Der Kosovo wird diese Gespräche aber ständig überschatten; daraus zieht Ivica Dacic den Schluss:

„Die größte Herausforderung auf dem Weg zur EU wird der Kosovo sein, weil es ohne Fortschritte beim Dialog mit dem Kosovo nichts hilft, wenn man alle anderen Anforderungen auf bestmögliche Weise erfüllt. Andererseits sehe ich keine größeren Probleme bei der Anpassung unserer Gesetze an den gemeinsamen Rechtsbestand der EU; das gilt auch für die Implementierung dieser Gesetze, die ebenso enorm wichtig ist.“

Zu hoffen ist, dass Ivica Dacic mit seiner Einschätzung nicht falsch liegt; Zweifel weckt bereits ein Blick auf die Justiz. Sie leidet noch immer darunter, dass die vorherige Regierung im Jahre 2009 mehr als 800 Richter aus parteipolitischen Gründen und ohne rechtsstaatliches Verfahren entlassen hat. Diese Willkürmaßnahme hob das Verfassungsgericht auf; nun wollen etwa 500 der 800 Richter wieder beschäftigt werden. Insgesamt macht die Justizreform einen chaotischen Eindruck, wobei die Ernennung der Richter parteipolitischen Einflüssen unterliegt. Die EU fordert daher eine Änderung der Verfassung, um die Unabhängigkeit der Justiz zu stärken. Doch die Regierung ziert sich; und nicht nur das; ihr Aktionsplan zur Justizreform sieht sogar Maßnahmen vor, die dem Rechtsstaat widersprechen, erläutert wie die Vorsitzende der Richtervereinigung, Dragana Boljevic:

„Geplant ist, ein Organ einzuführen, das Urteile zertifiziert. Bestehen soll das Gremium aus zwei hohen Richtern, aus Rechtsanwälten und Rechtsprofessoren. Wenn dann ein Urteil einer unteren Instanz von der Spruchpraxis abweicht, soll dieses Zertifizierungsorgan entscheiden, ob dieses Urteil den Parteien zugstellt werden kann oder nicht. Das widerspricht zutiefst der Unabhängigkeit der Justiz, weil niemand über einem Richter oder höheren Gerichten stehen kann.“

Etwas besser sieht es in Serbien beim Kampf gegen die Korruption aus. Bis vor zwei Jahren noch als unangreifbar geltende Tycoons wurden verhaftet, hochrangige korrupte Polizisten wurden entmachtet und mit dem Odium der Korruption behaftete Fälle von Privatisierungen sollen aufgeklärt werden. Trotzdem hat auch diesen Kampf die Regierung noch lange nicht gewonnen, betont der führende Wirtschaftsjournalist Serbiens, Milan Culibrg:

„Man muss nur bedenken, dass auch nach zehn Jahren umstrittene Fälle von Privatisierungen nicht bereinigt worden sind. Polizei und Regierung versprechen, dass diese Fälle nun bis Jahresende gelöst sein sollen. Dazu muss aber auch ein gerichtliches Nachspiel zählen, damit tatsächlich festgestellt wird, was Sache ist. Ein großes Problem ist, dass Gesetze der Korruption Vorschub leistet. Wenn man auf eine Baugenehmigung im Durchschnitt 280 Tage wartet, und es viele Hindernisse dafür in der Verwaltung gibt, dann ist jedes derartige Hindernis eine mögliche Quelle für Korruption.“

Doch immerhin bestehen erste Ansätze, diese Hindernisse zu beseitigen. Dazu zählt die Durchleuchtung der Verwaltung, um Quellen systemimmanenter Korruption zum Versiegen zu bringen. Behörden haben entsprechende Pläne auszuarbeiten, die von der unabhängigen „Agentur für den Kampf gegen die Korruption“ überprüft werden. Deren stellvertretender Direktor, Vladan Joksimovic, beschreibt den Sinn derartiger Pläne so:

„Ich halte es für eine gute Prävention, wenn die Mitarbeiter in ihren Behörden selbst ihre neuralgischen Punkte erfassen und Gegenmaßnahmen vorschlagen. Zum Beispiel: Bei einem Schalter gibt es ein Problem, weil man eine halbe Stunde warten muss. Außerdem kann der Beamte meinen Fall auf den Aktenberg ganz oben oder ganz unten platzieren. Das ist ein möglicher neuralgischer Punkt für Korruption. Nun soll die Institution selbst Vorschläge machen - etwa mehr Schalter oder ein Nummernsystem mit einer Reihung der Fälle, um Willkür einzuschränken.“

Die Korruption blüht vor allem im Gesundheits- und Bildungswesen. Dazu sagt der Politologe Zoran Stojiljkovic:

„Bei uns werden Diplome gekauft; obwohl der Bildungssektor einem Supermarkt gleicht, hat sich der Staat zurückgezogen und kontrolliert und nostrifiziert nicht ausreichend Bildungsprogramme; so hat man eine Inflation an Diplomen und eine blamable Situation, dass die höchsten Amtsinhaber des Staates, Masterstudien oder Doktorate vorweisen; doch es gibt keinen einzigen Schulkameraden, der mit ihnen bei einer Prüfung gesessen ist. Wir schulen zwar unsere besten Kinder an ausländischen Universitäten, doch hier regieren Leute mit gekauften Diplomen.“

Hinzu kommt die Parteibuchwirtschaft, die alle Lebensbereiche durchdringt. All diese Faktoren führen dazu, dass Serben Fachleute in ausreichender Zahl fehlen, um etwa Kredite für die Modernisierung der Landwirtschaft abzurufen, die die Weltbank bereits vor Jahren gewährt hat. Serbien wird es daher schwer haben, all die EU-Mittel zu nutzen, die künftig aus Vorbeitrittsfonds abrufbar sein werden. Dieses Geld braucht Serbien aber dringend, um seine Attraktivität als Investitionsstandort zu erhöhen. Dazu sagt der Journalist Milan Culibrg:

„Für eine rasche wirtschaftliche Gesundung braucht Serbien pro Jahr zwei bis drei Milliarden Euro an ausländischen Direktinvestitionen. Ohne diesen Zustrom wird Serbiens Wirtschaft weiter stagnieren, und zwar mit einem Wirtschaftswachstum von bis zu zwei Prozent. Wenn man den enormen Rückgang der Wirtschaftsleistung in den 90iger Jahren durch Sanktionen und NATO-Krieg und die internationale Finanzkrise berücksichtigt, dann wird Serbien auch in den kommenden 30 bis 40 Jahren die Wirtschaftsleistung pro Kopf seiner Bevölkerung nicht erreichen, die im Jahre 1989 vorhanden war.“

Dem Konkurrenzdruck aus der EU wird Serbien noch lange Zeit nicht gewachsen sein; gemessen an den enormen innenpolitischen Herausforderungen dürfte das Kosovo-Problem somit weit leichter zu bewältigen sein als die vielen tiefgreifenden Reformen, die Belgrad auf seinem Weg Richtung Brüssel noch bevorstehen.

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