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Interview mit Serge Brammertz

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Berichte Serbien
Auszüge daraus sind im MiJ erschienen.

20 Jahre gibt es bereit das Haager Tribunal und in dieser Zeit sind 161 Kriegsverbrecher des ehemaligen Jugoslawien vor Gericht gestellt und zum großen Teil auch bereits abgeurteilt worden. So wichtig das Tribunal war, so schwer wiegen die Vorwürfe, die nun ein dänischer Richter gegen den Präsidenten des Gerichtshof Theodor Meron erhoben hat. Die Rede ist von politischer Einflussnahme auf Urteile zweiter Instanz, mit der langjährige Haftstrafen, die die erste Instanz gegen einen kroatischen und einen serbischen General verhängt hatte, in Freisprüche umgewandelt wurden. Hinzu kommt ein umstrittener Freispruch erster Instanz für zwei serbische Geheimdienstchefs, die Sondereinheiten aufstellten und finanzierten, die in Bosnien Kriegsverbrechen verübten. Theodor Meron hat ein Interview zu diesen Vorwürfen abgelehnt. Gesprächsbereit war aber der Chefankläger des Tribunals, Serge Brammerts, der im folgenden Exklusiv-Interview mit unserem Balkan-Korrespondenten Christian Wehrschütz auch zur Zukunft der Internationalen Strafjustiz Stellung nimmt.

CW: Sehr geehrter Herr Brammertz, das Haager Tribunal war in der jüngsten Vergangenheit wegen mehreren umstrittenen Urteile doch starker öffentlicher Kritik ausgesetzt, dazu zählen die Freisprüche für den früheren jugoslawischen Generalstabschef Momcilo Perisic einen Serben und für den General Ante Gotovina einen Kroaten. In beiden Fällen verhängte der Senat erster Instanz hohe Haftstrafen 27 Jahre für Perisic und 24 Jahre für Gotovina und in zweiter Instanz wurden beide freigesprochen wobei die Urteile Mehrheitsentscheidungen waren. Wie sind derartig enorme Abweichungen möglich, zwischen erster und zweiter Instanz?

SB: In beiden Fällen hat es Prozesse von mehr als zwei Jahren gegeben, die über 100 Zeugen, zahlreichen Dokumenten, Videoaufnahmen, die in der ersten Instanz die Richter überzeugt haben, dass die für die Straftaten verantwortlich sind, sowohl in dem Verfahren gegen Gotovina Markac als auch im Persisic Verfahren. In boven Instanz hatte es in der Tat eine Mehrheit von Richter anderes gesehen, wir sind auch mit diesen Entscheidungen sehr, sehr unglücklich. Wir sind der Meinung, dass in beiden Fällen diese Berufungsurteile nicht der Realität der Beweisaufnahme entsprechen, und wir sind auch der Meinung insbesondere in Perisics Verfahren, dass die rechtliche Argumentation nicht im Einklang mit unsrer eigenen Jurispondenz ist, aber auch nicht, denken wir unterstützt wird, durch die internationale Rechtsprechung im Allgemeinen. Es gibt eine rechtliche Möglichkeit eine Wiederaufnahmeverfahren zu starten, die Voraussetzungen sind sehr schwierig, wir müssten dafür neue Beweismittel finden, die nicht zur Verfügung standen während der ersten Verfahren, und so weit sind wir noch nicht, also das ist eh die Ausnahme und zu heutigem Standpunkt eh unwahrscheinlich als wahrscheinlich.

CW: Der dänische Richter des Haager Tribunals Frederik Harhoff hat in einem offenen Brief die Urteile zu Gotovina und Persisic massiv kritisiert, angeklungen ist sogar der Vorwurf politischer Einflussnahme auf den aus den USA stammenden Präsidenten Theodor Meron. Bedeuten die Freisprüche für Perisic und Gotovina aus Ihrer Sicht eine Änderung der Spruchpraxis des Tribunals im Vergleich zur früheren Fällen und früheren Urteilen.

SB: Ja ich denke schon, dass die Rechtsprechung sich in den letzten Jahren des Gerichts durch diese spezifische Entscheidung geändert hat. Das ist auch die These, die wir vertreten haben in zwei anderen Berufungsverfahren, die zu Zeit laufen, wo wir beantragt haben, dass die Perisis Rechtsprechungen nicht berücksichtigt wird, also keine konstante Rechtsprechung des Gerichts wird.

CW: Perisic war Generalstabschef der jugoslawischen Streitkräfte und er war auch dafür zuständig die bosnischen Serben zu versorgen. Der Freispruch erfolgte mit der Begründung, dass Perisic nicht beabsichtigt hat, dass dieser Nachschub von den bosnischen Serben für Verbrechen verwendet wird. Was bedeuten derartige Freisprüche möglicherweise für andere Offiziere, Soldaten, die im Kriegseinsatz sind?

SB: Es ist in der Tat so, dass es bisher ausreihend war um eine Verurteilung zu erwirken, dass jemand maßgeblich eine Partei im Konflikt unterstützt, wissend, dass diese Partei Straftaten begeht. Was jetzt die Apellationskammer zusätzlich gefragt hat ist nicht nur, dass man maßgeblich unterstützt, dass man wissend hatte Straftat begangen werden, man muss quasi die Begehung von Straftaten in Auftrag gegeben haben, zeitgleich mit der Unterstützung, die man geliefert hat. Und das ist etwas was eigentlich vorher überhaupt nicht verlangt wurde. Sollte diese Rechtsprechung standhalten dann wird es in der Tat schwieriger sein in der Zukunft diejenigen zu verurteilen, die eben nicht vor Ort sind wo die Straftaten begangen worden und diejenigen, die von einem sicheren Ort eine materielle Unterstützung liefern, wissend, dass damit die Straftaten begangen werden.

CW: Bei einer Rede am ersten Juli in Den Hag haben Sie gesagt ich zitiere: " Ich glaube an die internationale Gerechtigkeit in den zehn Jahren, in denen ich im Haager Tribunal gearbeitet habe nicht gestärkt wurde." Was hat Sie zu dieser Feststellung veranlasst?

SB: Wenn ich sehe, welche Probleme Strafgerichthof zu Zeit hat, wo die meisten Flüchtigen nicht festgenommen wurden, wenn ich sehe, welche Probleme das Libanontribunal hat, wenn ich sehe, dass das Ruandatribunal, das seit 20 Jahren besteht, immer noch acht Flüchtige hat, dann denke ich schon, dass man akzeptieren muss, dass die internationale Justiz nicht als vollfunktionierende angesehen werden kann und natürlich habe ich mich auf unser Gericht bezogen denn, was diese Urteile sicherlich auch zeigen ist, dass die Rechtsprechung, oder das Recht, das in dem Haag gesprochen wird, in den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens nicht verstanden wird. Und man muss sich dann der Disposition stellen, was für eine internationale Justiz haben wir, wenn sie von denjenigen für die sie eigentlich geschaffen wurde nicht mehr verstanden wird und ich habe eigentlich dafür plädiert, dass man viel besser erklären muss und erklären sollte, was hier in Den Hag gemacht wird.

CW: Es gibt auch das Hochgerichte wie das Haager Tribunal für das ehemalige Jugoslawien, es gibt das Tribunal wegen des Genozids in Ruanda, es gibt Sondergericht für Sergio Leone und es gibt ein internationaler Strafgerichthof in dem Hag, dem sich USA; Russland und die China nicht unterworfen haben. Was sind die Wirkungen dieser Gerichthöfe, oder anders gefragt: „Ist es heute schwerer als vor 20 Jahren Kriegsverbrechen zu begehen und ungeschoren davon zu kommen.

SB: Das ist eine gute Frage und jedes Gericht hat natürlich seine eigene Geschichte und seine eigenen Probleme. Was ich eigentlich denke, ist dass es in der Zukunft weniger Nationaljustiz geben wird und nicht mehr, obwohl es umgekehrt sein müsste. Einer der Gründe warum der internationaler Strafgerichtshof geschaffen wurde ist, dass man kein Ad -hock Gericht mehr haben wollte. Man wollte nicht mehr nach einem Konflikt ein Gericht schaffen sondern wollte sofort funktionstüchtig sein. Und in den nächsten 3 bis 4 Jahren werden alle diesen anderen Gerichten, die Sie angesprochen haben, werden ihre Türen schließen, weil ihre Aufgaben erfüllt sind, und das internationale Strafgerichtshof wird das einzige internationale Gericht bleiben, und in Anbetracht der Tatsache, dass auch der internationale Strafgerichtshof begrenzte finanzielle Mittel und begrenzte personelle Mittel hat, wird also die Anzahl der Verfahren, die dort geführt werden können, relativ gering sein. Die Entwicklung ist leider Gottes, denke ich, dass es in der Zukunft weniger internationale Justiz gibt und nicht mehr, und das bedeutet natürlich, dass die nationalen Gerichte ein größere Teil der Arbeit machen müssen. Wir investieren zum Beispiel als Gericht sehr stark in justizielle Kapazität im ehemaligen Jugoslawien, insbesondere in Bosnien, wo wir zusammen mit den bosnischen Staatsanwälten an einer Reihe von Projekten arbeiten um die Kapazitäten dort zu verstärken. Wir haben Verbindungsstaatsanwälte aus Serbien, Kroatien und Bosnien integriert in unsere eigenen Behörde um eben den Zugang zu unseren Datenbank zu erleichtern, denn wir haben zum Beispiel in unsere Anklagebehörde 9 Millionen Seiten von Dokumenten in Bezug auf den Konflikt im ehemaligen Jugoslawien. Und wir hoffen natürlich, dass diese Dokumente in den folgenden Jahren von den Kollegen genutzt werden können.

CW: Jugoslawien liegt in Europa, aufgrund der Massenverbrechen dort musste der Westen reagieren, Afrika auf der anderen Seite liegt weit weg und auch dort hat man den Eindruck, dass nur jene Potentaten eigentlich zum Handkuss kommen oder vor Gericht kommen, die den Schutz von irgendeiner Supermacht verloren haben. Gilt für die internationale Strafjustiz nicht doch noch immer der Spruch: "Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen außer sie haben sich mit einer Supermacht verscherzt."

SB: Man kann sicherlich nicht zufrieden sein mit heutiger Situation und ein internationaler Strafgerichtshof, der zuständig ist mittlerweile für 123 Länder, ist natürlich nicht ausreichend, wir brauchen eine einzige internationale Justiz, die für alle Länder gleich angewandt werden muss. Aber trotzdem zwischen 1945 und Nürnberg-Gerichten und der Schaffung des Jugoslawiens Tribunals, hat es 45 Jahren überhaupt nichts gegeben und seit der 90er Jahren hat es dann doch eine Reihe von Gerichten gegeben: das Jugoslawien Tribunal 1994, Ruanda Tribunal, später Sergio Leone -Tribunal, Kambodscha -Tribunal, Libanon- Tribunal und dann der permanente Strafgerichthof, also ich denke schon, dass es eine sehr positive Entwicklung gegeben hat. Ist es ausreichend? Nein. Aber es ist sicherlich in die richtige Richtung.

CW: Wie kann man daran arbeiten, dass auch Großmächte und der Dommächte bereit sind zumindest ihre Soldaten, wenn sie im Ausland im Einsatz sind einer nationalen Justiz zu unterwerfen, denn viele derartige Verfahren selbst, wenn sie dann im Land überhaupt stattfinden, sind nicht sehr zufriedenstellend.

SB: Das Grundprinzip des Internationalen Strafgerichtshofs ist natürlich die Komplementarität d. h. der Strafgerichtshof kann nun dann tätig werden, wenn nationale Justiz ihre Arbeit nicht macht und man müsste ja davon ausgehen, dass wenn in den meisten westlichen Ländern die Justiz ihre Arbeit machen würde, sollte es zu Straftaten kommen, die durch ihre Soldaten begangen werden, insofern denke ich, dass das schon Mal ein Grund ist warum auch die Großmächte nicht davon zurückschrecken sollten dem Strafgerichthof beizutreten und ich denke, dass der internationale Gerichthof hoffentlich durch die Arbeit in den nächsten Jahren zeigen wird, dass es eben keine politische Justiz ist, das es nämlich eine objektiv Justiz ist, die sich von Fakten leiten lässt und nicht von politischen Mächten, aber wie gesagt, ich sehe noch nicht in der nahen Zukunft, die Großmächte, die sie angesprochen haben dem Strafgerichtshof beitreten.

CW: Kehren wir zum Schluss noch einmal zum Haager Tribunal zurück 2 spektakuläre Fälle sind noch anhängig gegen zwei bosnischen Serben Ratko Mladic und Radovan Karadzic, die beide auch wegen des Massakers in Srebrenica angeklagt sind. Für wann sind die Urteile erster Instanz zu erwarten, wie laufen diese Verfahren?

SB: In dem Karadzic Verfahren sind wir in der letzten Phase der Hauptverhandlung. Karadzic trägt seine Verteidigung zu Zeit vor. Wir gehen dann im Prinzip davon aus, dass vor Jahresende das Verfahren abgeschlossen werden kann und dann werden die Richter natürlich einen Monat brauchen um ein Urteil zu schreiben. Ich denke, dass ein Urteil irgendwann Ende nächsten Jahres zu rechnen wäre. Im Mladics Verfahren würden wir die Anklage nach dem Sommer abschließen werden, und dann wird Mladic natürlich seine Verteidigung vorbereiten müssen, wir wissen nicht, wie viele Zeuge er aufrufen wird, wie lange dies in Anspruch nehmen wird, also wir denken, dass doch noch ein oder 2 Jahre dauern wird bevor wir dieses Verfahren abgeschlossen werden können.

CW: Das Haager Tribunal nimmt keine neuen Fälle mehr an, damit sind aber Prozesse gegen mutmaßliche Kriegsverbrecher im ehemaligen Jugoslawien nicht erledigt. Wie beurteilen Sie denn die Aktivitäten der nationalen Gerichte in Kroatien, Bosnien und Serbien. Sieht man hier den Willen dass hier etwas passiert?

SB: Es hat ja sicherlich in den letzten 5 bis 6 Jahren eine positive Entwicklung gegeben, die sicherlich mehr sichtbar ist in Kroatien und in Serbien als in Bosnien. Was auch natürlich darauf zurückzuführen ist, dass der Großteil der Straftaten in Bosnien begangen worden ist und der Großteil der Straftaten sich befindet, und ich spreche hier von einer viel größeren Anzahl. Also in Serbien und in Kroatien haben wir sehr gute und sehr interessante Fortschritte gesehen, auch wenn noch einiges im Augen liegt und noch viel Arbeit auf den Kollegen im Zukunft. Größere Probleme sind in Bosnien, wo es eine nationale Kriegsverbrechenstrategie gegeben hat seitens der Regierung um innerhalb der nächsten 14 Jahre doch alle verbleibenden Fälle aufzuarbeiten. Man hat hier schon sehr große Verspätungen, es werden ja nur noch wenige Duzend Verfahren jedes Jahr geführt, wo es noch Verfahren gibt in Bezug auf mehr als 2000 potenzieller Straftäter, wenn dann nicht was passiert, wenn dann die soziale Gemeinschaft nicht stärker eingreift wird es da Jahrzehnte dauern bevor die verbleibenden Verfahren aufgearbeitet werden, da ist die Herausforderung immer noch sehr, sehr, groß und wir versuchen eben hier die Altanklagebehörde in den Haag alles zu tun um unsere Kollegen vor Ort diesbezüglich zu unterstützen.

CW: Herr Brammertz wir danken für das Gespräch.

SB: Gern geschehen.

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