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Zehn Jahr nach dem Mord an Zoran Djindjic

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Vor zehn Jahren, am 12. März des Jahres 2003, wurde Zoran Djindjic in Belgrad im Hof der Regierung von einem Scharfschützen ermordet. Djindjic war der erste demokratisch gewählte Ministerpräsident Serbiens seit dem Zweiten Weltkrieg und der gleichzeitig der Mann, dem Serbien den unblutigen Sturz des Autokraten Slobodan Milosevic im Oktober 2000 verdankt. In gewisser Weise war Zoran Djindjic der Anti-Milosevic; er wollte Serbien so rasch wie möglich modernisieren und an die Europäische Union heranführen. Daher wollte Djindjic nicht nur mit der Organisierten Kriminalität aufräumen, sondern trotz aller nationalistischen Widerstände mit dem Haager Tribunal zusammenzuarbeiten. Seine Mörder waren denn auch eine Mischung aus Organisierter Kriminalität und Sonderpolizisten, die in den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien nicht nur Verbrechen verübten, sondern auch politische Gegner des Milosevic-Regimes liquidierten. Dazu zählt schließlich auch der Reformer Zoran Djindjic, über dessen Ermordung unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz bereits vor zehn Jahren aus Belgrad berichtete. Für den folgenden Beitrag hat er mit vielen ehemaligen Weggefährten von Zoran Djindjic gesprochen, die ambivalente Rolle des Westens gegenüber Djindjic beleuchtet, und ist auch der Frage nachgegangen wie sehr Djindjics Tod nicht nur die Modernisierung Serbiens, sondern die Stabilisierung des Balkan um viele Jahre verzögert hat.

Am 12. März 2003 gegen 12 Uhr Mittag erschoss Zvezdan Jovanovic, Angehöriger der Polizei-Sondereinheit der Roten Barette, mit einem Scharfschützengewehr Zoran Djindjic als er über den Hintereingang das Regierungsgebäude betreten wollte. Um 1330 wurde Djindjics Tod offiziell bekannt gegeben. Serbien stand unter Schock. Die Regierung reagierte entschlossen; sie verhängte den Ausnahmezustand und eine Verhaftungswelle setzte ein. Für das Attentat verantwortlich gemacht wurden der Mafia-Klan von Zemun und Angehörige der Roten Barette, die vom ehemaligen Fremdenlegionär Milorad Ulemek, Spitzname Legija, geführt wurden. Dass die Regierung so rasch reagieren konnte, verdankte sie Zoran Djindjic, der die Abrechnung mit der Organisierten Kriminalität weitgehend vorbereitet hatte. Dazu sagt Djindjics ehemalige Sozialministerin Gordana Matkovic:

„Ersten beschloss Djindjic, als Gegengewicht zu den Roten Baretten die Gendarmerie aufzustellen, und es fehlte nur eine Woche, dass diese Sondereinheit völlig einsatzfähig gewesen wäre. Zweitens hätte sein Gefolgsmann Zoran Zivkovic Verteidigungsminister werden sollen, und zur Ernennung fehlten nur einige Tage. Dann hätte man unter einem Dach die Kontrolle über die verschiedenen Geheimdienste zusammenfassen können. Und drittens ging es um die Schaffung einer Kronzeugenregelung.“

Diese Maßnahmen blieben den Roten Baretten und dem Mafia-Klan von Zemun nicht verborgen; sie verübten am 21. Februar 2003 mit einem Klein-LKW einen Anschlag auf die Wagenkolonne des Ministerpräsidenten, der jedoch an der Geistesgegenwärtigkeit von Djindjics Fahrer scheiterte. Am 27. Februar sagte Zoran Djindjic in einer Pressekonferenz zum Kampf gegen die Organisierte Kriminalität:

„Bis jetzt hatten wir eine Polizei, die nur über katastrophale technische Möglichkeiten verfügte. Auf der anderen Seite stand eine Organisierte Kriminalität mit enormer Machtfülle, um zu drohen, zu erpressen oder zu bestechen. Das war ein ungleicher Kampf. Doch mit der Institution eines Sonderanklägers bekommen wir ein Instrument, um auf effiziente Weise dem entgegenzuwirken. Und wenn wir jetzt einige Kronzeugen bekommen, werden wir die Chance haben, dieses letzte Atommülllager in unserem Land zu beseitigen. Ich bin Optimist, und erwarte, dass in den kommenden 14 Tagen etwas geschehen wird.“

Zoran Djindjic verlor - knapp aber doch - den Wettlauf mit der Zeit, vor allem weil der Sicherheitsapparat bei seinem Schutz auf schon kriminell anmutende Weise versagte. Der Prozess gegen die Haupttäter ließ keine Zweifel an deren Urheberschaft und Motiven offen – Nein zum Haager Tribunal, Angst vor Verhaftung und Auslieferung an Den Haag. Unklar ist, was sich die Attentäter für die Zeit nach dem Mord erwarteten. Dazu sagt Zarko Korac, der im Kabinett Djindjic einer der stellvertretenden Ministerpräsidenten war:

„Zoran Djindjics Popularität war damals sehr gering, weil gegen ihn eine Medienkampagne geführt wurde als wäre er ein einfacher Krimineller. So dachten die Attentäter, man ermordet den Imperator und das Volk von Rom wird dann auf die Straßen strömen und Bravo rufen. In diesem Irrglauben hat jemand die Attentäter bestärkt, ihnen wahrscheinlich Amnestie versprochen und sich gleichzeitig darauf vorbereitet, Djindjics Platz einzunehmen. Der das alles wissen kann, ist Milorad Ulemek Legija, doch der wird nicht reden, weil er sich vor diesen Leuten offensichtlich viel mehr fürchtet als vor seiner Haft im Gefängnis."

Spekulationen und Indizien, die zu ehemaligen serbischen Spitzenpolitikern führen, gibt es viele, doch Beweise fehlen. Klar äußern sich einige von Djindjics ehemaligen Mitstreitern aber zur Frage, wer das Attentat in Auftrag gegeben haben könnte. Dazu zählt Zoran Zivkovic, der nach dem Anschlag Ministerpräsident wurde; Zoran Zivkovic:

„Der Milosevic-Klan hatte das größte Motiv, um Zoran Djindjic zu ermorden. Der Milosevic-Klan hatte auch die beste Kommunikation mit den Attentätern, und das meiste Geld, um ein Attentat zu bezahlen. Natürlich kann ich das nicht beweisen, doch wenn wir uns nur Motive und Möglichkeiten anschauen, dann bin ich sicher dass dahinter der Milosevic-Klan stand. Dieser umfasste vor allem die Familie Milosevic aber nicht nur; denn da gab es auch noch ihre Verbindungsleute in Institutionen und Parteien in Serbien.“

Milosevics Auslieferung an das Haager Tribunal am 28. Juni 2001 war wohl der schwerste politische Kraftakt, den Zoran Djindjic als Ministerpräsident vollbringen musste. Am Streit um die Auslieferung zerbrach die Anti-Milosevic-Koalition, doch Djindjic sah angesichts des massiven westlichen Drucks keine Alternative. Djindjic verwies aber auch auf den 28. Juni, den Jahrestag der Schlacht auf dem Amselfeld, den Tag an dem Milosevic 1989 seine berüchtigte Rede im Kosovo hielt; Zoran Djindjic sagte:

„Genau vor 12 Jahren an diesem Tag, dem Veitstag, dem größten serbischen Feiertag, rief Slobodan Milosevic unser Volk auf, das zu verwirklichen, was er die Ideale des himmlischen Serbien nannte. Das führte zu 12 Jahren Krieg, Katastrophen und zum Niedergang unseres Landes. Die serbische Regierung hat sich heute verpflichtet, die Ideale des irdischen Serbien zu verwirklichen; und zwar nicht so sehr wegen uns, sondern wegen der Zukunft unserer Kinder.“

Zur Festigung seiner Macht hätte Djindjic eine politische Atempause gebracht. Doch der Druck des Westens ließ nicht nach, der Widerstand in Serbien wuchs und die Popularität Djindjics sank. Dazu sagt Gordana Matkovic:

„Ich war bei einem Gespräch mit Kofi Annan dabei, das knapp nach der Auslieferung von Milosevic stattfand. Und die erste Frage, die der UNO-Generalsekretär stellte, war: „Wo ist Ratko Mladic“. Ich denke nicht, dass er uns hätte danken sollen wegen Milosevic, denn wir waren keine Kinder; doch das war seine erste Frage, und das zeigt mir die fehlende Bereitschaft des Westens zu verstehen, wie zerbrechlich die Lage war, wenn es überhaupt ein Interesse gab, diese Regierung und Serbien im wahren Sinne des Wortes zu unterstützen.“

Ein weiteres Beispiel für die fragwürdige Politik des Westens bildet der Kosovo. Knapp vor seiner Ermordung ergriff Zoran Djindjic eine Kosovo-Initiative, doch der Westen blockte ab. Bei der Lösung des Problems sollte Gordana Matkovic eine wichtige Rolle spielen:

„Djindjic sah vor allem zwei Dinge klar: erstens musste diese Frage gelöst werden, damit sie Serbiens Reformweg nicht sehr verzögert; zweitens würde uns eine Lösung aufgezwungen werden, wenn wir uns nicht selbst aktiv dieser Frage widmen sollten. Ein Interesse bestand auch auf der Seite des Kosovo. Für uns ging es auch um Pensionsansprüche von Serben, die aus dem Kosovo geflohen waren. Daher wurde ich zum Chef des Verhandlungsteams ernannt; das erste Gespräch in Pristina hätte bereits am 15. März stattfinden sollen, doch Zoran wurde am 12. März ermordet.“

Zwar verhandeln die Ministerpräsidenten des Kosovo und Serbiens derzeit in Brüssel über eine Normalisierung der Beziehungen, doch bis heute hat kein serbischer Minister Pristina besucht; auch das ist ein Zeichen dafür, wie viel Zeit Serbien und der Balkan durch den Mord vor zehn Jahren verloren haben. Denn damit scheiterte der große Sprung vorwärts, den Zoran Djindjic für Serbien erstrebte. Seine Demokratische Partei ist nach ihrer Wahlniederlage im Vorjahr in der Krise, und nun haben ausgerechnet Milosevics Epigonen, Sozialisten und ehemalige Ultranationalisten, die Aufgabe, das Kosovo-Problem zu lösen und Serbien an die EU heranzuführen. Beim Staatsbegräbnis in Belgrad am 15. März gaben Hunderttausende Serben Zoran Djindjic das letzte Geleit und ein Passant sprach die wohl historisch gültige Würdigung:

„Ich bin sehr traurig, dass das passiert ist. Das wirft uns zehn Jahre zurück. Schwierig wird das auch mit ausländischen Investitionen. Der Mann hat sehr viel für unser Land geleistet.“

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