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Serbiens neue Regierung: Alter Wein in neue Schläuche?

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In Serbien dürfte bereits in der kommenden Woche die neue Regierung gebildet werden. Damit steht die politische Wende unmittelbar vor dem Abschluss, die mit den Wahlen Anfang Mai begann. Während die Parlamentswahlen keine klaren Mehrheiten brachten verlor Boris Tadic Mitte Mai die Stichwahl um das Präsidentenamt gegen den früheren Ultranationalisten Tomislav Nikolic. Diese Niederlage leitete die Wende bei der Regierungsbildung ein; denn Tadic, der auch Vorsitzender der bisher dominierenden Regierungspartei DS ist, scheiterte bei den Koalitionsverhandlungen mit seinem bisherigen Partner, dem Wahlbündnis unter Führung von Innenminister Ivica Dacic von der Sozialistischen Partei. Während Tadic und die DS nun in die Opposition gegen müssen, wird Ivica Dacic nun Ministerpräsident einer Mehrparteien-Regierung, deren stärkste Kraft die SNS, die Serbische Fortschrittspartei, ist. Sie wurde von Tomislav Nikolic vor fast vier Jahren als Abspaltung von den Ultranationalisten gegründet. Nach seinem Sieg bei der Präsidentenwahl legte Nikolic den Parteivorsitz nieder, den nun sein Stellvertreter Alexander Vucic innehat. Vucic wird nun auch einer der wichtigsten Politiker in Serbien sein; was von ihm und der neuen Regierung zu erwarten sein wird, darüber berichtet unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz:

In Belgrad unterzeichneten Anfang Juli fünf Politiker den Pakt für eine neue Regierung und besiegelten damit die politische Wende in Serbien. Für die Fortschrittspartei SNS unterschrieb ihr geschäftsführender Obmann Alexander Vucic und für das Bündnis der Regionen Mladjan Dinkic; die übrigen drei Unterzeichner vertreten einen Block, den die Sozialisten unter Ivica Dacic mit der Pensionistenpartei und einer Regionalpartei bilden. Bereits diese Konstellation deutet auf politische Kontinuität hin, weil abgesehen von der SNS alle Unterzeichner der alten Regierung angehört haben. Hinzu kommt noch eine Kleinpartei, die zur Wahl sogar in einer Listengemeinschaft mit der DS von Boris Tadic antrat, nun aber die Seite wechselte. Neu in der Regierung ist somit nur die SNS, die als stärkste Kraft die DS ersetzt. Für Kontinuität spricht auch der Koalitionspakt, der das Ziel einer EU-Mitgliedschaft Serbiens festschreibt. Mit einer weiteren EU-Annäherung rechnet auch der Meinungsforscher Srdjan Bogosavljevic:

„Die Botschaften gehen dahin, dass wir eine gewisse Kontinuität erwarten können. Das betrifft auf jeden Fall das Bekenntnis zur pro-europäischen Politik. Doch es sieht danach aus, dass das sogar ernst gemeint ist; so wurde Milica Delevic, die das Büro für EU-Integration führt und auch in Brüssel sehr bekannt ist, angeboten, im Amt zu bleiben oder sogar Außenministerin zu werden. So besteht offensichtlich bei der Koalition nicht die Absicht, von diesem europäischen Weg abzuweichen.“

Der Beruhigung des Westens dienten auch Besuche in Berlin und Washington, die Vucic und Dacic jüngst absolvierten. Dacic war einst Pressesprecher der Milosevic-Sozialisten, Vucic und der neue Staatspräsident Tomislav Nikolic waren bis 2008 Ultranationalisten. Dacic trug als Innenminister die Auslieferung der mutmaßlichen Kriegsverbrecher Radovan Karadzic und Ratko Mladic mit und bewies seine Bereitschaft zum Wandel. Dieser Test steht Vucic noch bevor. Der 42-jährige könnte Verteidigungsminister werden und für die Koordination der Geheimdienste zuständig sein. Nach seiner Rückkehr aus den USA sprach Vucic von sehr schweren Entscheidungen, die in der Kosovo-Frage bevorstünden. Und Nikolic bekannte, dass er als Präsident nie mehr über die Kosovo-Hauptstadt Pristina regieren werde. Bereit ist er zu Gesprächen mit der Kosovo-Führung. Derartige Aussagen waren vom ehemaligen Präsidenten Boris Tadic nicht zu hören. Mehr Realismus in der Kosovo-Frage schließt auch Zoran Zivkovic nicht aus; er war nach der Ermordung von Zoran Djindjic im März 2003 Ministerpräsident. Zoran Zivkovic:

„Wenn etwas Hoffnung gibt, dass die neue Regierung vielleicht etwas besser machen wird, dann sind das diese Aussagen von Tomislav Nikolic; wenn jetzt die Internationale Gemeinschaft ebenfalls Gespräche auf der Ebene der Präsidenten oder der Regierungen befürwortet, dann bedeutet das sicher, dass von Belgrad eine größere Verantwortung übernommen wird; das wäre auch ein logischer Weg zu Ergebnissen, denn auf dieser Ebene sind Vereinbarungen möglich.“

Zwar lehnt auch die neue Koalition eine Anerkennung des Kosovo ab; doch das verlangen EU und USA derzeit gar nicht; beiden geht es um eine Normalisierung der Beziehungen. Dazu könnte eine echte Chance bestehen, vermutet der konservative Publizist Djordje Vukadinovic:

„Auch in diesem Fall könnte sich die alte These bestätigen, wonach konservative und rechte Regierungen bei nationalen Fragen leichter Zugeständnisse machen können, weil sie ein anderes Image haben als linke oder liberale Regierungen. So denken viele in internationalen Kreisen, und daher war man nicht gegen Tomislav Nikolic als Präsident. Vielleicht gab es auch inoffizielle Zusagen, doch auf jeden Fall besteht diese Erwartung, dass Nikolic und die SNS beim Kosovo viel nachgiebiger sein könnten als die DS und vor allem Präsident Boris Tadic.“

Viele offene Fragen bestehen aber auch mit anderen Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien. Nikolic, Dacic und Vucic treten hier ein schweres Erbe an, das durch ihre politische Vergangenheit wohl noch schwerer wird. Doch auch gegenüber den Nachbarn erwartet Zoran Zivkovic keine Verschlechterung der Beziehungen:

„Die Chance liegt gerade darin, dass von Tomislav Nikolic sehr wenig erwartet wird; da könnte er uns überraschen, doch das werden wir erst sehen, wenn die Regierung mit ihrer Arbeit beginnt. Sicher ist, dass die Prioritäten klar in der Innen- und nicht in der Außenpolitik liegen werden. Denn die Probleme sind derart gewachsen, dass der größte Teil der Energie der Regierung darauf gerichtet sein muss. Die Außenpolitik gegenüber der Region wird das Ziel haben, nichts zu beschädigen; so wie es jetzt ist, ist es zwar nicht ausgezeichnet, doch man wird nichts beschädigen wollen.“

Gegen politische Abenteuer spricht die katastrophale wirtschaftliche Lage, die ohne EU, Internationalen Währungsfonds und Weltbank nicht zu meistern ist. Verschuldung und Budgetdefizit steigen rasant, jeder Vierte ist arbeitslos, und jeder Vierte der 1,6 Millionen Pensionisten muss mit einer Rente von 140 Euro im Monat sein Leben fristen. Fraglich ist, ob so unterschiedliche Akteure wie die Pensionistenpartei und der wirtschaftsliberale Mladjan Dinkic, der als Vertreter der Tycoons in der Regierung gilt, konsistente Reformen zustande bringen. Äußerst skeptisch ist der Wirtschaftsexperte Vladimir Gligorov:

„Derzeit kann ich nicht sehen, dass das eine stabile Regierung mit einem stabilen Programm sein wird; denn das, was sie bisher vorgelegt haben, das ist nichts. Das ist sehr kompliziert, weil der künftige Wirtschaftsminister Mladjan Dinkic Verpflichtungen gegenüber großen Unternehmen hat; doch er will auch nicht die Pensionen oder die Gehälter kürzen oder die Steuern erhöhen. Anderseits will er den Gemeinden mehr Geld geben. Alles zusammen ist unmöglich; so kann das weder in wirtschaftlicher noch in politischer Hinsicht funktionieren, wobei sich die stärkste Regierungspartei, die SNS, noch überhaupt nicht geäußert hat, was sie eigentlich will.“

Denn das zentrale Thema der SNS in einem inhaltsleeren Wahlkampf war der Kampf gegen die Korruption; gerade dieser Kampf könnte durch die politische Kontinuität sehr erschwert werden, befürchtet der Publizist Djordje Vukadinovic:

„Fraglich ist, was aus der pompös angekündigten Verschärfung des Kampfes gegen die Korruption wird? Denn zwei Drittel der ehemaligen Regierung gehören wieder dem Kabinett an. Daher rechne ich auch hier mit mehr Rhetorik als konkreten Taten, doch immerhin ist das der einzige Bereich, wo die Regierung punkten kann. Vielleicht kommt es zur Verhaftung ehemaliger Politiker oder Unternehmer, die der Vorgänger-Regierung angehörten oder ihr nahestanden.“

Die Ministerliste soll bis Montag feststehen. Im Parlament mit seinen 250 Sitzen dürfte die Koalition über etwa 140 Mandate verfügen. Derzeit verhandeln Dacic, und Vucic noch mit Kleinparteien. Durch eine breite Mehrheit sollen die dominanten Parteien politisch schwerer erpressbar sein. Im Parlament wird die Opposition keine große Rolle spielen. Die Ultranationalisten scheiterten bei der Wahl an der Fünf-Prozent-Hürde; und die DS von Boris Tadic wird in den kommenden Monaten nur mit sich selbst beschäftigt sein; für Reformen und für eine Wende in der Kosovo-Politik waren die Zeiten in Serbien wohl noch nie so günstig wie jetzt, denn scheitern kann die neue Regierung nur an sich selbst.

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