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Stimmenkampf um das geringere Übel

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Berichte Serbien
In Serbien werden am Sonntag alle politischen Karten neu gemischt. Denn gewählt werden der Präsident, das Parlament, die Gemeinden und das Parlament der autonomen Provinz Vojvodina. Um die Stimmen der sieben Millionen Wähler und um die 250 Sitze im Parlament werben 18 Listen; 12 Kandidaten treten zur Präsidentenwahl an. Zentrales Thema ist die triste soziale und wirtschaftliche Lage, während der Kosovo bislang kaum ein Thema war. Weitegehend außer Streit steht die EU-Annäherung, weil eine Mitgliedschaft in der EU nur mehr von nationalistischen Kleinparteien abgelehnt wird. Den Wahlkampf in Serbien verfolgt hat unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz, hier seine Bilanz

Der Kampf um Parlamentsmehrheit und Präsidentenamt ist ein Zweikampf altbekannter Rivalen. Auf der einen Seite stehen Präsident Boris Tadic und seine sozialdemokratisch orientierte Demokratische Partei, die auch die Regierung führt. Wirtschaftlich hat Tadic wenig vorzuweisen, doch er hat die Beziehung zum Kosovo normalisiert, die Zusammenarbeit mit dem Haager Tribunal beendet und für Serbien den Status eines EU-Beitrittskandidaten erhalten. Seine Anhänger beschwor Tadic im Wahlkampffinale so:

„Wir sind eine politische Organisation, deren Denken, Handeln und Orientierung nur auf die Zukunft gerichtet ist. Wir schaffen Straßen und Brücken, bieten die Hand zur Versöhnung, arbeiten mit allen zusammen, beseitigen Visa und Barrieren. Unsere Wahl ist ein europäisches Serbien, ausgesöhnt mit allen, ein prosperierendes Land mit einer realistische Politik.“

Tadics Partei führte vor allem eine Schmutzkübelkampagne gegen Tomislav Nikolic, Tadic Herausforderer um das Präsidentenamt. Der ehemalige Ultranationalist und Partner von Slobodan Milosevic hat sich zum EU-Anhänger gewandelt und führt nun eine Mitte-Rechts-Partei. In Spots der Demokraten wurde er als Wendehals dargestellt, dessen EU-Bekenntnis nicht zu trauen sei. Darauf ging Tomislav Nikolic auch in seiner Schlußkundgebung ein:

„Der Grund für diese Kampagne ist, dass sie nichts vorzuweisen haben; wenn man 200.000 neue Arbeitsplätze verspricht, doch statt dessen binnen vier Jahren 200.000 Arbeitslose mehr hat, wenn die Löhne um 20 Prozent gefallen sind, wenn 70 Prozent der Bürger einen Rückgang des Lebensstandards spüren, dass bleibt ihnen nur der Angriff auf die Opposition.“

Der Kampf um das Präsidentenamt zwischen Nikolic und Tadic wird erst in der Stichwahl in zwei Wochen entschieden werden. Nach Umfragen liegen die Parteien der beiden Rivalen relativ knapp beisammen, sind aber weit von einer absoluten Mehrheit entfernt. Das größere Koalitionspotential dürfte Tadic haben, denn er regiert seit vier Jahren mit den ehemaligen Milosevic-Sozialisten unter Innenminister Ivica Dacic. Die Sozialisten können mit dem dritten Platz rechnen, ohne sie wird keine Regierung zustande kommen, weil eine große Koalition praktisch ausgeschlossen ist. Dacic hat die Sozialisten reformiert; sie sollen eine proeuropäische Arbeiterpartei sein. Selbstbewusst verkündete Ivica Dacic:

„Serbien braucht eine friedliche Revolution, die wieder die Arbeiterklasse und das arme Volk an die Macht bringt. Wir haben uns erhoben wie ein Phönix aus der Asche. Ich habe die Partei bewahrt, ich werde auch Serbien bewahren.“

In Serbien ist der Wunsch nach neuen Politikern und Parteien groß. Ihn konnten nur wenige der 18 Parteien und 12 Präsidentschaftskandidaten befriedigen, die am Sonntag antreten. Den Wahlkampf dominierte die triste soziale Lage, der Kampf um Arbeitsplätze und Investoren. Gering blieben programmatischen Unterschiede, sieht man von Kleinparteien mit Extrempositionen zum Kosovo ab. Zur Frage, was den Ausschlag für Tadic und seine DS oder für Nikolic und seine Partei SNS geben wird, sagt der Meinungsforscher Srdjan Bogosavljevic:

„Es geht nicht darum, für wen ich bin, sondern gegen wen bin ich mehr. So gibt es Wähler, die sagen, ich habe von allem genug und will die Wende, daher stimme ich für die SNS, auch wenn ich sie nicht mag. Andererseits gibt es Wähler, die für die DS stimmen werden, weil sie denken, dass die SNS noch schlechter sein würde als die DS.“

Die Wahllokale schließen um 20 Uhr, zwei Stunden später dürften erste seriöse Ergebnisse vorliegen.

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