Serbien im Wahlkampf
Radio
Europajournal
Berichte Serbien
In Serbien müssen auch die bereits im Parlament vertretenen Parteien für ihr Wiederantreten Unterschriften sammeln. Dies gilt für alle Wahlen bis hin zur Bezirksvertretung. Und so ist der 30jährige Parlamentsabgeordnete Konstantin Samofalov auch an einem Samstag in seinem Belgrader Heimatbezirk Vracar für seine Demokratische Partei von Haus zu Haus unterwegs. Besucht werden zunächst Personen, die schon einmal Kontakt zur Partei hatten:
Guten Tag Frau Nachbarin!
Ich bin Konstantin Samofalov, ihr Parlamentsabgeordneter. Wir sammeln Unterschriften für unsere Kandidatenliste im Bezirk Vracar.
Frau:
Gut, die Demokraten regieren in Vracar schon hundert Jahre, wo ist da ein Problem, das wird wieder so sein. Wo muss ich unterschreiben.
Auf meine Frage, ob die Demokraten gut regiert haben, antwortet die Frau:
" Sie sind das geringere Übel; vor zehn Jahren hätte ich etwas anderes gesagt, heute ist es so. Vor zehn Jahr habe ich viel mehr erwartet, aber das ist nicht eingetreten. Besser sind sie als die anderen aber nicht gut."
Vracar ist einer der bürgerlichen Bezirke Belgrads und einer der Hochburgen der DS, der Demokratischen Partei. Die Enttäuschung einer Stammwählerin ist daher ein Alarmsignal. Nach vier Jahren Regierung ist die Zahl der Arbeitslosen um 250.000 gestiegen, und im Kampf gegen die Korruption und bei der Reform von Staatsbetrieben und Justiz war die DS nur mäßig erfolgreich. Die Argumentationslinie seiner Partei im Wahlkampf formuliert Konstantin Samofalov so:
„Ganz Europa wurde von einer sehr schweren Wirtschaftskrise getroffen; darauf hatten wir keinen Einfluss, und doch ist Serbien ein sehr erfolgreiches Beispiel für den Kampf gegen diese Probleme. So gingen auch in Serbien Arbeitsplätze verloren; trotzdem gelang es uns 200.000 neue Arbeitsplätze zu schaffen, doch leider hat sich die Zahl der Arbeitslosen insgesamt erhöht. Trotzdem ist auch dieses Ergebnis einigermaßen besser als in der Region.“
Dass diese Argumentation nur mäßig überzeugt, weiß die DS offenbar selbst. Im Wahlkampf wird daher jede neue Baustelle und jeder Vertrag mit einem neuen Investor in den weitgehend DS-hörigen Medien enorm aufgeblasen, auch wenn der Baubeginn für die Fabrik erst in einem Jahr ist. Zweitens bewirbt DS-Vorsitzender und Staatspräsident Boris Tadic in Fernsehspots den erreichten Status eines EU-Beitrittskandidaten für Serbien. Tadic präsentiert sich als Garant der politischen Stabilität; sein Motto: „Für eine sichere Zukunft – Boris Tadic“
Vor politischen Experimenten warnt auch Konstantin Samofalov
„Wir haben eine Opposition, die aus Politkern besteht, die in ihrer Haltung von einem Extrem in das andere fallen. Heute sind sie die größten Europäer, morgen vielleicht dagegen, gestern waren sie für die größtmögliche Annäherung an Russland. Das sind Personen, die nicht die Fähigkeit gezeigt haben, den Staat zu führen, die können in der Opposition sein.“
Gemeint ist damit die SNS, die Serbische Fortschrittspartei, unter Tomislav Nikolic und Alexander Vucic. Beide waren einst treue Diener ihres Parteivorsitzenden Vojislav Seselj, der sich seit acht Jahren wegen des Vorwurfs von Kriegsverbrechen vor dem Haager Tribunal verantworten muss. Im Herbst 2008 brachen Nikolic und Vucic mit Seselj und dessen ultranationalistischer Radikalen Partei und gründeten die SNS. Die Partei fand sich mit dem Haager Tribunal ab, bekennt ich zur EU und will eine Partei der rechten Mitte sein. Die SNS führt nach Umfragen vor der DS und im Kampf um das Präsidentenamt sollen Nikolic und Tadic gleich aufliegen. Die Wende der SNS symbolisiert auch die 29-jährige Ljubica Vasic. Sie hat Politikwissenschaften und Anglistik studiert, leitet das parteiinterne Netzwerk für EU-Integration und berät den 60ig-jährigen Nikolic in EU-Fragen. Zum Wandel ihres Chefs sagt Ljubica Vasic
„Jeder von uns hat eine Vergangenheit, doch ich glaube dass Tomislav Nikolic und Alexander Vucic nicht nur ihren Mitbürgern sondern auch der Welt bewiesen haben, dass sie Personen sind, die Serbiens Zukunft in Europa sehen und an dieser Idee konsequent festhalten, und zwar ungeachtet dessen, was im Wahlkampf gesprochen wird.“
Tomislav Nikolic selbst wirbt in seinen Wahlkampfspots für eine Wende, verweist auf die tiefe soziale Krise, und verspricht den Bürgern durch sein wirtschaftliches Programm eine sicherere und bessere Zukunft. Das Motto das bieder wirkenden Nikolic lautet: „Ein anständiges und erfolgreiches Serbien“ – Ja es ist möglich“
Wie die Versprechen im Falle eines Sieges umgesetzt werden sollen, erläutert Ljubica Vasic:
„Wir müssen vor allem ernsthafte Reformen durchführen und das betrifft zuerst den Kampf gegen Korruption und Organisierte Kriminalität. Das bedeutet auch die Rückkehr des Rechtsstaates. Wenn wir über europäische Standards sprechen wollen, dann müssen wir aufhören, sie nur zu beschließen, sondern wir müssen auch alle europäischen Prinzipien anwenden, um die Reformen so gut wie möglich durchführen zu können.“
In Serbien ist eine große Koalition zwischen SNS und DS fast ausgeschlossen. Für eine Parlamentsmehrheit brauchen beide Parteien Partner. Dabei könnte die DS die besseren Karten haben; sie regiert bereits seit vier Jahren mit der SPS, den ehemaligen Milosevic-Sozialisten unter dessen ehemaligem Pressesprecher und nunmehrigem Innenminister Ivica Dacic. Der 46-jährige Dacic dürfte mit seinem Wahlbündnis drittstärkste Kraft damit Königsmacher werden, weil ohne ihn eine stabile Mehrheit kaum erreichbar sein wird. Bei Auftritten feiert sich Dacic als Retter der Partei, der auch Serbien aus der Krise führen könne. Im Wahlkampf in Belgrad wird Dacic stets von Nedeljko Nikodijevic begleitet. Der 31jährige Jurist ist die Nummer zwei in der Belgrader SPS. Das zentrale Thema des Wahlkampfes beschreibt Nikodijevic so:
„Solang es 1,5 Millionen Arbeitslose gibt, solange wir 1,7 Millionen Pensionisten haben, und nur zwei Millionen Menschen, die arbeiten, und die all diese anderen Leute ernähren müssen, wird die Wirtschaftslage in Serbien das dominante Thema eines jeden Wahlkampfs sein.“
Das bedeutet einen großen Fortschritt im Vergleich zu vor vier Jahren; alle mutmaßlichen Kriegsverbrecher wurden ausgeliefert und das Haager Tribunal ist kein Thema mehr. Hinzu kommen die Gründung der SNS und der damit verbundene Abstieg der Ultranationalisten. Ihre Parteien vertreten nur mehr etwa 20 Prozent der Wähler, während alle wichtigen Parteien nun für den EU-Beitritt sind. Die Wende in der Parteienlandschaft leitete Ivica Dacic ein, der im Dezember 2006 den Vorsitz der Sozialisten übernahm. Dazu sagt Nedeljko Nikodijevic:
„Mit diesem Sieg begann auch die Reform in der Sozialistischen Partei; das war der erste Schritt zur großen politischen Wende im Jahre 2008 als es zur Aussöhnung zwischen der Demokratischen Partei und der SPS kam. Damals sagten wir, lasst uns alles beiseite stellen, was uns viele Jahre geteilt hat, lasst uns schauen, wie es in Serbien besser werden und wir dem einfachen Menschen helfen können. Diese Tatsache hat dazu geführt, dass Serbien heute – trotz aller seiner großen Probleme - auf dem Weg Richtung EU ist.“
Bleiben noch viele Reformen und die Lösung der Beziehungen Serbiens zum Kosovo, der im Wahlkampf bisher kaum Thema ist. Denn klare Antworten haben nur Kleinparteien mit Extrempositionen. Die Nationalisten lehnen wegen des Kosovo einen EU-Beitritt ab, die Liberalen sind für die Anerkennung der Unabhängigkeit. Doch bis zur EU-Mitgliedschaft werden noch etwa 10 Jahre vergehen; daher haben DS, SNS und SPS noch Zeit, um ihren Wählern zu erklären, dass mit oder ohne EU-Annäherung, der Kosovo für Serbien verloren ist.