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Vor der Stichwahl zwischen Tadic und Nikolic: Schmutzkübel statt Argumente

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In Serbien findet am Sonntag die Stichwahl um das Präsidentenamt statt. Zur Wahl stehen Amtsinhaber Boris Tadic und Tomislav Nikolic. Damit wiederholt sich das Duell aus dem Jahre 2008 zwischen den beiden langjährigen politischen Rivalen. Doch 2008 war Nikolic noch der Kandidat der Ultranationalisten. Diese Partei verließ er nach der Wahlniederlage gegen Tadic; nunmehr vertreten Nikolic und seine Mitterechtspartei SNS eine Pro-EU-Linie, und die Positionen von Tadic und Nikolic sind weit ähnlicher. Trotzdem stellt sich die Frage was die Wahl des einen oder anderen für Serbien, die Region und die EU bedeuten würde, und zwar auch wegen der Parlamentswahlen, die in Serbien zeitgleich mit der ersten Runde der Präsidentenwahl vor zwei Wochen stattfand. Dabei belegte Nikolics Partei SNS zwar den ersten Platz gewann aber weniger als erwartet. Tadics Wahlblock verlor zwar massiv an Stimmen und belegte nur den Zweiten Platz, doch mit den erstarkten Sozialisten wird seine Partei DS wohl wieder die Regierung bilden. Über die bevorstehende Stichwahl um das Präsidentenamt und ihre Folgen aus Serbien berichtet nun aus Belgrad unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz:

Die zwei Wochen vom ersten Wahlgang bis zur Stichwahl um das Präsidentenamt verliefen in Serbien ohne Höhepunkte. Amtsinhaber Boris Tadic und seinem Herausforderer Tomislav Nikolic und ihren Parteien fehlten offensichtlich neue Ideen aber auch Geld für einen neuen Wahlkampf. Somit blieb das Duell von Tadic und Nikolic im Staatsfernsehen der einzige Höhepunkt. Die Konfrontation lief nach strengen Regeln ab; sie hatten die Parteien ebenso festgelegt wie die Themen. Eine echte Debatte über die Fragen Kosovo, EU, oder die triste soziale Lage mit 25 Prozent Arbeitslosigkeit kam nicht zustande. Beide Politiker sind für die EU und teilen auch die Ratlosigkeit, wie Serbien mit der Unabhängigkeit des Kosovo leben soll. Im Grunde nutzen die Kontrahenten das Duell nur, um ihre zentralen Botschaften zu wiederholen. Bei Tomislav Nikolic ist das der Appell an die Unzufriedenen:

„13 Jahre Herrschaft von Boris Tadic wären auch für ein normales Land zu viel, und erst recht für Serbien. Um die Wahlen zu gewinnen versprach er damals 200.000 neue Arbeitsplätze, 1000 Euro für jeden Serben aus der Privatisierung, versprach den höchsten Lohn mit 700 Euro in der Region, während wir jetzt 320 Euro haben. In diesen Händen darf der Staat nicht mehr bleiben, daher bitte ich euch, straft Boris Tadic und seine Demokratische Partei.“

Boris Tadic war bestrebt sich als Garant einer sicheren Zukunft zu präsentieren. Im Gegensatz zu ihm habe Nikolic einst als Koalitionspartner von Slobodan Milosevic und Ultranationalist völlig andere Positionen vertreten als heute. Seine Wandlung vom Saulus zum Paulus sei nicht glaubwürdig; Boris Tadic:

„In der Zeit als sie an der Macht waren, konnten die Menschen nicht frei reisen, sondern lebten unter Sanktionen und mussten sich damals vor Bombenangriffen retten. Das ist der grundlegende Unterschied unserer Politik. Einmal führten sie eine Politik, die uns von der EU weg und in die Isolation führte, vor einigen Tagen waren Sie dann für die EU; eine derartige Politik ist sehr gefährlich, Serbien muss seinen Weg kennen, und darüber wird bei dieser Wahl entschieden.“

Die Ausgangslage sieht so aus: bei 6,8 Millionen Wahlberechtigten und einer Beteiligung von 58 Prozent erreichte Boris Tadic im ersten Wahlgang 990.000 Stimmen und liegt 10.000 Stimmen vor Tomislav Nikolic. Die beiden alten Rivalen schnitten damit viel schlechter ab als beim ersten Durchgang der Präsidentenwahl im Jänner 2008; damals führte Nikolic mit 1,6 Millionen Stimmen vor Tadic mit 1,4 Millionen Stimmen, wobei Tadic in der Stichwahl dann knapp gewann. Dieser massive Unterschied hängt mit der Schmutzkübelkampagne zusammen, die beide bei der Präsidenten- und Parlamentswahl gegeneinander führten. Sie schadete Tadics Regierungspartei DS und Nikolics Partei SNS, die ebenso wie ihre Parteiführer insgesamt nur knapp 50 Prozent der Stimmen erreichten. Eigentlicher Sieger ist das Wahlbündnis der ehemaligen Milosevic-Sozialisten unter Innenminister Ivica Dacic. Bei der Parlamentswahl erreichte das Bündnis 16 Prozent, während Dacic bei der Präsidentenwahl mit 570.000 Stimmen klar den dritten Platz belegte. Diese Ergebnisse kommentiert der Belgrader Politologe Zoran Stojiljkovic so:

„Serbien hat in der Wahl zwischen einer erfolglosen Regierung und ein sehr wenig überzeugenden Opposition keine klare Entscheidung getroffen aber den Sozialisten etwas mehr Vertrauen geschenkt; denn die Kombination zwischen patriotisch und links ist in Serbien so etwas wie ein musikalischer Evergreen, der immer nach einer Zugabe verlangt.“

Eine Zugabe bedeuten die Sozialisten auch für Boris Tadic. Sie wollen die Regierung mit seiner DS fortsetzen und Dacic unterstützt Tadic auch im Kampf um das Präsidentenamt. Warum sich die Sozialisten gegen Nikolic und seine SNS entschieden haben, erläutert der Meinungsforscher Srdjan Bogosavljevic

„Die Sozialisten wollen der Sozialistischen Internationale beitreten. So ist für sie die Allianz mit Tadic gut, um die Erblast aus der Ära von Slobodan Milosevic abschütteln zu können. Hinzu kommt noch ein wichtiges taktisches Moment. Die Wählerschaft von DS und SPS ist überhaupt nicht ähnlich, während die Wählerschaft von SPS und SNS sehr ähnlich ist. Ein Zusammengehen mit der SNS könnte daher zu einem Verlust von Wählern führen.“

Bei den Serben, die das TV-Duell verfolgten, liegt Tadic jedenfalls nach einer Umfrage vor Nikolic. Demnach war Tadic überzeugender und verkörperte vor allem bei Frauen weit stärker das Bild von einem Präsidenten. Doch die Zuschauerquote war mit durchschnittlich 22 Prozent die niedrigste, die bisher bei derartigen Konfrontationen gemessen wurde. Das lasse auf eine geringere Beteiligung bei der Stichwahl schließen, betont Bogosavljevic:

„Die Unzufriedenen sind ziemlich entschlossen, zur Wahl zu gehen, und daher wird der Ausgang sehr von der Wahlbeteiligung abhängen. Tomislav Nikolic kann mit 1,5 Millionen Wählern rechnen, sodass eine Wahlbeteiligung unter drei Millionen zu seinem Sieg führen dürfte. Ist die Beteiligung höher hat Boris Tadic bessere Chancen. Doch bei Tadics Partei herrscht eine Siegeserwartung, und das kann sich negativ auf die Beteiligung auswirken.“

Doch was spricht - angesichts eines inhaltsleeren Wahlkampfes - abgesehen von Erscheinungsbild, einseitiger medialer Bevorzugung und politischen Wahlbündnissen eigentlich für Boris Tadic und gegen Tomislav Nikolic? Die serbische Mentalität – lautet die Antwort des Politologen Dusko Radosavljevic

„In der serbischen Mentalität ist das Denken verankert, dass Personen, die neu an die Macht kommen, ihr Schäfchen für unsicherere Zeiten ins Trockene bringen wollen. So denkt ein Teil der Wähler, besser ist es, dass die bleiben, die ihr Schäfchen bereits im Trockenen haben, die kennen wir. So gibt es keine rationalen Gründe für die Wahl von Boris Tadic, doch die irrationalen sind auf seiner Seite.“

Macht braucht Kontrolle, wäre nach Radosavljevic sogar ein rationales Argument für Tomislav Nikolic, weil Tadic und seine DS neuerlich Belgrad, die Provinz Vojvodina und auch die Regierung dominieren werden. Dem widerspricht die liberale Politologin Jelena Milic massiv:

„Für die EU-Integration und die Normalisierung auf dem Westbalkan ist es sehr wichtig, welche regionalen Beziehungen Serbien haben wird. Daher ist es auch wichtig, dass Serbien einen Präsidenten hat, der in der Region Glaubwürdigkeit besitzt; und die hat Boris Tadic weit mehr als Tomislav Nikolic. Denn er wäre wohl vielen Opfer von paramilitärischen Milizen während der Kriege in Bosnien und in Kroatien ein Dorn im Auge. Die Serben vergessen ständig, dass sich der Krieg nicht bei uns, sondern dort abgespielt hat, und dass dort noch immer viel größere Traumata bestehen als bei uns.“

Für bessere regionale Beziehungen spricht der Umstand, dass die Ultranationalisten bei der Parlamentswahl an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterten, und nur mehr eine erklärte Anti-EU-Partei im Parlament vertreten ist. Das Regieren und die Lösung des Kosovo-Problems dürften aber trotzdem kaum leichter werden. So schafften 46 Parteien über Wahlbündnisse den Einzug ins Parlament; und bis auf weiteres kann kein serbischer Präsident die Unabhängigkeit des Kosovo akzeptieren – ganz gleich ob er nach der Wahl am Sonntag Boris Tadic oder Tomislav Nikolic heißen wird.

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