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Aussöhnung und das Haager Tribunal

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Als Reaktion auf die Verbrechen während der Zerfallskriege im ehemaligen Jugoslawien gründete die UNO im Jahre 1993 das Haager Tribunal. Fast 20 Jahre später soll das Tribunal nun schrittweise seine Pforten schließen und im Jahre 2014 seine Arbeit einstellen. Ob dieser Zeitplan hält ist fraglich, denn es gilt noch die großen Verfahren gegen die beiden ehemaligen Führer der bosnischen Serben, Radovan Karadzic und Ratko Mladic, zu Ende zu bringen. Trotzdem stellt sich natürlich bereits jetzt die Frage, welche Wirkungen das Tribunal und seine Prozesse am Balkan selbst entfaltet hat, ob damit ein Beitrag zur Anerkennung von Verbrechen, zur Vergangenheitsbewältigung und zur Aussöhnung geleistet wurde. In diesem Sinne zeichnen repräsentative Meinung in Bosnien und Herzegowina, in Kroatien und in Serbien eher ein düsteres Bild. So ist etwa bei erben und Kroaten die Ablehnung des Tribunals ebenso groß wie der Zweifel an der Wahrheitsfindung durch Prozesse. Außerdem ist etwa die Bewertung des Massakers an 7000 Bosniaken in Srebrenica diametral entgegengesetzt bei Bosniaken und bosnischen Serben, von denen überhaupt nur eine Minderheit glaubt, dass Srebrenica ein Kriegsverbrechen war. Hinzu kommt, dass das Wissen um die Verbrechen im ehemaligen Jugoslawien bei der Bevölkerung in der Region immer geringer wird. Unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz hat die Umfragen analysiert und den folgenden Beitrag über Aussöhnung und Vergangenheitsbewältigung im ehemaligen Jugoslawien gestaltet.

In zwei Jahren soll das Haager Tribunal seine Arbeit weitgehend einstellen; doch auch nach fast 20 Jahren ist es im ehemaligen Jugoslawien tief umstritten und spaltet die Völker. Das zeigen Umfragen, die ein Belgrader Meinungsforschungsinstitut in Serbien, Bosnien und Herzegowina und in Kroatien durchgeführt hat. So betrachtet eine große Mehrheit der Serben und Kroaten das Tribunal als antiserbisch oder antikroatisch, und jeweils etwa 70 Prozent der Kroaten und Serben halten es für falsch, dass ihre Generäle ausgeliefert wurden. Nur die Bosniaken stehen dem Tribunal mit großer Mehrheit positiv gegenüber. Sie hatten einerseits die größten Opfer und andererseits die geringste Zahl an prominenten Angeklagten zu verzeichnen. Wie sehr das Tribunal polarisiert erläutert in Belgrad die Meinungsforscherin Svetlana Logar:

„Auf die Frage, ob es gut war, das Haager Tribunal zu bilden, antworten mehr als 70 Prozent der Bosniaken mit Ja. Gegenteiliger Ansicht ist eine Mehrheit der bosnischen Serben und der Serben in Serbien. Interessant ist auch, dass in dieser Frage die Bürger Kroatiens völlig geteilt sind. Hier hat man völlig unterschiedliche Haltungen gegenüber dem Haager Tribunal.“

Wie gering die Wirkung der Prozesse des Tribunals aber auch lokaler Sondergerichte auf die öffentliche Meinung in Serbien und Kroatien waren, machen die Umfragen ebenfalls deutlich. Am bekanntesten ist in Serbien das Massaker an mehr als 7.000 Bosniaken in Srebrenica im Jahre 1995. In Serbien haben mehr als 70 Prozent haben davon gehört, nur mehr 40 Prozent glauben, dass das Massaker stattgefunden hat, doch nur 33 Prozent bewerten es als Kriegsverbrechen und nicht als Begleiterscheinung des Krieges. Ins Bild passt, dass nur eines knappes Viertel der Serben der Ansicht ist, dass General Ratko Mladic auch für das Massaker verantwortlich ist. Doch ganz spurlos geht sein Verfahren in Den Haag offensichtlich doch nicht an den Serben in Serbien vorüber; dazu sagt die Meinungsforscherin Svetlana Logar:

„Positiv ist, dass uns im Jahre 2009 noch 56 Prozent der Bürger mit Nein auf die Frage geantwortet haben, ob Ratko Mladic verantwortlich für all die Verbrechen ist, die ihm in Den Haag zur Last gelegt werden. Jetzt ist diese Zahl auf 49 Prozent gesunken, während die Zahl jener, die sagen, ich weiß nicht, auf 29 Prozent gestiegen ist. Auch das ist positiv, weil diese Personen in einer Art Übergangsposition sind. Und nun wird viel von der Führung des Prozesses abhängen, ob die Menschen akzeptieren werden, ob er schuldig ist oder nicht.“

Im Falle des kroatischen Generals Ante Gotovina ist das dem Tribunal offensichtlich nicht gelungen. Seine Verurteilung in erster Instanz zu 24 Jahren Haft wegen Verbrechen an der serbischen Zivilbevölkerung stieß im Vorjahr auf massive Ablehnung unter den Kroaten. Wie Gotovina gesehen wird, erläutert in Agram der Philosoph Zarko Puhovski:

„Das Verfahren gegen General Gotovina hat in Kroatien eine Atmosphäre hervorgerufen, die an die 90iger Jahre erinnert. Gotovina sieht man als Helden, als Soldaten mit Charme, und seinen Prozess akzeptiert die kroatische Öffentlichkeit einfach nicht. Dem entspricht auch, dass die staatlichen Medien sowie Radio und die Zeitungen generell nicht objektiv über diesen Prozess berichten.“

Einseitig und oberflächlich berichten auch viele Medien in Serbien über die Prozesse. Hinzu kommt, dass nach der letzten Auslieferung im Vorjahr das Haager Tribunal drastisch an Bedeutung für Serbien verloren hat. Im Vordergrund steht der Kampf gegen die tiefe wirtschaftliche und soziale Krise, Alltagssorgen und Arbeitslosigkeit dominieren. Der Akzeptanz der eigenen Schuld stehen in Serbien und Kroatien auch noch völlig unterschiedliche Wahrnehmungen über den Ausgang der Kriege im ehemaligen Jugoslawien entgegen. Beiden gemeinsam ist jedoch, dass sie die Vergangenheitsbewältigung erschweren, betont der kroatische Philosoph Zarko Puhovski:

„Kroatien hat objektiv gesehen den Krieg gewonnen, während ihn Serbien verloren hat. Und gewöhnlich war es in der Geschichte so, dass die Seite, die verloren hat, allein aus der Tatsache, dass sie verloren hat früher dazu gezwungen war, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Das hat auch die Erfahrung nach 1945 gezeigt. Doch in Serbien ist das Bewusstsein noch immer nicht weit verbreitet, das der Krieg verloren wurde, während in Kroatien sich das Bewusstsein über die eigenen Verbrechen nur sehr schwer Bahn bricht. Denn dieses Bewusstsein muss sich gegen die Tatsache entwickeln, dass Kroatien gewonnen hat.“

Diese Akzeptanz hat auch das Tribunal gerade in der Ära der ehemaligen Chefanklägerin Karla Del Ponte nicht leichter gemacht; so sehr sie selbst mit ihrem resoluten Auftreten in den Medien präsent war, so schlecht war offensichtlich die Medienarbeit des Tribunals. Dazu sagt Jelena Stevancevic, die in Belgrad für die OSZE-Mission viele Jahre mit dem Thema Kriegsverbrechen befasst war:

„Das Haager Tribunal hat wirklich auch viele große Fehler gemacht. Seit seiner Gründung im Jahre 1993 hat das Tribunal bis in die frühen Jahre dieses Jahrhunderts hinein keine Kommunikation nach außen betrieben und auch der Informationsfluss war kaum vorhanden. Andererseits waren die Gegner des Tribunals sehr aktiv in ihrer Propaganda, wonach das Tribunal nur geschaffen wurde, um die Serben für alles Böse zu beschuldigen, das sich während der Kriege in den 90iger Jahren ereignet hat.“

Unter Del Pontes Nachfolger, Serge Brammertz, hat sich das grundlegend geändert. Doch das Bild des Tribunals ist derart zementiert, dass eine Änderung kaum möglich sein dürfte, sollte die Bereitschaft dazu überhaupt bestehen. Denn im ehemaligen Jugoslawien fand weder in den Medien noch in der Politik ein dauerhafter Elitenwechsel statt; im Gegenteil: seit vier Jahren sitzen etwa in Serbien die ehemalige Parteigänger von Slobodan Milosevic wieder in der Regierung, mit neuen, pro-europäischen Tönen, neuem Programm aber trotzdem ohne besondere Motivation zur Vergangenheitsbewältigung. Dazu sagt in Belgrad Imola Söros vom Zentrum für Menschenrechte:

„In einem Land, in dem keine Durchleuchtung der Vergangenheit von Amtsträgern stattgefunden hat, wo es alte politische Gruppen in einem neuen Gewand gibt, kann man keinen Fortschritt erwarten, wenn in Schlüsselfunktionen wie im Innen- und im Unterrichtsministerium Figuren aus dem alten Regime sitzen. Gerade in den Schulen sollten die Kinder aber von klein auf gelehrt werden, was sich in den 90iger Jahren ereignet hat.“

Wie wichtig ein aufklärendes Bildungswesen für die Aussöhnung im ehemaligen Jugoslawien wäre, skizziert der Belgrader Politologe Zoran Stojiljkovic:

„Die Grundlage der Aussöhnung muss auf der einen Seite die Wahrheit sein; das heißt auch Gerichtsverfahren, so schmerzlich sie für die nationale Mythenbildung auch sein mögen. Andererseits braucht es eine kritische Geschichtsschreibung, so dass die Schüler in Serbien auch wissen, wie dieselbe Zeit in Bosnien und Herzegowina sowie in Kroatien interpretiert wird. Das führt dann zu einem kritischen Korrektiv und zu einem Verständnis für die Position des anderen.“

Dieses Verständnis fehlt bisher völlig. Doch wer aus der Geschichte nicht lernt, ist bekanntlich gezwungen ihre Fehler zu wiederholen. Daher ist Zarko Puhovski auch davon überzeugt, dass die Wurzeln für den Zerfall des alten Jugoslawien bis in den Zweiten Weltkrieg zurückreichen; Zarko Puhovski:

„Einer der wichtigen Gründe für den Zerfall des alten Jugoslawien war der Umstand, dass es 45 Jahre lang nicht in der Lage war, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Es gab die offizielle Position, dass die Partisanen die Guten waren, während alle anderen ausländische Besatzer oder heimische Verräter waren. In den letzten Jahren der Liberalisierung kam es dann zu einer Überschwemmung mit der alternativen Geschichte, und diese Geschichte, die man 45 Jahre nicht öffentlich hören konnte, führte dann zu Hasstiraden, die den neuen Krieg vorbereiteten, der begann 1991, und zwar überwiegend aber nicht ausschließlich von Belgrad aus. Daher lehrt die Erfahrung, dass die Vergangenheitsbewältigung sehr wichtig ist.“

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