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Serbien in der Kosovo-Falle

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Vor vier Jahren gewann der proeuropäische Präsident Boris Tadic in Serbien die Parlamentswahl mit dem Versprechen, sein Land in die EU zu führen und gleichzeitig niemals die Unabhängigkeit des Kosovo zu akzeptieren. Zwar wird eine formelle Anerkennung der Unabhängigkeit durch die EU nicht gefordert, eine Normalisierung der Beziehungen aber sehr wohl. Insbesondere Deutschland fordert auch, dass Serbien die Integrität des serbischen Nordteils in den Staat Kosovo nicht weiter erschwert. Als erster Versuch dieser Integration ist die Stationierung kosovo-albanischer Grenzpolizisten und Zöllner an den zwei Grenzübergängen im Norden zu werten. Diese Stationierung trieb die Kosovo-Serben buchstäblich auf die Barrikaden, die diese Grenzübergänge noch immer blockieren. Gefährdet wird damit auch der Status eines EU-Beitrittskandidaten, den Serbien Anfang Dezember beim EU-Gipfel zu erhalten hofft. In Belgrad ist unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz den Ursprüngen des Kosovo-Mythos ebenso nachgegangen wie den Problemen, die Serbien auf dem Weg zu einer Normalisierung der Beziehungen mit dem Kosovo und auf dem Weg Richtung EU noch zu bewältigen hat.

Das Jahr 1989 stand in Serbien im Zeichen des 600. Jahrestages der Schlacht am Amselfeld im Kosovo. Ein Balkanheer unter Zar Lazar verlor den Kampf; das mittelalterliche Reich der Serben ging unter, Lazar fiel oder wurde gefangen und getötet; sein osmanischer Gegenspieler Sultan Murad starb durch die Hand eines Attentäters. Beide Ereignisse wurden 1989 in Serbien in einem martialischen Film verewigt. Zu Beginn trifft ein Wanderer auf einen alten Mann am Wegesrand:

„Ist das der Weg Richtung Kosovo“.

“Ja, doch auch die andere Richtung führt dort hin, oder auch die Richtung, aus der Du gekommen bist; was wunderst Du dich? Jede Richtung wird dich dorthin führen. Heute gibt es in Serbien keinen anderen Weg als in den Kosovo oder aus dem Kosovo“

Alle Wege führen somit in das serbische Jerusalem, das nicht zuletzt unter tatkräftiger Mithilfe der orthodoxen Kirchen zum Mythos wurde. Seine religiöse Symbolkraft erläutert der Schriftsteller und ehemalige Außenminister Vuk Draskovic:

„Die Schlacht im Kosovo wurde als eine Art Golgatha erlebt; die dann entstehenden Heldenlieder erhoben die Niederlage zur Grundlage einer künftigen Auferstehung. Der Mythos und die Heldenlieder sind nichts anderes als ein in Reimen verfasstes Neues Testament. Im Neuen Testament haben sie Christus, der leidet, im Kosovo ist das der serbische Zar. Christus hat seine 12 Apostel, der Zar hat seine Mitstreiter, es sind insgesamt ebenfalls 13 Personen. Das Dilemma des Kaisers ist im Endeffekt auch das von Christus; ob man die weltliche Macht akzeptiert und den Türken Steuern zahlt und Vasall wird; oder ob man den gewaltsamen Tod und das himmlische Reich wählt. Nach diesem Mythos, haben sich Zar Lazar und Armee für das christliche Opfer und das himmlische Reich entschieden.“

Das himmlische Serbien versprach Slobodan Milosevic auch 1989 in seiner Rede am Amselfeld. Die NATO-Bomben beendeten zehn Jahre später die Herrschaft Belgrads über den Kosovo; die Albaner sahen das als Schritt zur Unabhängigkeit, ein Streben, das weit in die Zeit vor Milosevic zurückreicht. Doch die NATO und der Westen blieben inkonsequent, und verzichteten auf eine formelle Kapitulation; und das erschwert die Lösung des Kosovo-Problems bis heute, erläutert in Belgrad der Meinungsforscher Srdjan Bogosavlevic:

„Wir wissen, dass Kriege Grenzen ändern, doch diesen Krieg beendeten wir unentschieden, das war keine Niederlage. Und Slobodan Milosevic hat so getan, als habe er den Kosovo und diese Grenze geschützt. Daher sind die Bürger einfach nicht bereit, zu sagen, lasst den Kosovo gehen. Keine stärkere Partei darf daher sagen, wir geben den Kosovo her, das würde die Bevölkerung nicht verzeihen. Denn man kann den Kosovo verlieren, doch man darf ihn nicht verschenken. Jetzt könnte eine größere Partei nur sagen, wir entsagen dem Kosovo, aber nicht wir erkennen die Niederlage an, weil niemand einen Sieg proklamierte. Wenn die NATO keinen Sieg proklamiert hat, dann kann auch Serbien keine Niederlage anerkennen.“

Diese Inkonsequenz durchzieht die Kosovo-Politik der EU bis heute, obwohl seit der Ausrufung der Unabhängigkeit durch die albanische Mehrheit schon mehr als drei Jahre vergangenen sind. Fünf Staaten der EU erkennen diese Unabhängigkeit nicht an; das erschwert nicht nur die EU-Annäherung des Kosovo; erschwert wird dadurch die Politik des serbischen Präsidenten Boris Tadic und seiner Regierung. Dabei ist Tadic auch Gefangener seiner eigenen Doppelstrategie, denn er versprach im Wahlkampf vor vier Jahren Kosovo und EU; doch mit der Präsenz kosovo-albanischer Zöllner an den zwei Grenzübergängen im Norden wird trotz aller serbischen Proteste immer klarer, dass eine Abspaltung des kompakt-serbisch-besiedelten Nordens nur mehr politisches Wunschdenken ist. Darauf zielt auch die Vorsitzende des serbischen Helsinki-Komitees für Menschenrechte, Sonja Biserko:

„Der Regierung fehlt offensichtlich der staatsmännische Mut die Wahrheit auszusprechen: der Norden des Kosovo wird im Rahmen der Grenzen des Kosovo bleiben und die serbische Bevölkerung wird im Rahmen einer Dezentralisierung über ein großes Ausmaß an lokaler Autonomie verfügen. Bis zum Europäischen Rat im Dezember bleibt nur noch wenig Zeit, doch noch sind keine Schritte gesetzt worden, die in Richtung einer Lösung der Krise gehen.“

Sonja Biserko und andere kompromisslos proeuropäische Kräfte fürchten, dass Serbien wegen der Krise der Status eines EU-Beitrittskandidaten verweigert werden könnte. Doch der Vorwurf der politischen Feigheit gegen Tadic und Co wird auch von nationalistischen Parteien erhoben. Diesen Vorwurf formuliert der frühere Minister für den Kosovo in der Regierung von Vojislav Kostunica, Slobodan Samardzic, so:

„Jetzt ist klar, dass das Dilemma sowohl EU als auch Kosovo nicht gültig ist, dass man sich für das eine oder andere entscheiden muss. Das will die Regierung nicht eindeutig tun; doch mir scheint, dass die Regierung nunmehr bereit ist, den Kosovo für den Status eines EU-Beitrittskandidaten zu opfern.“

Ein derartiges Opfer lehnt Slobodan Samardzic ab. Er hält es aber auch für politisch sinnlos; Slobodan Samardzic:

„Die Haltung der EU gegenüber dem Kosovo wäre für einen seriösen Staat bereits ausreichend, um seine Beziehungen zur EU neu zu definieren. Doch selbst, wenn es den Kosovo als Problem nicht gäbe, wäre der Weg Serbiens Richtung EU äußerst ungewiss. Heute hat die EU nicht mehr die Kapazität, um sich zu erweitern, löst ihre interne Krise und der Westbalkan wurde für sie zu einem politischen Wurmfortsatz. Das ist keine seriöse Politik mehr – und Serbien bekommt praktisch nichts dafür, wenn es dem Kosovo entsagt zugunsten der EU-Integration.“

Die Mehrheit der Bevölkerung und die Mehrheit der politischen Kräfte in Serbien sind nicht dieser Ansicht, obwohl unter dem Eindruck der Kosovo-Debatte natürlich auch die Zustimmung zur EU gesunken ist. Trotzdem brauchen Präsident Boris Tadic und seine Regierungspartei DS ein positives Signal aus der EU, um bei den Parlamentswahlen in sechs Monaten ihre Siegeschancen zu wahren, betont der Meinungsforscher Srdjan Bogosavljevic:

„Das Europa-Thema kann niemanden an die Macht bringen, doch wenn aus Europa eine negative Botschaft kommt, dann kann das die aktuelle Regierung zu Fall bringen. Wenn der angekündigte Status eines EU-Beitrittskandidaten erhalten wird, dann kann das der DS, der Demokratischen Partei keinen bedeutenden Vorteil bringen; doch wenn der Status nicht gewährt wird, würde das zu einem spürbaren Fall der Popularität der DS führen. Das wäre dann ein großes Problem für die regierenden Mehrheit.“

Eine Möglichkeit für eine Lösung bietet noch immer der Plan des früheren finnischen Präsidenten Marti Ahtisaari, der 2006 und 2007 die schließlich gescheiterten Verhandlungen über den Kosovo-Status führte. Der Plan sieht eine umfassende Selbstverwaltung auch für die Serben des Nord-Kosovo vor, doch Belgrad lehnte damals diesen Plan ab. Andeers denkt heute der frühere Außenminister Vuk Draskovic:

„Ich sehe keine andere Möglichkeit als die Akzeptanz des Ahtisaari-Plans als Grundlage für Vereinbarungen und Verhandlungen zwischen Belgrad und Pristina. Dazu müssen natürlich auch Garantien der EU für all das zählen, was dieser Plan vorsieht, und dass dann dieser Plan in einigen Punkten verbessert wird. Dazu zählt auch eine Art Ahtisaari-Plus für den Norden.“

Doch für Ahtisaari-Plus sind die Kosovo-Albaner nicht zu haben; und die Führer der Kosovo-Serben im Norden, die den nationalistischen Parteien in Belgrad angehören, lehnen den Ahtisaari-Plan überhaupt ab. Zwischen all diesen Stühlen sitzt die serbische Regierung. Sie muss eine gesichtswahrende Lösung finden, um die Lage im Nord-Kosovo zu entschärfen und den Dialog über technische Fragen mit den Kosovo-Albanern wieder aufnehmen zu können, der seit Monaten unterbrochen ist. Belgrad hat Brüssel Vorschläge unterbreitet, deren Inhalt öffentlich noch nicht bekannt ist. Bis zum EU-Gipfel Anfang Dezember bleibt jedenfalls nur mehr wenig Zeit, um die Gewährung des Status eines EU-Beitrittskandidaten zu sichern. Weit mehr Zeit wird eine umfassende Normalisierung der Beziehungen zwischen Serbien und dem Kosovo brauchen, ohne die eine Aussöhnung zwischen Serben und Kosovo-Albanern überhaupt nicht zu erreichen ist.

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