× Logo Mobil

Bilanz des Haager Tribunals durch Wolfgang Schomburg

Radio
Europajournal
Berichte Serbien
Vor zwei Tagen ist in Serbien der mutmaßliche Kriegsverbrecher Goran Hadzic verhaftet worden. Sieben Jahre lang war er auf der Flucht. Die Anklage wirft ihm in acht Punkten Verbrechen gegen die Menschlichkeit und in weiteren sechs Punkten Verletzung des Kriegsrechts vor. Heute Mittag hat die serbische Justizministerin die Überstellung des Hadzic an das Haager UNO-Tribunal für Kriegsverbrechen im früheren Jugoslawien bestätigt. Mittlerweile ist Hadzic in Den Haag gelandet. Dem letzten der Flüchtigen der Haager Angeklagten wird nun also der Prozess gemacht. Der Weg zum Status eines EU-Beitrittskandidaten müsste für Serbien somit frei sein. Bilanz über die bisherigen Verfahren zieht Wolfgang Schomburg, der von 2001 bis 2008 Richter des Jugoslawien-Tribunals war. Er schätzt die juristische Aufarbeitung der Kriegsverbrechen als wichtigen Teil der Integration Serbiens in Europa ein, mahnt aber auch zur Geduld mit dem Land. Christian Wehrschütz hat mit Wolfgang Schomburg gesprochen.

CW: Herr Prof Schomburg, Goran Hadzic war der letzte mutmaßliche Kriegsverbrecher, den das Haager Tribunal gesucht hat. Kann man nun endlich sagen: Gottes Mühlen mahlen, langsam aber stetig?

SCH: Ich würde sagen, dass Jugoslawien-Tribunal hat eine wesentliche Aufgabe erfüllt. Als ich diese Tätigkeit aufgenommen habe, hing im Büro der damaligen Staatsanwältin Karla del Ponte noch ein Poster mit über 60 Personen, von insgesamt 163 Angeklagten. Dieses Poster wäre heute leer. Aber ich denke mal , dieses ist in erster Linie zu verdanken, dem sehr sorgfältigen und nicht die Öffentlichkeit suchenden Bemühen des neuen Staatsanwaltes Serge Brammertz.

CW: Es war immer umstritten, ob sich der massive internationale Druck auf Belgrad auszahlt, aber auch auf andere Staaten was die Auslieferungen von mutmaßlichen Angeklagten betrifft. Goran Hadzic ist jetzt ausgeliefert worden, zuvor waren es Mladic und auch Karadzic. Hat sich dieser internationale Druck bezahlt gemacht, oder war es nicht doch in gewisser Wiese ein zweischneidiges Schwert?

SCH: Sicherlich ist es ein zweischneidiges Schwert, aber auf der anderen Seite ohne den Druck der internationalen Gemeinschaft wäre es sicherlich nicht gegangen. Die Frage ist nur wie man damit umgeht. Ob man in der Öffentlichkeit permanent wie es Karla del Ponte tat angekündigt: morgen wird dieser und jener verhaftet, und das passiert dann gerade deswegen nicht; oder ob man hinter den Kulissen diese Mechanismen fein einspinnt. Und ich denke mal, es geht ja auch nicht nur darum, ob jetzt Kroatien oder ob Serbien alleine nicht dafür gesorgt haben, dass die Personen nicht festgenommen wurden. Die Aufforderung zur Festnahme ging ja eigentlich an alle Verantwortlichen, die in diesem Gebiet jemals selbst Verantwortung ausgeübt haben, also auch an die EU und andere große Staaten des Sicherheitsrates, die das Jugoslawien-Tribunal mit dieser Aufgabe betraut haben. Aber nochmals, dieses ist ein Einschnitt und es zeigt, und ich sage ganz bewusst, im Gegensatz zum permanenten internationalen Strafgerichtshof, dass internationale Strafgerichtsbarkeit funktionieren kann und auch zur Absicherung eines wenn auch fragilen Friedens in der Region beitragen kann.

CW: Wenn man die Tätigkeit oder den Ablauf des Haager Tribunals jetzt betrachtet, so stellt man auch fest, dass gewisse Verfahren außerordentlich lange dauern. Das bekannteste Beispiel ist das Verfahren gegen den serbischen Ultranationalisten Vojislav Seselj. Es dauert mittlerweile bereits mehr als sieben Jahre, obwohl sich Seselj freiwillig im Haager Tribunal gestellt hat. Diese lange Verfahrensdauer hat nicht nur in der Region, aber vor allem in der Region zu massiver Kritik an dem Haager Tribunal geführt. Wie sehen Sie diese Kritik, und ist da nicht auch ein gutes Element der Wahrheit darin, dass nach sieben Jahren noch immer kein Urteil da ist?

SCH: Nun, auf der einen Seite ist haben Sie völlig Recht, er hat sich nicht nur freiwillig gestellt, sondern er hat sich nachgerade noch aufgedrängt, er wollte unbedingt zu der eigenen Verhaftung zu einem bestimmten Zeitpunkt in Serbien haben. Aber dieser Fragen möchte ich jetzt nicht nachgehen und den Vermutungen die damit verknüpft sind. Entscheidend ist in der Tat, Sie haben Recht; zwar muss ein derartiges Verfahren sicherlich länger dauern als etwa ein Jahr, das würde es auf nationaler Ebene auch tun; und das ist natürlich umso schwieriger Je mehr also hier man angewiesen ist, auch die zukünftige Kooperation der Staaten auf dem Territorium des früheren Jugoslawien mit diesem Tribunal. Aber sieben Jahre, lassen Sie mich das deutlich sagen, als derjenige, der damals Seselj als erster in Empfang genommen hat bei seinem ersten Erscheinen vor Gericht, sieben Jahre sind schlicht und einfach unerträglich.

CW: Die dunkelste Stunde des Haager Tribunals wird wohl der Tod des Slobodan Milosevic in einer Zelle gewesen sein. Wie sehen Sie denn rückblickend die Vorbereitung dieses Verfahrens? Welche Fehler hat man gemacht, und was muss man vor allem tun, damit man derartige Fehler vermeidet, bei Prozessen wie dem Verfahren gegen Ratko Mladic, der immerhin auch schon 69 Jahre alt ist, und eine lange Verfahrensdauer birgt natürlich auch hier Gefahren in sich?

SCH: Nun ich würde zunächst mal sagen, dass der Tod von Milosevic, so bedauerlich er mit Sicherheit ist, aber das war nicht in irgendeiner Weise ein Tiefpunkt des Tribunals war. Wir müssen das stets vergleichen mit normaler Gerichtsbarkeit und derartige Dinge passieren, man muss sie hinnehmen, man muss auch hinnehmen, dass Personen ohne rechtskräftige Verurteilung hier leider zu Tode gekommen sind. Aber der Kernpunkt ihrer Frage ist doch, warum muss die Anklage darauf bestehen, dass alle Kleinigkeiten und kleine Delikte von vorn herein verfolgt werden. Wäre es nicht richtiger, sich auf die am leichtesten beweisbaren und auf die schwersten Delikte zu beschränken und so dem Beschleunigungsgebot, das auch der internationale Strafprozess hat, auch insoweit nachzukommen. Wir haben auf der anderen Seite natürlich die Balance zu wahren, es soll so viel wie möglich auch an Tatsachen, an Einzeltatsachen, an Einzelschicksale erinnert werden in dem Verfahren; aber dies geschieht ja in den vielen anderen kleinen Verfahren von hier in der Öffentlichkeit nicht die Rede ist. Dort werden die Grundlagen geschaffen, wo die individuelle Verantwortlichkeit der „kleineren Chargen“ nachgewiesen wird und darauf kann die Staatsanwaltschaft aufbauen, und braucht nicht noch einmal alle Kleinigkeiten und alle weniger ins Gewicht fallenden Delikte hier zur Anklage zu bringen.

CW: Trotzdem bleibt die Tatsache bestehen, dass sowohl die Prozesse in Serbien als auch in Bosnien vor dem eigenen Gerichtshof, sowie die Verfahren des Haager Tribunals ebenfalls nicht zu wachsendem Schuldbewusstsein oder dazu beigetragen haben, dass das eigene Schuldbewusstsein oder Verantwortungsbewusstsein wächst, denn Umfragen zeigen, dass eigentlich das Wissen um diese Verfahren oder um die eigene Schuld sehr gering ist oder sogar abnimmt. Ist die juristische Aufarbeitung einfach zu wenig? Muss Aussöhnung, Vergangenheitsbewältigung aus der Region kommen?

SCH: Natürlich kann sie nur aus der Region kommen, aber wir dürfen nicht das unmögliche erwarten. Ich telefoniere hier aus Berlin, aus der Stadt wo sicherlich die größten und schwersten Verbrechen, die die Welt im letzten Jahrhundert erschüttert haben, ausgegangen sind. Wie lange hat es in Deutschland gedauert bis hier das Schuldbewusstsein aufgekommen ist, dass der Bundesgerichtshof selbst anerkannt hat, dass er in den ersten Jahren eher die eigenen Staatsangehörigen gedeckt denn verfolgt hat und sich ausdrücklich entschuldigt hat, das hat mehr als fünfzig, sechzig Jahre gedauert. Und wir sollten jetzt auch nicht zu viel auf einmal von Jugoslawien erwarten. Ich finde es sehr gut und sehr schön, wenn immer ich an den Universitäten, sei es in Belgrad oder in Zagreb oder in Split oder Sarajevo komme, wie die junge Generation mit großem Enthusiasmus das internationale Recht verfolgt und dabei auch sieht und es als selbstverständlich gegeben annimmt, dass diese Taten, Straftaten, nicht nur nach internationalem Recht, sondern auch nach dem Recht im früheren Jugoslawien galt, war. Und wir müssen genauso wie es in Deutschland und Österreich war, müssen wir darauf setzen, dass die zukünftigen Generationen in einem anderen Licht zusammenarbeiten und auch gemeinsam dann zu der Verantwortung stehen, wie das in der Tat von ihnen angefordert wird.

CW: Zum Abschluss, was bleibt vom Haager Tribunal? Was ist sein Beitrag, sein dauerhafter Beitrag sowohl für die Aufarbeitung der Geschichte Jugoslawiens als auch für die internationale Strafrechtspflege?

SCH: Der wesentliche Beitrag ist, dass es seit dem, und das wurde 1743 zum ersten Mal vom internationalen Roten Kreuz gefordert, dass es möglich ist, auch Kriegsverbrechen vor einem ordentlichen Gericht, das nicht von den Siegermächten eingerichtet worden ist, wie etwa Nürnberg und Tokio, dass die Strafverfolgung international möglich ist, und dass hier trotz massiver politischer Wiederstände und ich sage ganz bewusst, nicht nur aus der Region, es möglich war, einen großen Beitrag zur Wahrheitsfindung zu leisten. Es ist weit mehr getan worden in diesem Bereich als jemals am Anfang zu erwarten gewesen wäre, und ich denke wir sollten Serbien sehr dankbar sein, dass es mit der Verhaftung und Überstellung von Goran Hadzic hier einen Schlussstrich gezogen hat , allerdings mit der Maßgabe, dass auch weiterhin die intensive und volle Zusammenarbeit mit dem Tribunal zu erwarten ist.

CW: Herr Prof Schomburg, wir danken für das Gespräch.

SCH: Ich danke Ihnen.

Facebook Facebook