Serbien nach Ratko Mladic
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Auf dem Weg Richtung EU und Wiederwahl im kommenden Frühling hatte die serbische Regierung unter Staatspräsident Boris Tadic bis vor einer Woche wirklich schlechte Karten. Die Bevölkerung verarmt, die Auslandsinvestitionen sind zu niedrig, und eine weitere EU-Annäherung schien außer Reichweite, weil Ratko Mladic noch immer nicht verhaftet war. Seit einer Woche ist jedenfalls dieses politische Hindernis beseitigt. Die Auslieferung von Mladic bewertet der Koordinator der serbischen Regierung für die Zusammenarbeit mit dem Haager Tribunal, Rasim Ljajic, in Belgrad so:
„Das ist ein wichtiger Schritt, weil wir nun von einer enormen Last und von enormem Druck befreit sind, der ein Jahrzehnt auf dem Land gelastet hat. Doch auch der moralische Gewinn ist groß, weil das Land gezeichnet war als ein Land, das Haager Angeklagte nicht ausliefert. Und diese Haager Geschichte wird mit der Auslieferung von Goran Hadzic dann endgültig abgeschlossen sein.“
Goran Hadzic wird für Verbrechen in Kroatien gesucht; doch Hadzic ist keine derartige Symbolfigur wie Mladic, der für das Massaker an mehr als 7.000 Bosniaken in Srebrenica verantwortlich gemacht wird. Außerdem sind mit der Auslieferung von Mladic alle Zweifel beseitigt, ob Serbien tatsächlich mit dem Tribunal zusammenarbeiten will. Populär war die Verhaftung unter den Serben jedoch nicht. Die Mehrheit sieht in Mladic keinen Verbrecher und akzeptiert die Auslieferung aus rein politischen Erwägungen, wie der Meinungsforscher Srdjan Bogosavljevic erläutert:
„Mladic ist die Bedingung für die weiteren Verhandlungen mit der EU; daher ist es zwar nicht anständig aber für Serbien gut, dass er verhaftet wurde. So wird Mladic mehr als Bedingung gesehen und nicht unter dem Aspekt der Vergangenheitsbewältigung. Mladic wird nicht als ein Verbrecher erlebt, der sich verantworten muss, sondern als Opfer dafür, dass Serbien bei den Verhandlungen weiter machen kann.“
Der Weg zur Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit ist eben weit, allerdings nicht nur in Serbien. Doch je weniger politische Hindernisse einer EU-Integration entgegenstehen, desto stärker treten die Hausaufgaben in den Vordergrund, die jeder Beitrittswerber erfüllen muss. Zu den größten Herausforderungen zählt Sonja Licht, politische Beraterin des serbischen Außenministeriums, folgende Bereiche:
„Das sind die Reform der Justiz und der Kampf gegen die Korruption. Da hilft uns die Auslieferung von Ratko Mladic nicht. Hier helfen nur ernsthafte Reformen, dass die Justiz aber auch sämtliche Institutionen viel besser funktionieren, damit wir die Korruption auch entsprechend bekämpfen können.“
Während die EU bei der Justizreform Fortschritte bestätigt, ist Serbien von einem Sieg im Kampf gegen die Korruption noch Lichtjahre entfernt. Trotzdem hat Belgrad so manchen Schritt Richtung Brüssel getan. Das Stabilisierungs- und Assoziationsabkommen ist unterzeichnet, die Ratifizierung weit gediehen. Serbien hat 35 Arbeitsgruppen eingerichtet, die den Kern der Verhandlungsteams für die 35 Kapitel bilden werden, die es dereinst zu öffnen und zu schließen gilt. Kurzfristig sind noch zentrale Gesetze zu verabschieden, um gegen Jahresende den Status eines Beitrittskandidaten erhalten zu können. Doch auch da ist die Direktorin der Regierungskanzlei für die EU-Integration, Milica Delevic, optimistisch:
„Das Gesetz über die Parteienfinanzierung wird noch im Juni verabschiedet. Zu den weiteren wichtigen zählen die Gesetze über das öffentliche Eigentum und über die Restitution. In diesen Bereichen erwartet die EU-Kommission Fortschritte; das betriff auch die Festlegung des Eigentums der Provinz Vojvodina, die Dezentralisierung des Eigentums auf der lokalen Ebene und die Rückgabe von zwangsverstaatlichtem Eigentum.“
Präsident Boris Tadic hofft, ebenso wie Kroatien vor mehr als fünf Jahren, im Dezember auch einen konkreten Termin für den Beginn von EU-Beitrittsverhandlungen zu erhalten. Doch mit dem Kosovo besteht ein Problem, dass Kroatien nicht zu lösen hatte. Seit einigen Monaten verhandeln Serben und Albaner nun über konkrete Probleme, von der Anerkennung von Autokennzeichen bis zum Mobilfunk, der derzeit im wahrsten Sinne des Wortes gestört ist. Doch ein modus vivendi ist noch nicht in Sicht, obwohl Sonja Licht den derzeitigen Dialog ermutigend bewertet:
„Positiv ist bereits, dass dieser Dialog unter ganz anderen Umständen begonnen hat als früher, und dass die EU eine sehr wichtige Rolle spielt und fest stellen kann, wie sehr sich beide Seiten bemühen. Tatsache ist, dass es während der Beitrittsverhandlungen mit der EU zu einer zufriedenstellenden Lösung kommen muss, und zwar für beide Seiten. Ich bin überzeugt, dass niemand von Serbien verlangen wird, den Kosovo anzuerkennen wie er heute ist; doch es muss ein Ergebnis geben.“
Auf Deutsch – Belgrad hofft, dass es doch noch die Zustimmung des Westens zu einer Abspaltung des kompakt besiedelten Nordens des Kosovo erhalten kann. Derzeit wirkt diese Hoffnung irreal und eher als Belastung für die Aussöhnung, die trotz der Auslieferung von Ratko Mladic noch lange dauern wird. Das betont auch Rasim Ljajic immer wieder, der als Bosniake für die Regierung die Zusammenarbeit mit dem Haager Tribunal koordiniert. Rasim Ljajic:
„Viele Voraussetzungen müssen erfüllt werden, damit sich die Menschen mit kühlerem Kopf mit der jüngsten Vergangenheit auseinandersetzen können. Doch zwei sind besonders wichtig: die innere Demokratisierung unserer Gesellschaften und der Wohlstand, der uns leider fehlt. Unter den Bedingungen einer derartigen Wirtschaftskrise mit niedrigen Löhnen und Pensionen und mit großer Armut ist es schwer zu erwarten, dass die Menschen so viele hässliche Dinge annehmen, wie sie sich in der Vergangenheit ereignet haben.“
Wie zentral ein besseres Leben für eine Befriedung ist, zeigen die meist jugendlichen Demonstranten, die jüngst in Belgrad für Ratko Mladic demonstrierten und Ausschreitungen provozierten. Die Lage dieser Jugend beschreibt der Meinungsforscher Srdjan Bogosavljevic:
„Das sind vor allem junge Menschen aus den Vorstädten wie der Belgrader Vorstadt Rakovica; Da gibt es keine Arbeit, das sind Haushalte ohne Perspektive; diese Kinder sind aufgewachsen mit der Rhetorik der Fußballfans; die war erstens nationalistisch, zweitens ging es um das massenhafte Auftreten und drittens um eine Schlägerei. Dabei ist es egal, ob wir uns wegen Mladic oder mit Kroaten oder Anhängern anderer Klubs schlagen. Es geht um die Rauferei, um die Möglichkeit, diese Wut über die sehr schlechte wirtschaftliche Lage auszuleben.“
Doch es gibt auch viele Lichtblicke. Die Zusammenarbeit in der Region nimmt ständig zu und die Präsidenten Serbiens und Kroatiens, Boris Tadic und Ivo Josipovic haben in den vergangenen Monaten starke Zeichen der Aussöhnung gesetzt. Daher mahnt Sonja Licht auch den Westen:
„Auch die Haltung dem Balkan gegenüber muss sich ändern. Europa und die Welt müssen anerkennen, dass sich das serbische Parlament für Srebrenica entschuldigt hat; das haben keine anderen Parlamente in Europa für vergleichbare Verbrechen getan. Wenn man vom Balkan ständig nur als Pulverfass spricht, wenn man dauernd sagt, dass die Balkanesen Primitive sind, dann bekommt man das, was die Engländer eine sich selbst erfüllende Prophezeiung nennen.“
Nicht nur der Balkan, auch die EU hat beim Abbau von Stereotypen noch einen weiten, steinigen Weg vor sich.